Auftritt
Schauspiel Köln: Phaedra als Proletenposse
„Phaedra“ von Thomas Jonigk frei nach Seneca und Racine (UA) – Regie, Video und Bühne Ersan Mondtag, Künstlerischer Mitarbeiter Alexander Naumann, Musikalische Einrichtung und Komposition Beni Brachtel, Kostüme Teresa Vergho
von Stefan Keim
Erschienen in: Theater der Zeit: Bühne & Film – Superstar aus Neustrelitz (01/2023)
Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Ersan Mondtag Thomas Jonigk Schauspiel Köln

Eine Puppenhauswelt. Eine Straße, drei Häuschen, bunte Farben. So sah das Vorstadt-Amerika in den Serien aus den fünfziger Jahren aus. Ein Polizeiauto fährt langsam heran. Der Polizist auf dem Fahrersitz bewegt es mit seinen eigenen Füßen vorwärts. Wie Fred Feuerstein und Barny Geröllheimer. Dennoch kommt Rauch aus dem Auspuff. Das ist allerdings der beste Gag des Abends.
Der Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag arbeitet immer mit starken optischen Setzungen und einer konsequent stilisierten Spielweise. Um Texte schert er sich nicht wirklich, sie dienen dazu, seine Fantasie zu füttern und sind danach nicht weiter von Bedeutung. Das kann zu starken Theatererlebnissen führen oder zur absoluten Peinlichkeit. Nun hat Mondtag in Köln eine Neudichtung der „Phaedra“ inszeniert – die Aufführung gehört eindeutig in die zweite Kategorie.
Thomas Jonigk hat die vielfach bedichtete und verfilmte mythische Tragödie überschrieben. Warum er das tat, bleibt rätselhaft. Denn ein Grund, warum diese Geschichte neu erzählt werden muss, drängt sich nicht gerade auf. Jongiks Grundthese: Alle Beteiligten wissen, was passieren wird, und können ihrem Schicksal nicht entgehen. Das ist weder neu noch originell, zumal Jonigk nicht von einer Selbstermächtigung der Figuren erzählt; sondern seine Idee vor allem dazu nutzt, dass Phaedra und die anderen mit dem blöden Theaterbetrieb abrechnen, der sie immer wieder dazu zwingt, diese aus ihrer Sicht schwachsinnige Geschichte zu spielen. Jonigk collagiert ein paar Zitate von Seneca und Racine in seinen Text hinein, da könnte bei sensibler Regie eine zweite Ebene entstehen. Aber eine subtile Textdeutung hat Ersan Mondtag noch nie interessiert.
Benny Claessens spielt Phaedra. Seine Spezialität besteht darin, zwischen den Sphären zu tanzen, aus der Ironie ins Gefühl zu kippen, anzudeuten, auszuweichen, als One-Man-Diskurstheater zu schillern. Das gelingt diesmal nur sehr selten. Meistens spielt er in einem Brüste-Bauch-Suit mit quasi freiem Oberkörper und gibt völlig ungebremst eine frustrierte und vereinsamte Vorstadtfrau, die sich in Exzesse stürzt. Mit Freundin Peggy – wer sich noch an das Original erinnert, da ist es die Amme Oinone – schnieft Phaedra Kokain von einem großen Küchenblech, säuft und suhlt sich in Fäkalsprache.
Im Haus nebenan wohnt die Chronik, eine Art Erzählerinnenfigur, die Margot Gödrös mit brüchiger Stimme als coole Klassiker-Uroma jenseits der Frustration spielt. Phaedra und Peggy machen bei ihr Klingelstreiche und haben großen Spaß an Fake-Telefonanrufen. Alles wirkt wie eine ausgedehnte „König Ubu“-Variante. Das Kölner Ensemble überdreht von Anfang bis Ende. Yvon Jansen liefert als Hippolytos, in den Phaedra sich verliebt, den Sohn ihres dauerabwesenden Gemahls – Machoklischees vom Derbsten. Kristin Steffen kunstkotet als Hippolytos Verlobte Aricia dem Geliebten vor die Haustür. Phaedra hält sich einen bodygebuildeten Lover, der nur einen goldenen Slip trägt und am Schluss sein bestes Stück verliert.
Als Feldherr Theseus (Benjamin Höppner) doch zurückkehrt und einen Geliebten aus dem Vietnamkrieg mitbringt, eskaliert die Kleinstadtsauerei. Phaedra wird zur Massenmörderin im Stil eines amerikanischen Trash-Slashers, und hier hat Benny Claessens ein paar spannende Momente. Da spiegelt sich in seinem Gesicht eine Ahnung von Entsetzen über die eigenen Taten. Es ist ein dicker Panzer, den sich diese Phaedra zugelegt hat, um gegen die fiesen Männer mit ihren frauenfeindlichen Sprüchen zu bestehen. Und diese machodominierte Theaterwelt zu ertragen, die sie immer als fiese Frau darstellt, die ihre Triebe nicht unter Kontrolle hat und deshalb alle in den Tod stürzt. Da kann sie auch mit Lust metzeln und blutberauscht gegen ihr Schicksal anschreien. Nach fast zweieinhalb Stunden deutet sich fast eine Tragödie an. Wenn man nach der bumsblöden Theaterfolter davor noch Lust hat, sich auf solche Gedanken einzulassen.