Das aristotelisch regelmäßige Drama
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Parallel zur naturgetreuen Gestaltung des Bühnenraums entwickelte sich das Dogma des „geschlossenen“, normativ regelgemäßen (literarischen) Dramas, verstanden als der Kern, ja das Wesen von Theater. Die Handlungen und Beziehungen seiner Figuren sollten sich hauptsächlich, ja ausschließlich in ihren verbalen Dialogen konstituieren, die Vorgänge seiner fiktiven Geschichten sich linear-kausal einer nach dem und aus dem anderen ergeben. Die rigid-normierende Deutung gründete auf dem Wahrscheinlichkeitsprinzip, einem neuartigen extremen Rationalismus und dem entsprechenden Wahrnehmungsdrang. Die Ausleger des Aristoteles lieferten dafür seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Theorie. Sie konzentrierten sich auf die sogenannten Einheiten von Ort, Zeit, Handlung. Aristoteles sprach in seiner Poetik nur ausführlich von der „Einheitlichkeit der Handlung“, dem linearen Verlauf der fiktiven Vorgänge, die kausal-logisch miteinander verknüpft sind. Jetzt deutete man, er habe gefordert, ein Drama müsse die Einheit der dargestellten Örtlichkeit so arrangieren, dass diese möglichst zusammenfallen mit dem Ort der Wahrnehmung des Zuschauers und die Zeit der fiktiven Geschehnisse müsse möglichst mit der Zeit ihrer Darstellung, also der Aufführungszeit übereinstimmen. Extrem gedacht, müsse sich die Handlung des Dargestellten in der Zeit ereignen, in der sie der Zuschauer wahrnimmt, möglichst nicht mehr als drei bis vier, höchstens 24 Stunden. Da sich der Zuschauer gegenüber den Bühnenvorgängen fest...