Essay
„Ask me why I’m wearing a mask“
Zu Ästhetik und Politik der Gesichtsflucht
Gesichter lächeln von Wahlplakaten, werden biometrisch erfasst oder sollen uns auf „facebook“ vertreten. Andere Visionen von Politik und Zusammensein zu erproben, könnte also bedeuten, nicht noch mehr Gesicht, sondern Maske zu zeigen. Das Objekt- und Figurentheater macht genau das schon lange. Die Kulturwissenschaftler*innen Beate Absalon und Sebastian Köthe, Gastredakteur*innen des Thementeils dieser double-Ausgabe, führen in den Schwerpunkt ein.
von Sebastian Köthe und Beate Absalon
Erschienen in: double 38: Face-Off – Politiken von Gesicht und Maske (11/2018)
Assoziationen: Praxiswissen Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Angesichts des Starts eines Pilotprojektes zur automatisierten Gesichtserkennung, am Berliner Bahnhof Südkreuz Anfang August 2017, hält der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sein Gesicht stolz in die Kamera („ein unglaublicher Sicherheitsgewinn“), während Aktivist*innen, angeleitet von Digitalcourage e.V., sich demonstrativ hinter Maskierungen zurückziehen: Ein Mensch trägt eine Brille samt falscher Nase und falschem Schnurrbart, andere plüschige Tigermasken, die ikonische Guy-Fawkes-Maske oder einfach eine Papiertüte über dem Kopf. Die Maskierungen entziehen das Gesicht der Erkennung und lenken durch ihr artifizielles Spektakel gleichsam den Blick auf sich. Für gewöhnlich würde man sie auf der Bühne oder an Karneval erwarten, nicht aber dienstagmorgens an der S-Bahn-Station. Hier sind sie Teil einer ästhetisch-politischen Aktion, die sich gezielt gegen den „gaze of bureaucracy“ (Jenny Edkins) richtet, dem Gesichter als unpersönliche, aber identifizierbare, biometrische Zugriffspunkte dienen sollen.
Das Gesicht ist ein Knotenpunkt in der Geschichte und Gegenwart so zahlreicher Kultur- und Machttechniken, dass man sich ausgerechnet dieses sichtbarste Ding von allen immer wieder in seiner Unselbstverständlichkeit vor Augen führen muss. Das Gesicht und sein Schattenriss sind konstitutiv für die Physiognomik, assoziiert vor allem mit Johann Caspar Lavater, der an der Gestalt des Gesichts Charaktereigenschaften wie Intelligenz oder Sensibilität ausmachen wollte und Rassismen damit eine vermeintlich wissenschaftliche Deckung verschaffte. Das Gesicht und seine chirurgische Transformierbarkeit ist eng verknüpft mit angeblich ahistorischen Schönheitsidealen der Symmetrie und „Makellosigkeit“. Das Gesicht und seine normierten Fotografien, von der Bertillonage bis zum biometrischen Passbild, sind Ansatzpunkt für die Vermessung und Identifizierbarmachung von kriminalisierten Menschen. Das Gesicht und sein diensteifriges Lächeln ist Chiffre der affektiven Arbeit im neoliberalen Kapitalismus des tertiären Sektors. Das Gesicht und seine Sichtbarkeit ist dogmatischer Punkt des Widerstreits zwischen Religiosität und Säkularität. Diese kurze Aufzählung genügt, um dem Aufruf der französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari, dem Gesicht zu entfliehen, mit auch politischer Sympathie zu begegnen. Denn die komplizierten Verfahren der Überwachung, Lesbarmachung und Normierung von Gesichtern schaffen zwangsläufig Grade der Abweichung, die Menschen und Menschengruppen etwa nach ethnischen, sexistischen oder klassistischen Kriterien identifizierbar machen sollen und so der Diskriminierung aussetzen.
Indem die Demonstrant*innen mit verborgenen Gesichtern in der Öffentlichkeit auftreten, lassen sie ihre Körper „Nein“ sagen und entziehen sich gleichsam den Ansatzpunkten kultureller Mächte der Vergesichtlichung. Dabei helfen den Intervenierenden am Südkreuz und anderswo Strategien, die das Objekt- und Figurentheater auf Bühnen und Straßen schon lange ausbildet und befragt. Ob es um das Verschwindenlassen und Transformieren von Gesichtern geht, die Veränderung körperlicher Intuitionen und mentaler Selbstbilder durch das Tragen von Masken, die Stellvertretung von Personen durch Effigien und Maskierte, die Infiltration von Öffentlichkeiten durch Figuren und Performances – die Mittel des Figurentheaters scheinen besonders geeignet zu sein, die Grenzen zwischen politischer Ästhetik und ästhetisierter Politik fließen zu lassen. In dieser Ausgabe wird es also darum gehen, wie sich historische und gegenwärtige gesichterpolitische Aktionen neu verstehen lassen, wenn sie auf ihre (objekt-)theatralen, ästhetischen Bedingungen hin gelesen werden. Inwiefern ist das Figurentheater eine Probebühne für Gesichterpolitiken? Und was geschieht mit unserem Verständnis von Figurentheater, wenn wir es nicht nur auf der Bühne verorten, sondern auch in der Ausstellung, im Sport oder beim Demonstrieren?
