2 Theoretische Grundlagen
Beyond Interpretation
Aufführungsanalyse moderner Operninszenierungen
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Assoziationen: Musiktheater Wissenschaft

Wenn im Bereich der Oper von Aufführungen die Rede ist, so geschieht dies zumeist unter dem Paradigma der Interpretation.1 In der Musik bezeichnet Interpretation nicht in erster Linie – wie etwa in den Text- oder Bildwissenschaften – die erklärende Auslegung eines Textes oder Bildes durch einen anderen Text, sondern die klangliche Verwirklichung eines Notentextes. Zentraler Untersuchungsgegenstand der auf dieser Prämisse aufbauenden Interpretationsforschung und -theorie ist das Verhältnis von Vorlage und Realisierung, wobei immer auch die Geschichte der Interpretationen und somit die Aufführungstradition eine Rolle spielt.2
In diesem Sinne könnte man sagen, die zu Anfang beschriebenen Performances von Maria Bengtsson als Konstanze und David Moss als Orlofsky sind Interpretationen der Partituren von Wolfgang Amadeus Mozart bzw. Johann Strauß, wie es zuvor schon viele gegeben hat. Und in der Tat lassen sich aus der Analyse des Umgangs mit der Vorlage und des Umgangs mit der Geschichte der Aufführungspraxis wertvolle Erkenntnisse für die Analyse der Aufführung gewinnen.
Moss’ Überschlagen der Stimme etwa lässt sich in einer Traditionslinie all derjenigen Orlofsky-Sängerinnen und -Sänger sehen, die das Überschlagen der Stimme als Symptom des alkoholisierten Zustands der verkörperten Figur benutzt haben, wozu in gewissem Sinne schon die Notation einlädt durch die einzelnen, aus der Melodielinie ausbrechenden Hochtöne ges und as, die gleichzeitig die übliche Tessitura einer Altistin durchbrechen (Notenbeispiel 1, T. 7, 11, 12, 14, 16, 18).3 Mit dem Gebrummel in den Bass-Regionen greift Moss eine andere Aufführungstradition auf, nämlich das Schwelgen und Orgeln im tiefsten Register, das Star-Mezzos und -Altistinnen vom Schlage einer Brigitte Fassbaender mit Vorliebe praktizieren (Notenbeispiel 1, T. 20-25).4
Vielleicht am eindrucksvollsten war jedoch die Sequenz, in der sich der Vokalexperimentator David Moss nach der Einnahme des Koks und vor Beginn der zweiten Strophe in all seinen außergewöhnlichen stimmlichen Fähigkeiten präsentierte. Und auch diese Sequenz lässt sich – auch – als Auseinandersetzung mit einer Virtuosenpraxis begreifen: mit dem Auszieren einer Kadenz vor dem Abschluss einer Solonummer bzw. hier vor dem da capo. Moss nutzte dafür genau die Stelle, an der die Partitur eine Generalpause vorsieht (Notenbeispiel 2, T. 49).5
Auch im Fall der Berliner Entführung lassen sich unter dem Aspekt der Interpretation gewinnbringende Erkenntnisse formulieren. Calixto Bieito hat den Anspruch, historisches Material der Gegenwart vermitteln zu können, und erhebt den Anspruch, mit seinen Arbeiten den Wirklichkeitsbezug von Oper deutlich machen zu können. Es handelt sich bei ihm immer um eine radikale Befragung einer Vorlage auf ihren Gegenwartsbezug. Osmin zählt ein beachtliches Repertoire an Gräueln auf, die Menschen einander antun können: „Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heißen Stangen; dann verbrannt, dann gebunden und getaucht, zuletzt geschunden.“6 Solche Phantasien lassen sich ohne Weiteres übersetzen, und sie werden in der Inszenierung auch übersetzt: in Sex- und Gewaltpraktiken.
