Theater der Zeit

Oper Halle: Im Spiegel der Zeit(en)

„Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal – Musikalische Leitung Fabrice Bollon, Regie Walter Sutcliffe, Ausstattung Kaspar Glarner

von Thea Plath

Assoziationen: Theaterkritiken Musiktheater Walter Sutcliffe Oper Halle

Nach behobenen technischen Störungen zeigt sich das beeindruckende Bühnenbild der Hallenser Aufführung von „Der Rosenkavalier“ unter der Regie von Walter Sutcliffe.
Nach behobenen technischen Störungen zeigt sich das beeindruckende Bühnenbild der Hallenser Aufführung von „Der Rosenkavalier“ unter der Regie von Walter Sutcliffe. Foto: Anna Kolata

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Das Schicksal meint es zunächst nicht gut mit Halles neuem „Rosenkavalier“. Ausgerechnet eine Technik, die 1886 in Halle Premiere feierte, wird an diesem Abend zum Problem: Der Eiserne Vorhang, damals im „modernsten“ Opernhaus Europas erstmalig eingebaut, lässt sich nach einem Stromausfall nicht herauffahren und zwingt die Beteiligten zur konzertanten Aufführung des ersten Aktes. Was danach folgt ist umso berauschender. Walter Sutcliffe fügt einer Geschichte, die mit Text und Musik schon vollkommen ist, spielerische bis provokante Elemente hinzu. Er inszeniert mit viel Liebe zum Detail, ohne den roten Faden zu verlieren, wobei die Staatskapelle Halle unter Fabrice Bollon eine tragende und verlässliche Rolle spielt.  

Während einige Gäste noch am Sekt nippen, verbreitet sich Unruhe im Foyer. „Technische Störung“ raunt es durch die Menge, die Türen bleiben geschlossen. Die Feuerschutzwand zwischen Bühne und Zuschauerraum verwehrt den Blick auf das Geschehen. An diesem Abend ist der kurzzeitige Verzicht auf das Bühnenbild erträglich, umso mehr stehen nämlich die herausragenden Leistungen der Sängerinnen und Sänger im Vordergrund. Die präzise auf Hofmannsthals Worte abgestimmten Gesten und Gesichtsausdrücke unterhalten das Publikum, das zum eigenen Phantasieren angeregt wird.  Der Ochs ist in seinem Element. Ki-Hyun Park präsentiert seinen fulminanten Bass und gibt sich, wie von der Figur des Lerchenauers gewohnt, breitspurig, wenn auch manchmal zu wenig behäbig. Romelia Lichtenstein stellt eine gute Marschallin dar, klingt gelegentlich etwas angestrengt, was aber zur Rolle der Fürstin passt. Eindrucksvoll verkörpert Yulia Sokolik die Partie des jungen Liebhabers Octavian: die Stimme forsch, aber klar, der Habitus in jugendlichem Überschwang auseifernd. Besonders amüsant ist Sokoliks Interpretation der Verkleidung als Mariandel und ihr Schäkern mit dem Ochs, der seinen Teil dazu beiträgt. Mit dem Ende des ersten Aktes zeigt sich der von der Marschallin vielbesungene „liebe Gott“ doch noch gnädig: Störung behoben, der Vorhang fährt unter Jubelschreien des Publikums hoch. 
 
Dem ersten Blick auf das in Gold und Silber schimmernde Bühnenbild folgen erneute Freudenbekundungen aus dem Zuschauerraum. Das volle Haus und das treue Publikum sind wohl nicht zuletzt auf den Intendanten und Regisseur Walter Sutcliffe zurückzuführen, der sich regelmäßig – mehrfach an diesem Abend – persönlich zu Wort meldet. Er bringt mit seiner Inszenierung ein psychologisches Porträt der Figuren des „Rosenkavalier“ auf die Bühne. Das ist nicht neu, wird aber auf besondere Weise umgesetzt: Das Bühnenbild von Kaspar Glarner ist eine großflächige Anordnung von Spiegeln. Durch entsprechende Beleuchtung und Projektion entstehen interessante Reflexionen, die synästhetisch die Orchesterklänge weitertragen. Das Dirigat des neuen Generalmusikdirektors Fabrice Bollon ist betont dynamisch, scheint bis hin zu feinen humoristischen Nuancen ausgearbeitet. Die Staatskapelle ist den Sängerinnen und Sängern eine gute Stütze. Das Bühnenbild bleibt zwar über drei Akte das gleiche, variiert aber dank verschiedener beweglicher Elemente sehr effektiv. Genau wie die Bühnenelemente folgen auch die Figuren des Stücks einer sinnvollen Choreographie, wenn beispielsweise die Feldmarschallin und ihr junger Octavian im ersten Akt nicht nur aneinander vorbeireden, sondern auch -schreiten.  

Ohne Klamauk geht kein Rosenkavalier über die Bühne. Der Arien schmetternde Sänger im ersten Akt trägt ein Kostüm, das verdächtig an Liberace erinnert, und die Bediensteten im zweiten Akt variieren zwischen gruselig heruntergekommenen Rokoko-Puppen und dem ebenfalls nicht mehr ganz frischen, Koteletten tragenden Gefolge um den Ochs von Lerchenau. Nicht nur die degoutante Aufmachung des Bagatelle-Adels symbolisiert den Abgesang auf eine längst vergangene Zeit. Hochmodern ist dagegen der Einsatz diverser technischer Mobilgeräte, die unter anderem die große Enthüllung um die Annäherung zwischen Sophie und Octavian auslösen — Franziska Krötenheerdt singt die junge Sophie übrigens tadellos und mit der gebotenen Strahlkraft. Fast schon zu albern wirken die beständigen, selbstbestätigenden Gesten des libidinösen Ochs, die im dritten Akt in einer großen Sadomaso-Phantasie kulminieren. Das kommt unerwartet und schockt manchen Zuschauer, der im Pausengespräch schon das „Rumgeschmuse“ des ersten Aktes lästig fand, genauso wie die modernen Ausreißer auf der Bühne. Hofmannsthals „Komödie für Musik“ von Richard Strauss verarbeitet allerdings von vornherein Tabuthemen und unterschiedliche Epochen. Sutcliffe bringt neben dem 18., 19. und 20. konsequenterweise auch das 21. Jahrhundert ein. Dass manche Einfälle schlicht wie Provokation wirken, ändert nichts daran, dass die Hallenser Inszenierung Spaß macht und im wahrsten Sinne des Wortes „großes Kino“ ist. Die Kostüme erinnern nicht nur an diverse Moden aus vier Jahrhunderten, sondern auch an mehr oder weniger bekannte filmische Episoden: So trägt etwa Sophie das populäre gelbe Kostüm der ebenfalls neureichen Hauptdarstellerin aus dem Film „Clueless“. Ob das eine Anspielung auf den geistigen Zustand der frisch verliebten Sophie sein soll, darf der Zuschauer entscheiden — wenn er die Querverweise denn versteht.  

Schließlich kehrt doch noch Ruhe ein, zumindest auf der Bühne. Das berühmte Schluss-Terzett zwischen der Marschallin, Octavian und Sophie erklingt in romantischer Harmonie, auch die Stimmfarben betreffend, und ohne viele szenische Einwände. Das letzte Wort gehört dem jungen Liebespaar, die Feldmarschallin lässt Octavian ziehen und fährt seitlich von der Bühne, den Blick „in Gottes Namen“ nach oben gerichtet. Der Vorhang geht zu — und auch gleich wieder auf, begleitet von herzlichem Applaus. 

Erschienen am 17.3.2023

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