Essay
Das digalitäre Theater
Ein Essay
von Jonas Zipf
Erschienen in: Theater der Zeit: Frank Castorf – „Wallenstein“ in Dresden (06/2022)
Assoziationen: Debatte Dossier: Digitales Theater
Nehmen wir einmal an, Kultur bestünde aus mehr als der künstlerischen Praxis auf Bühnen und Leinwänden, in Galerien oder Museen. Nehmen wir außerdem an, ein so verstandener sogenannter breiter Kulturbegriff ist der Boden und das Bett einer jeden grundlegenden Transformation der Verhältnisse. Wir sprächen dann von einem Kulturwandel und meinten etwa die Kultur eines Unternehmens oder des politischen Diskurses, des schulischen Sektors oder der Geschlechterverhältnisse. Gehen wir also davon aus, dass jede Transformation mit einem Wandel der sozialen, ökonomischen, ökologischen Kultur einher-, möglicherweise sogar von dieser ausgeht. Ob groß oder klein, geschichtlich abgeschlossen oder in die Zukunft laufend: Die Felder der uns aktuell umströmenden Transformationen wären also per se und a fortiori Schauplätze, öffentliche und soziale Räume der Kultur. So ist es mit den Fragen nach Nachhaltigkeit oder in der Inklusion. So ist es mit der Digitalisierung.
Weniger „Mega“ als vielmehr „Meta“, müssen wir Digitalisierung endlich als kulturellen Wandel der Art und Weise unseres kommunikativen Handelns, eines gänzlich veränderten Mindsets des Umgangs miteinander und nebeneinander verstehen. Digitalisierung ist kein Megatrend, der unvermeidlich über uns kommt wie ein heilsbringendes Himmelreich oder die nächste Naturkatastrophe. Es lohnt sich nicht mehr, sich an das Narrativ der fehlenden Ressourcen und Kompetenzen zu klammern, die...