Ein Verhältnis wie das von Vorlage und Interpretation, das hier auf der Ebene der stimmlichen Interpretation bzw. der Interpretation des Textes und der Handlung verfolgt wurde, besteht auch auf der Ebene von auditiven und visuellen Elementen. Hier interessieren vor allem die Bestrebungen, formale und strukturelle Eigenarten des musikalischen Verlaufs szenisch zu beglaubigen.7 So haben sich sowohl Peter Sellars8 als auch Calixto Bieito9 in ihren jeweiligen Inszenierungen von Mozarts Don Giovanni die Frage gestellt, wie sich in der Arie der Donna Anna im 2. Akt „Non mi dir“10 der Affekt- und Tempowechsel vom Larghetto zum Allegretto moderato11 legitimieren ließe. Beide finden die Antwort in einer Manipulation des Körpers der Donna Anna. Bei Peter Sellars, dessen Inszenierung aus dem Jahr 1987 in Spanish Harlem spielt, geschieht die Manipulation des Körpers durch Drogen. Hier ist Donna Anna drogensüchtig und setzt sich zwischen den Teilen ihrer Arie einen Schuss. Ihre Vision von einer besseren und schmerzfreien Zukunft („Forse un giorno il cielo ancora sentirà pietà di me“) wird so als sehr konkrete Vision unter dem Einfluss einer bewusstseinserweiternden Droge verstehbar. In Bieitos Inszenierung geschieht diese Manipulation durch sexuelle Handlungen, die Don Ottavio an Donna Anna vollzieht (Abbildung 4). Der musikalische Tempoumschlag in der Arie wird durch den szenischen Rhythmuswechsel legitimiert und umgekehrt.12
Eine szenische Legitimation einer musikalischen Struktur durch die Manipulation des Körpers wird auch in Bieitos Version der Arie der Konstanze „Ach ich liebte, war so glücklich“13 unternommen, hier jedoch noch nicht beim Affekt- und Tempowechsel vom Adagio zum Allegro, sondern bei der Frage, wie die endlosen, enorm anspruchsvollen, die Extrembereiche der dritten Oktave ausschreitenden Koloraturen szenisch bzw. emotional zu beglaubigen wären. Bassa hat Konstanze mit einem Halsband an einer Art Hundeleine gefesselt und zieht während der ersten Koloraturkette (Notenbeispiel 3, T. 101ff.) daran. Konstanze versucht, die würgende Umklammerung mit den Händen abzuwehren. Er zieht ihr einen Schuh aus und führt ihren Fuß an seinen Mund; er wäscht ihre Haare, streicht mit einem Handtuch über ihren inzwischen halbnackten Körper; bei der letzten Koloraturkette schließlich greift Bassa Konstanze in den Slip und manipuliert sie (Abbildung 5). Die Koloraturen und hohen Töne der Konstanze mögen damit in der Art ihrer Ausführung durchaus als Reaktionen auf die an ihr vollführten Handlungen wirken – als schmerzerfüllte (auch ekstatische?) Lautäußerungen, wodurch die Aktion und der Affekt der Sängerin Auslöser für ihre musikalische Äußerung werden.
Und auch die zu Anfang beschriebene Szene der Arie der Konstanze „Martern aller Arten“ lässt sich in der Bieito-Inszenierung im hermeneutischen Sinn als Interpretation lesen: Der widerspenstigen Konstanze wird in überexpliziter Anschauung vorgeführt, was mit Widerspenstigen geschieht. Ebenso lesen lässt sich eine gewalttätige Kompensation der Ohnmacht der Peiniger angesichts Konstanzes Standhaftigkeit.
Der Fokus auf den Umgang einer Aufführung mit einer Vorlage ist dann besonders gewinnbringend, wenn es sich, wie in diesen Fällen, um Aufführungen von Repertoireklassikern handelt.
„Interpretation“ in der Musikwissenschaft
Das Aufführen historischer Texte (wie es bei Inszenierungen von historischen Repertoireklassikern der Fall ist) macht Interpretation notwendig und damit auch ein Nachdenken über die Interpretation. Hermann Danuser schreibt zur Genese des Begriffs und des Konzepts von Interpretation:
„Interpretation […] kam […] dann auf, als im Zuge des Historismus seit dem 18. und vor allem 19. Jahrhundert das Verstehen musikalischer Werke und ihrer Texte zu einem Problem wurde, das nicht unmittelbar ‚gelöst‘ und in gegenwärtig-aktualisierten Sinn übersetzt werden konnte.“14
Wichtig für das Verständnis von Danusers Interpretationsbegriff ist folgende Grundannahme:
„Der musikalische Text, das Gewebe der von einem Komponisten niedergeschriebenen Sinnbeziehungen, versteht sich […] nicht von selbst. Wie immer er sich auch manifestiert, […] vollständig in dem Sinne, dass die vermittelten Informationen eineindeutig in eine bestimmte Klangrealisation überführbar wären, ist der Schrifttext nie.“15
