Angesichts des Starts eines Pilotprojektes zur automatisierten Gesichtserkennung, am Berliner Bahnhof Südkreuz Anfang August 2017, hält der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sein Gesicht stolz in die Kamera („ein unglaublicher Sicherheitsgewinn“), während Aktivist*innen, angeleitet von Digitalcourage e.V., sich demonstrativ hinter Maskierungen zurückziehen: Ein Mensch trägt eine Brille samt falscher Nase und falschem Schnurrbart, andere plüschige Tigermasken, die ikonische Guy-Fawkes-Maske oder einfach eine Papiertüte über dem Kopf. Die Maskierungen entziehen das Gesicht der Erkennung und lenken durch ihr artifizielles Spektakel gleichsam den Blick auf sich. Für gewöhnlich würde man sie auf der Bühne oder an Karneval erwarten, nicht aber dienstagmorgens an der S-Bahn-Station. Hier sind sie Teil einer ästhetisch-politischen Aktion, die sich gezielt gegen den „gaze of bureaucracy“ (Jenny Edkins) richtet, dem Gesichter als unpersönliche, aber identifizierbare, biometrische Zugriffspunkte dienen sollen.
Das Gesicht ist ein Knotenpunkt in der Geschichte und Gegenwart so zahlreicher Kultur- und Machttechniken, dass man sich ausgerechnet dieses sichtbarste Ding von allen immer wieder in seiner Unselbstverständlichkeit vor Augen führen muss. Das Gesicht und sein Schattenriss sind konstitutiv für die Physiognomik, assoziiert vor allem mit Johann Caspar Lavater, der an der Gestalt des Gesichts Charaktereigenschaften wie Intelligenz oder Sensibilität ausmachen wollte und Rassismen damit eine vermeintlich wissenschaftliche Deckung...