Auftritt
Erlangen: Verfassung auf (der) Probe
Das Theater: „GRNDGSTZ“ von Annalena und Konstantin Küspert (UA) Regie Helge Schmidt Ausstatter Anika Marquardt & Lani Tran-Duc (Atelier Lanika)
von Michael Helbing
Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Bayern Theater Erlangen

Der Bundesadler schrumpft zur Bordsteinschwalbe, lässt sich nieder zur Zigarettenpause. Konspirativ schleichen Polen (Barbara Krebs) und Ungarn (Hermann Große-Berg) heran. „Nervt dich das nicht?“, raunen sie. Sie meinen das Bundesverfassungsgericht, das dem Wappenvogel tatsächlich auf die Nerven geht. Darsteller Max Mehlhose-Löffler bezieht die Frage jedoch auf den stickigen Adlerkopf und das enge Kleid. Passt schon, versichert er: „Für solche Momente bin ich Schauspieler geworden!“
Das Publikum lacht auf. Szenenapplaus für einen selbstironischen und selten ehrlichen Augenblick inmitten dieses Abends. Das steht nicht im Text, wohl auch nicht in der vom Autorenduo mit dem Regisseur stark überarbeiteten Fassung für eine nachgeholte Uraufführung; es ist aber inszeniert, kommt jedenfalls aus dem Bauch und folgt der Regel, wonach eine Situation dann und nur dann komisch wird, wenn man sie ernst nimmt.
Insofern ist dies zugleich eine Ausnahme von den Regeln dieser Inszenierung. Die geht betont lustig, lustig, tralalalala zu Werke und missversteht dabei den Hilferuf des Textes, szenisch aufgeladen und gebrochen zu werden.
„GRNDGSTZ“ behauptet eine Revue und ist eine Montage, verfasst und zusammengestellt von Annalena und Konstantin Küspert, deren „Reichsbürger“-Monolog erfolgreich durch die Theaterlandschaft wandert (siehe TdZ 4/2018) und die nun ihre vierte gemeinsame (Zu-)Arbeit vorstellen: geplant für Puppenspielerin Suse Wächter, 2019 am Staatstheater der Stadt Karlsruhe, in der das Bundesverfassungsgericht sitzt.
Anlass: 70 Jahre Grundgesetz. Der Text entzweite jedoch die künstlerischen Wege, gleichwohl bediente sich Wächter für ihre Aufführung „Unantastbar?“ daraus.
Einige ihrer Standardpuppen, Sigmund Freud oder Gartenzwerge, fanden im Stück Niederschlag. Nun finden sich solche Figuren so oder so in Erlangen wieder, wo Helge Schmidts Inszenierung viele Ideen entwickelt und keinen Zugang findet. Die Zwerge tauchen auf (Alissa Snagowski und Janina Zschernig), um zu erfahren, dass sie gestrichen wurden. Juliane Böttger hängt sich den Sigmund-Freud-Bart um und psychoanalysiert etwa den unbenutzten Artikel 18 (Barbara Krebs), der jenen die Grundrechte abspricht, die Grundrechte verletzen.
Was Grundrechte sind, will ein Konrad-Adenauer-Schwellkopf von Digital-Assistentin Alexa wissen. Ein weiterer Schwellkopf zeigt Elisabeth Selbert, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau ins Grundgesetz schrieb. Mit eigenem Kopf sondert Hermann Große-Berg hinterm Handmikrofon Teile aus Carlo Schmids Rede „Was heißt eigentlich: Grundgesetz?“ von 1948 ab, ohne sie zu durchdringen. Pars pro toto steht er damit für den allgemeinen Mangel, dass uns hier selten jemand erlaubt, ihm beim Denken zuzuschauen.
Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht begegnen sich in herzlicher Abneigung („Wir passen einfach nicht zusammen“), Mephisto erklärt im Prolog im Himmel biblische Geschichten gleichsam für grundgesetzwidrig, Gott dann dieses Grundgesetz zur kostbaren, aber brüchigen Angelegenheit.
Das alles sollen, so der Rahmen, Nummern einer Geburtstagsgala werden, für die hier coram publico geprobt wird, was uns jedoch bereits die Aufführung bedeutet. So wie das Grundgesetz, soll das wohl heißen, ja auch eine Verfassung auf Probe ist und doch längst einen unbefristeten Vertrag erhielt. Sechs Schauspieler stolpern und albern sich angestrengt lässig durch lauter Allegorien und werden selbst zum allegorischen Ensemble, das für die Abwesenheit des Dramatischen stehen muss. Derweil zertrümmern wiederholte Videokommentare eines Journalisten, einer Behindertenaktivistin und eines bayerischen Innenministers den letzten Rest von Rhythmus.
Immerhin singen sie, vertont von Frieder Hepting, bemerkenswert Heine („Wir wollen jetzt Frieden machen“), Brasch („Was ich habe, will ich nicht verlieren“) und Adenauer („Man soll nicht immer und überall von Demokratie nur sprechen“). Und sie enden in einem Ton mit der „Kinderhymne“ von Brecht/Eisler, als sei vorher Bedeutendes geschehen.
Ferdinand von Schirachs „Terror“, über den sich das Stück kurz lustig macht, stellte auf dem Theater unser Verhältnis zum Grundgesetz allerdings weitaus dringlicher auf die Probe. //