Den Anfang macht Claudia Schmölders, die die Inszenierung „Solace“ der Numen Company im Hinblick auf die Geschichte physiognomischer Gesichtskonzepte kontextualisiert. Ausgehend von der postapokalyptischen Welt des Stücks, für Schmölders „Ausweis des Anthropozäns“, lotet sie aus, welche Kräfte der Belebung im Blickaustausch zwischen Figur und Spielerin liegen.
In der Mitte des Thementeils fragen gleich mehrere Autor*innen nach dem Verhältnis von Normalisierung und Verfremdung in Hinblick auf die Rassifizierung von Gesichtern. Beate Absalon und Sebastian Köthe sprechen mit Regisseur Arne Vogelgesang in diesem Zusammenhang über die Gesichter- und Maskenpolitiken der Neuen Rechten, die einerseits auf die sichere Anonymität hinter der mystifizierten Maske, und andererseits auf die widerständige Authentizität des eigenen – „deutschen“ – Gesichts setzen. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um das „Blackfacing“ auf deutschen Theaterbühnen diskutiert René Reith anhand von Stefanie Oberhoffs Improvisationen mit ihrer „Gräfin“ den Einsatz der Farbe Schwarz und problematisiert deren konventionellen Einsatz als Markierung von Bedeutungslosigkeit – etwa im Hintergrund, aber auch als Verunsichtbarung des Spieler*innengesichts.
Petra Löffler wiederum analysiert die irritierenden, auf der letzten Documenta von Sergio Zevallos unter dem Titel „A War Machine“ ausgestellten Schrumpfköpfe nach Personen aus Politik, Wirtschaft oder Terrorismus als eine Umkehr kolonialer Aneignungen und Fetischisierungen. Das Gespräch von Tim Sandweg mit Regisseur Mathias Becker fragt ausgehend von dessen Inszenierung „Der Affe von Hartlepool“, wie das Figurentheater durch die Verwendung von Affenmasken und komplexen Zeitdramaturgien gleichzeitig Verdinglichung, Rassismus und Speziesismus problematisieren kann – und zeigt, wie schwer es bleibt, in einem strukturell unzureichend diversifizierten Theaterumfeld diese Komplexe überhaupt thematisieren zu können.
Marie Simons beleuchtet darüber hinaus die Möglichkeiten der lustvollen Identifikation mit und politischen Stellvertretung durch Maskierte und führt die Leser*innen zum mexikanischen Ringkampf, dem Lucha Libre. Die Maske als essentieller Teil der Inszenierung erlaubt es den Luchadores zu kollektiven Imaginationsflächen zu werden und so auch als eine repräsentative, moralische Instanz in den Ring zu treten.
Nace Zavrl schließt den Thementeil mit seinem Beitrag „Exploding Biometrics“ über die „Facial Weaponization Suite“ des US-amerikanischen Künstlers Zach Blas: eine amorphe, grellpinke Maske, amalgamiert aus den Gesichtern 30 queerer Männer, die es den Träger*innen ermöglichen soll, für technologische Überwachung unlesbar zu werden. Eine weitere mögliche Antwort auf den Testlauf zur Videoüberwachung am Südkreuz, die noch ungeahnte Modi des Ausdrucks für postfaziale Menschen bereithält.
Das Spannungsfeld zwischen den Praktiken des Objekt- und Figurentheaters und den Politiken der Vergesichtlichung und Entgesichtlichung deutet auf die Dringlichkeit hin, mit der politische Artikulationen ästhetischer Verfahren bedürfen. Die Artikel dieser Ausgabe zeigen dabei, dass dies sowohl für die überwachenden, normalisierenden und verwerfenden Kontrollregime gilt, als auch für die spektakulären oder zarten Versuche einer Gesichter- und Maskenpolitik der gelungenen Stellvertretung, der wechselseitigen Belebung oder der Ereignishaftigkeit des Anderen.