Look Out
„Ich mach’ das so. Und das Problem hast du!“
Schauspieler Fabian Hagen bewegt sich in Weimar jenseits von Rollenklischees
von Michael Helbing
Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)
Assoziationen: Thüringen Akteure Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Weimar

Ein langer schwarzer Arm gleitet rechts hinterm Bühnenportal hervor und krallt sich, zack, an einer Hauswand fest. Was dranhängt, zieht er hinterher: ein schlankes, hochgewachsenes Menschentier mit langem Schwanz. Auftritt Behemoth, katzenartiges Geschöpf in Volands Teufelsbande. „Riesengroß wie ein Eber“ soll der sein; wer Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ liest, sieht ihn dick und fett vor sich. Nicht so in Weimar, wo Luise Voigt den satirisch-faustischen Stoff fürs Nationaltheater zur atemlosen Groteske einer irren und nervösen Gesellschaft verdichtet. Hier schleicht und huscht und scharwenzelt und turnt und hechtet Behemoth als leichtfüßiger Springinsfeld mit Lust durch Natascha von Steigers eindrucksvolle Kulissenbühne eines nach hinten umgekippten achteckigen Hochhaushofes.
„Es hing wohl mal ein Fatsuit als Probenkostüm in der Umkleide“, erinnert sich Fabian Hagen, der ihn spielt. „Aber das war nicht einen Moment lang ernsthaft ein Thema.“ Zumal die Produktion auch so schon alle Beteiligten nass schwitzen lässt. In der Vorbereitung unterrichtete Minako Seki das Ensemble in Butoh, einem modernen japanischen Tanz, der Impulse lieferte, „Chaos aus Klarheit“ entstehen zu lassen, so Hagen.
Der Schauspieler freut sich sehr darüber, „so einen Kater zu spielen, der immer querschießt und Blödsinn macht“. Dabei mag er Katzen gar nicht. „Ich hasse sie!“ Von Kindesbeinen an hätten sie sein Misstrauen erweckt. Allergisch reagiert er obendrein. Jetzt habe er erstmals Katzenvideos angeschaut.
„In meiner WG in Bochum haben sie mich aber immer Katze genannt, sie haben mein Verhalten damit assoziiert“, so der 28-Jährige, der bis 2021 Schauspiel bei Folkwang studierte. Als Katze, also Kätzin, versteht das Publikum seinen Behemoth häufiger. „Wir haben uns nicht eine Sekunde lang Gedanken gemacht, welches Gender er hat“, schwört Hagen, der die Rolle im schwarzen Einteiler sprichwörtlich verkörpert, mit einer Perücke, auf der sich zwei Löckchen zu Katzenohren drehen. Wenn die Leute solche Auftritte weiblich läsen, sei das doch toll. „Es ist ja immer eine falsche Behauptung zu sagen: „Die Figuren gehören uns.“ Ihm sei allerdings lange nicht klar gewesen, dass er ein „vermeintliches Queer-Sein“ mit auf die Bühne bringe, das er als schwuler Cis-Mann „in große Klammer“ gesetzt wissen will.
Doch über den Umstand, dass er sein Weimar-Debüt im rosa Fummel gab, sagt er noch im Nachhinein: „So viel Glück muss man erst mal haben!“ Und lacht vergnügt. Er war auf der Sommerbühne 2021 der in Orlanda verwandelte Orlando in „Wie es euch gefällt“, einer Shakespeare-Drag-Show des Geschlechter- und Rollentausches von Christian Weise (TdZ 6/2022). Der hatte ihn beim Vorsprechen andernorts entdeckt.
Und der rief ihn an, als seine „Queen Lear“-Premiere am Berliner Gorki zu platzen drohte. Kent-Darsteller Lindy Larsson fiel aus. Hagen schaffte sich die Rolle binnen zweieinhalb Tagen drauf, mit Federkamm in pink auf dem Kopf, als der/die/das „Barbie Ken(t)“ mit dem Lebensmotto „Verkleiden, um man selbst zu sein“. Hagen spielte „intuitiv“, was er Kents Dreistigkeit nennt: „Ich mach‘ das so. Und das Problem hast du!“ Also der Zuschauer. Er sei längst davon abgekommen, Figuren als männlich oder weiblich zu definieren. Ob Morten Schwarzkopf in den „Buddenbrooks“ oder Roller in „Die Räuber“. Fabian Hagen vom Niederrhein ist noch kein Weimarer Protagonist, fällt aber auf mit seinem „Interesse an Körperlichkeit und Bewegungsexperimenten“. Natürlich möchte er bald größer spielen und eine Figur durcherzählen. „Es ist aber völlig daneben, sich Hauptrollen zu wünschen.“ Denn wenn er sich die Bulgakow-Besetzung ansehe, denke er: „Da hat wohl jemand was richtig gemacht!“ Er selbst macht selbstredend nicht alles richtig, findet sich auf Proben mitunter sogar „richtig scheiße!“. Er hätte vorher nicht gedacht, dass der Berufsalltag „noch immer wieder und immer wieder und immer wieder mit so vielen Ängsten und Selbstzweifeln zu tun hat“. Weimar sei dafür aber das ideale Haus: „Da wird keine Angst geschürt, es gibt eine große Zuwendung!“ Und so kann sein Behemoth befreit hohe, spitze Schreigesänge ausstoßen. Wenn er beim Gästeempfang auf dem Satansball einen Luftsprung an den nächsten reiht und „Ich bin entzückt!“ ruft, möchte man zurückrufen: Danke, gleichfalls! //