Beyond Interpretation
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Assoziationen: Musiktheater Wissenschaft

Wenn im Bereich der Oper von Aufführungen die Rede ist, so geschieht dies zumeist unter dem Paradigma der Interpretation.1 In der Musik bezeichnet Interpretation nicht in erster Linie – wie etwa in den Text- oder Bildwissenschaften – die erklärende Auslegung eines Textes oder Bildes durch einen anderen Text, sondern die klangliche Verwirklichung eines Notentextes. Zentraler Untersuchungsgegenstand der auf dieser Prämisse aufbauenden Interpretationsforschung und -theorie ist das Verhältnis von Vorlage und Realisierung, wobei immer auch die Geschichte der Interpretationen und somit die Aufführungstradition eine Rolle spielt.2
In diesem Sinne könnte man sagen, die zu Anfang beschriebenen Performances von Maria Bengtsson als Konstanze und David Moss als Orlofsky sind Interpretationen der Partituren von Wolfgang Amadeus Mozart bzw. Johann Strauß, wie es zuvor schon viele gegeben hat. Und in der Tat lassen sich aus der Analyse des Umgangs mit der Vorlage und des Umgangs mit der Geschichte der Aufführungspraxis wertvolle Erkenntnisse für die Analyse der Aufführung gewinnen.
Moss’ Überschlagen der Stimme etwa lässt sich in einer Traditionslinie all derjenigen Orlofsky-Sängerinnen und -Sänger sehen, die das Überschlagen der Stimme als Symptom des alkoholisierten Zustands der verkörperten Figur benutzt haben, wozu in gewissem Sinne schon die Notation einlädt durch die einzelnen, aus der...