Auftritt
Wiener Staatsoper: Ein sanfter Tod
„Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc – Regie Magdalena Fuchsberger, Dirigat Bertrand de Billy, Bühnenbild Monika Biegler, Kostüme Valentin Köhler, Video Aron Kitzig
von Alexander Keuk
Assoziationen: Österreich Musiktheater Theaterkritiken Magdalena Fuchsberger Wiener Staatsoper
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Ein schmales Büchlein ist die Novelle „Die Letzte am Schafott“ von Gertrud von le Fort, und obwohl der Dichter Paul Claudel auf deren Schulausgabe mit „Diese Dichtung wird bleiben!“ zitiert wird, sind Autorin und Werk nahezu vergessen – nicht jedoch die Vertonung des französischen Komponisten Francis Poulenc aus dem Jahr 1956, die regelmäßig an großen Häusern gegeben wird, nun auch in einer Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper, die das Stück allerdings seit der ersten Produktion im Jahr 1959 nicht mehr gezeigt hat. Die „Gespräche der Karmeliterinnen“ beruhen auf dem Drehbuch „Die begnadete Angst“ von Georges Bernanos, aus dem auch eine Bühnenfassung hergestellt wurde, die bereits 1952 am Wiener Burgtheater gespielt wurde. Hintergrund sind wahre Ereignisse in einem Karmeliterinnenkloster in Compègnie (Nordfrankreich) und die Hinrichtung von 16 Karmeliterinnen in Paris am 17. Juli 1794.
Mit den verschiedenen Fassungen existieren drei Titel der Geschichte, die auf verschiedene Ausrichtungen des Stücks hinweisen – Gertrud von le Fort rückt die Hauptfigur in den Mittelpunkt, die Novizin Blanche de la Force, die sich etwa zur Zeit der französischen Revolution entscheidet, in das Karmeliterinnenkloster zu gehen. Die Nonnen geraten in die Tumulte der Revolution, die sich auch gegen die Kirchen und Klöster richtet. Das Kloster wird säkularisiert, die Nonnen erhalten ihr Todesurteil und schwören noch in ihrer Gefangenschaft, gemeinsam in den Tod zu gehen. Blanche schließt sich ihnen – als letzte am Schafott – an. Poulencs Oper heißt nun aber „Gespräche der Karmeliterinnen“ und widmet sich den fiktiven Schicksalen der Nonnen und ihrer Beziehung untereinander.
Ein wichtiges theatralisches Moment liegt damit nicht allein im unabwendbaren tragischen Ende der Oper, sondern auch in der Verwandlung der einzelnen Frauenschicksale in ein gemeinsames, das seine Begründung im Glauben hat. Poulenc, der zeitlebens ein gläubiger Katholik war, legt einen großen Teil der Oper eben in der Betrachtung des Glaubens an, er ist aber weit davon entfernt, missionarisch zu wirken. In der Kunst einer Inszenierung sollte trotzdem liegen, die Oper nicht als rein theologische Abhandlung zu begreifen, sie aber auch nicht auf die dramatische Todesvollstreckung zu reduzieren. Der österreichischen Regisseurin Magdalena Fuchsberger, die damit ihr Hausdebüt an der Wiener Staatsoper gab, gelang der Spagat zwar, weil sie vor allem den Ausdruck der Figuren gut zeichnete, aber sanfter als in Wien sind die Nonnen wohl kaum irgendwo in den Tod gegangen, zumal der Schluss auch akustisch so dürftig war, dass die vom Orchester imitierte Guillotine erst beim dritten Mal als solches kenntlich wurde.
Monika Biegler konstruierte für die gesamte Oper eine drehbare Holzkonstruktion, die sämtliche Klosterräume wie auch Gefängnis, Schafott und die Wohnung des Marquis de la Force markierte. Praktisch, dass das Gerüst so wenig Aussagekraft hatte, dass man es bestimmt für ein Dutzend andere Opern verwenden kann. Fuchsberger siedelte in der Ikea-Kirche außerdem noch einige meist tatenlos herumsitzende Totem-Tiere und einen tanzenden Engel an, deren Deutung ungefähr blieb – das in der Oper dauerhaft präsente Thema der Angst wurde so jedenfalls nur hauchdünn gestreift, ein „bloß nicht“ lag über mancher Szene. Bei den Video-Stills von Aron Kitzig war wenigstens die Vagheit zwischen Kitschkirchenfenstern und Breughel-Bildgewalt gewollt: eine KI berechnete die visuellen Ergebnisse, die aber wie eine Diashow eingesetzt wurden und in der Aufmerksamkeit hinter der Szene verschwanden. Auch die Revolution selbst war eine harmlose Nebelshow, hier und da wurde ein Hocker umgekippt, der Rest blieb der Imagination vorbehalten.
Konkret, stark und auch stimmlich durch alle Rollen hervorragend gestaltet war das Spiel des Ensembles, das die schwache Inszenierung wettmachte – Blanche (Nicole Car) sehen wir als lernende, wachsende Novizin mit wirklich wunderschön und klug eingesetztem Sopran, während Mère Marie (Eve-Maud Hubeaux ist eine Entdeckung – sie verfügt über einen charakterstarken Mezzo) die selbstbewusste Konkurrentin gibt. Michaela Schuster als Oberin Madame de Croissy spielt in dieser Inszenierung kaum dahinsiechend, mehrfach springt sie agil von der Pritsche auf, um die Geschicke im Kloster in der Hand zu behalten. Die einzigen männlichen Rollen von Vater (Michael Kraus) und Bruder (Bernard Richter) bleiben trotz feinem Gesang Staffage und können die Tragödie nicht verhindern. Auch Madame Lidoine, die neue Oberin (Maria Motolygina) und Soeur Constance (Maria Nazarova) bringen sich stimmlich gekonnt in die Nonnenschar ein.
Und wenn sich auf der Bühne nur die Holzkirche dreht, übernimmt Bertrand de Billy am Pult des Staatsopernorchesters das Zepter gerne, denn in der Partitur von Poulenc, die eine an Mozart und Bach geschulte, ganz eigene Erzählqualität besitzt, gibt es viel zu gestalten. Genau die Unbeirrbarkeit und Unausweichlichkeit tönt unter seinen Händen vom Orchester der Wiener Staatsoper mit saftigem Forteklang, aber auch mit großer Weichheit in der Unterstützung der Sängerpartien. Am Schluss will dann die Szene noch einmal gewaltig wirken: Während Menschen als Opfermasse am Boden liegen, schreiten die Nonnen als übermächtige Monstranzen auf der Empore zum Schafott. Dass sie sich hier von einer Menschlichkeit durch die Maskierung verabschiedet haben, ist wie manch anderes in dieser Inszenierung unverständlich. Große, absolut hörenswerte Oper war es trotzdem, vom Publikum freundlich aufgenommen.
Erschienen am 31.5.2023