Theater der Zeit

Auftritt

Theater und Orchester Neubrandenburg Neustrelitz: Der runde Tisch im wüsten Land

„Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst und Ursula Ehler – Regie Maik Priebe, Bühne und Kostüme Susanne Maier-Staufen, Sounddesign und Komposition Nils Ostendorf

von Juliane Voigt

Assoziationen: Mecklenburg-Vorpommern Theaterkritiken Nils Ostendorf Tankred Dorst Maik Priebe Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz

Anika Kleinke und Bernd Hölscher in „Merlin oder Das wüste Land“ in der Regie von Maik Priebe. Foto Arno Declair
Anika Kleinke und Bernd Hölscher in „Merlin oder Das wüste Land“ in der Regie von Maik PriebeFoto: Arno Declair

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Als Tankred Dorst das Stück „Merlin“ 1980 mit seiner Frau Ursula Ehler schrieb, war da die Welt nicht eigentlich noch in Ordnung? Ein bisschen mehr als jetzt vielleicht wenigstens? Oder war Dorst so seherisch wie sein Merlin, den er mit diesem Stück Theatergeschichte in die Welt schickte? In einer Hamburger Fischhalle wollte Peter Zadek es aufführen, eine ganze Nacht lang. Aber es wurde nichts draus und so hat sich Merlin auf den großen Bühnen, auf denen es gespielt wurde, kurzfassen müssen. Jetzt ist es im Landestheater Neustrelitz aufgeführt worden. Inszeniert vom neuen Schauspieldirektor Maik Priebe. Der offensichtlich Großes plant. Zum Antritt kamen gleich auch noch 1,75 Millionen Euro vom Bund für einen Umbau des Neustrelitzer Hauses, das zur Theater- und Orchester GmbH Neubrandenburg Neustrelitz gehört. Gar kein so wüstes Land also, das Mecklenburgische, wie das phantasmorgische von König Artus, das sich da auf der Bühne auftut. Wo es zunächst fröhlich zugeht, als die Riesin Hanne (Lisa Scheibner) unter großem Trara über gebirgsartigen Krinolinen eine Art Maus gebiert. Ein nackter bärtiger Greis, Merlin, gespielt von Thomas Pötzsch. Der just dasitzt und die Zeitung studiert. Und, ohne den Medien nahetreten zu wollen, so liest sich denn auch, was sich in den folgenden zwei Stunden ereignet. Fast alle wollen die Rettung der Menschheit. Heraus kommen nur Mord und Totschlag, Hauen und Stechen, Betrug, schwache Geschöpfe, denen der Überblick fehlt, in Betten, in denen sie nichts zu suchen haben. Angezettelt vom Teufel (Burkhard Wolf), der sofort erscheint, um die Vaterschaft für Merlin anzuerkennen und seinen Filius mit der Aufgabe loszuschicken, die Menschheit zu erlösen, auf dass sie sich endlich dem Bösen hingeben und die Welt zerstören möge. Ganz wie es ihrer Natur entspricht. Merlin aber zögert ob seiner Bestimmung.

Ein runder Tisch muss her für die edlen Ritter der Tafelrunde, in herrlichen Gewändern und stolzem Gehabe und Geprange und Gekröne laufen sie denn auch auf (Bühne und Kostüme Susanne Maier-Staufen). Angeführt von König Artus, der sich aber die große Aufgabe gar nicht zutraut –  die gute alte K-Frage also als ewiges Menschheitsdrama. Bernd Hölscher schwankt in der Rolle denn auch so durch die Katastrophen. „Ich habe keine großen Gedanken, ich kann nicht vorausschauen. Ein König muss vorausschauend sein. Ich kann kein König sein“, jammert er. Immer wieder muss er Merlin um Hilfe bitten. Auf einem sinnlosen Drehbühnenmarathon, der ihn vielmehr von ihm wegtreibt. Die Welt soll gerettet werden. Das bleibt wie im wirklichen Leben so auch auf dieser Bühne ein aussichtsloses Unterfangen.

Maik Priebe setzt den besten Freund und Konkurrenten Lancelot, der mit traumwandlerischer Sicherheit Gewinner ist und auch noch Hammer attraktiv, in einen sprichwörtlichen Käfig seiner Leidenschaft für Ginevra. Auch da verendet der Edelmut unter dem Eindruck wachsender adoleszenten Trieben. Annika Kleinke und Noah Alexander Wolf sind in ihren Rollen allerdings am glaubwürdigsten, als sie sich nach ihrer Flucht miteinander zu langweilen beginnen. Maik Priebe hat sich für Szenen aus dem für deutliche Striche vorgesehenen Drama entschieden, die gerade auch nach der Pause immer mehr einer Erzählerstimme bedürfen. Da ist schon jede Menge Theaterblut vergossen worden. Lancelot hat für Artus nochmal alle seine Kräfte mobilisiert, um den Verrat am Freund irgendwie gutzumachen. Es geht um Krieg Krieg Krieg! Um das große Schlachten an weit entfernten Fronten. Gerade so führen die edlen Ritter noch einmal einen Sieg herbei, aber die nächste Generation stellt sich gegen die Väter. Mordred, der ungeliebte Sohn von König Artus nimmt das Schwert. Und damit haben sie geschlagen, die letzten Tage der Menschheit. Schauspielerisch herausragend in dieser Rolle Robert Will, der Massaker shakespearschen Ausmaßes im Familienkreis anrichtet. Auch Josefine Ristau in der Rolle der Elaine reißt die Szene an sich, als sie vor Ginevra tritt und Lancelot zurückfordert. Eine aufs vergnüglichste nervende Barbie. Die alten grauen Ritter machen sich stattdessen noch einmal auf den Weg, um den heiligen Gral zu finden, mit dem dann endlich diese aussichtslos verlorene Welt gerettet werden soll. Merlin, der immer mal wieder im weißen Gewand als Randgestalt auftaucht, sind die Menschen entglitten. Und auch das Publikum, denn man kann sich in dieser szenischen Aneinanderreihung an keiner Figur festhalten. Es ist düster und leer am Ende, ein Schlachtfeld. Das Gerüst aus Treppen und nicht zuletzt den Trümmern des großen runden Tisches ragt aus dem Bühnennebel wie eine Kriegsruine. „Mir fehlt etwas, aber ich kann es nicht nennen: Die Zukunft!“, heißt es gleich am Anfang. Voilà!

Ein Theaterabend, der ausweglos hinsehen lässt auf die Katastrophe, die Menschen so anrichten, weil sie so sind wie sie sind. Der hineinzieht in die düstere Nachrichtenlage. Auch Tankred Dorst hatte keine gute Zeit. Anfang der 80er Jahre, unter visionslosen Politikern und der Aufrüstung für oder gegen irgendwas. Jetzt ist das Thema Krieg herangerückt. Das Schwert, das in den 80er Jahren geschmiedet wurde, ist blutverschmiert. Und das alles nur, weil der Teufel die Fäden zieht. Bestimmung, Schicksal, das ist der Lauf der Welt in ihren Niedergang. Da gibt’s auch bei Maik Priebe kein Pardon.

Erschienen am 11.10.2023

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