Der Schrifttext alleine lässt sich also nicht als Maßstab für die Bewertung einer Interpretation heranziehen. Danuser erweitert seine Grundannahme daher um die Vorstellung bzw. die Vision eines komplexen Zusammenhangs, der einer Logik folgt, die es in der Interpretation nachzuvollziehen gilt:
„[…] als eine Bedingung von Interpretation [können wir] die Vision eines komplexen ‚Zusammenhangs‘ der Einzelfaktoren, Elemente, Abschnitte, Sätze eines musikalischen Werkes nennen. Hieraus folgt, dass die interpretative Tätigkeit – soweit sie performativ ist – nicht losgelöst von musikalischer Logik betrachtet werden kann. […] der Interpretationskünstler [hat], um seine Zuhörer fesseln zu können, den Klangprozess des musikalischen Verlaufs möglichst überzeugend, und dies heißt zugleich logisch-folgerichtig und überraschungsreich, zu gestalten […].“16
Doch wer bestimmt die Kategorie „logisch-folgerichtig“? Danuser suggeriert, dass dies durch den „Text“, verstanden als „Zusammenhang eines Sinngefüges, eines Gewebes aus Einzelelementen“17 begründet wird. Gleichzeitig hat er aber – wie zitiert – aufgezeigt, dass ein Text nie „vollständig [ist] in dem Sinne, dass die vermittelten Informationen eineindeutig in eine bestimmte Klangrealisation überführbar wären“. Die zweite Kategorie, die Danuser nennt, ist „überraschungsreich“. Sie verweist auf das notwendig Offene einer Interpretation: „[…] die Interpretation eines Werkes [darf], auch und gerade in ihrer klanglichen Realisierung, als etwas Offenes angesprochen werden.“18 Gleichzeitig macht die Kategorie „überraschungsreich“ deutlich, dass sich dieses Offene innerhalb eines bestimmten bekannten Rahmens abspielen muss, denn um überraschen zu können, muss sich die Interpretation bzw. Aufführung innerhalb des Rahmens von etwas irgendwie Bekanntem abspielen. Die Interpretation bewegt sich also zwischen einer wie auch immer gesetzten Grenze („logisch-folgerichtig“) und einer notwendigen Offenheit oder Freiheit („überraschungsreich“). Vielleicht ließe sich die Konstellation so denken, dass die Grenzen oder Rahmen, an denen Interpretationen gemessen werden, von den Interpretinnen und Interpreten bzw. den Zuhörenden und Zuschauenden stets neu und individuell gesetzt, konstruiert oder gebildet werden. In jedem Fall ist die aktive Aushandlung der Grenze ein notwendiger Akt, um den oben geschilderten Prozess der Überraschung, die nur innerhalb bestimmter Grenzen als Überraschung sicht- und hörbar wird, in Gang zu setzen. Wichtig ist dabei anzuerkennen, dass die Grenzen oder Rahmen nicht gegeben, nicht fix, nicht vorab festgelegt sind, sondern in jedem Moment der Interpretation, in jeder Aufführung neu definiert und konstruiert werden, auf Grundlage der je eigenen Prädispositionen, des je eigenen Vorwissens um das zur Aufführung gebrachte Werk.
Bei einer Aufführung von historischen Repertoireklassikern spielt die Beziehung zum zugrunde liegenden Text immer eine bedeutende Rolle, und zwar sowohl im Produktionsvorgang als auch in der Wahrnehmung, da auch von den Wahrnehmenden immer Bezüge zum eigenen Wissen um diese Vorlage hergestellt werden. In dieser Hinsicht lässt sich Hermann Gottschewskis Ansatz fruchtbar machen, der von der Feststellung ausgeht: „Der Interpret [lässt] die interpretatorische Struktur nicht aus dem Nichts entstehen, sondern [baut sie] auf der Basis der Kompositionsstruktur auf.“19 Gottschewski vertritt insofern eine radikalere Position als Danuser, als er dem Interpreten die volle Verantwortung für das in der Aufführung aufgrund der Interpretation eintretende Kunsterlebnis zuspricht:
„Wieviel von dem Kunsterlebnis, das wir bei der Interpretation einer Beethovenschen Klaviersonate durch einen großen Musiker haben, haben wir Beethoven, wieviel dem Interpreten zu verdanken? Wenn der Interpret im Bewusstsein auftritt, Interpretationskunst auszuüben, neige ich dazu, ihm das volle Recht an seiner Schöpfung auszusprechen.“20
Von dieser Position ist es nur ein kleiner Schritt zu der von mir vertretenen Privilegierung der Aufführung und der Auffassung der Partitur als Material zur Hervorbringung einer Aufführung (und nicht Ausgangsund Zielpunkt einer Interpretation bzw. einer Interpretationsanalyse, wie Danuser vorschlägt). Folgt man Gottschewski, so ergibt sich bei der Frage nach den Analysekriterien für eine Interpretation: Diese Kriterien müssen aufführungsanalytische sein, keine kompositions- oder strukturanalytischen.
Wo sich Ansätze aus der Interpretationstheorie aus der Musikwissenschaft und aufführungstheoretische Überlegungen aus der Theaterwissenschaft ganz nahe kommen und ähnliche Prämissen teilen, ist in der Frage der Relevanz des Publikums. Das Publikum spielt im Interpretationsdiskurs im Falle der Live-Interpretation eine ebenso entscheidende Rolle wie in der Aufführungstheorie. Hierzu schreibt Danuser:
„Neben der Einmaligkeit […] ist es vor allem der kommunikative Aspekt, der die Live-Interpretation von der Nicht-Live-Interpretation unterscheidet. Bei der Live-Interpretation im Konzertsaal kann – ja: muss sogar […] – statt einer solipsistischen Klang-Darstellung eines Werktextes eine Kommunikation, ein wechselseitiges Reagieren, eine rhetorische Bezugnahme des Interpreten auf die Zuhörerschaft zur Geltung kommen. […] der beste Konzertspieler […] [ist derjenige Interpret], der in wachem Wechselspiel mit der Zuhörerschaft den Verlauf eines Werkes spezifisch gestaltet – angepasst an die Bedingungen der Raumakustik, des Instrumentariums, der Wärme im Saal etc. etc., auch an die Fassungskraft des Publikums und an dessen Reaktionen im einzelnen.“21
Danusers Formulierung des „wachen Wechselspiels“ rückt eben jene sich gegenseitig beeinflussenden Prozesse zwischen Agierenden und Publikum in den Blick, die in der Theorie der Aufführung bei Erika Fischer-Lichte als feedback-Schleife beschrieben worden sind.22
Auch zu einer wichtigen Prämisse des Regietheaters, so wie es in dieser Studie verstanden wird, nämlich zu der der notwendigen Aktualisierung eines historischen Materials, findet sich eine Parallele in Danusers Interpretationsansatz, wenn Danuser über die Notwendigkeit der „Kontextualisierung“ einer Interpretation spricht: „Darunter verstehe ich diejenigen Prozesse, die sich ereignen oder die inszeniert werden, um einer musikalischen Interpretation einen Verstehensbezug in der Gegenwart zu sichern.“23 Die Anpassung an den Verstehenshorizont der Gegenwart ist ein Aspekt, den unter anderem Wolfgang Ullrich für das Regietheater stark macht und dessen Ursprung er bereits bei Hegel findet. Nach Wolfgang Ullrich wurde in Hegels in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in mehreren Zyklen in Berlin entstandenen Vorlesungen über die Ästhetik„wohl zum ersten Mal eigens und differenziert über die Herausforderung nachgedacht, die es bedeutet, ein bereits älteres Kunstwerk – ein Theaterstück oder eine Oper – neu zu inszenieren.“24 Hegel schrieb:
„Werden daher fremde [d. h. vor allem ältere] dramatische Werke in Szene gesetzt, so hat jedes Volk ein Recht, Umarbeitungen zu verlangen. Auch das Vortrefflichste bedarf in dieser Rücksicht einer Umarbeitung. Man könnte zwar sagen, das eigentlich Vortreffliche müsse für alle Zeiten vortrefflich sein, aber das Kunstwerk hat auch eine zeitliche, sterbliche Seite, und diese ist es, mit welcher eine Änderung vorzunehmen ist. Denn das Schöne erscheint für andere, und diejenigen, für welche es zur Erscheinung gebracht wird, müssen in dieser äußeren Seite der Erscheinung zu Hause sein können.“25
In diesem Sinne könnte man auch Danusers Plädoyer für die Kontextgebundenheit der Interpretation und die daraus gefolgerte Pflicht zur Veränderung und Innovation verstehen:
„Aus der Tatsache […], dass die Kontextgebundenheit der Interpretation, sowohl der performativen wie der hermeneutisch-kritischen, nicht aufgehoben werden kann, leite ich für den Interpreten die Pflicht ab, den auch für uns je und je geltenden Kontext zu reflektieren, um hieraus Möglichkeiten von Veränderung und Innovation zu gewinnen.“26
Im Rückblick auf Hegel und Ullrichs Hegel-Lektüre könnte man diese Passage gar als Plädoyer für die Notwendigkeit aktualisierenden Regietheaters weiterdenken.
Inwiefern selbst kompositionsanalytische Verfahrensweisen auf Interpretationen und Aufführungsdimensionen basieren, demonstrieren Hans-Joachim Hinrichsens Studien zu Hans von Bülows Beethoven-Deutungen (in Hinrichsens Worten: dessen „praktischer Interpretation“ als Dirigent von Beethovens Orchesterwerken) und zu Hugo Riemanns musikwissenschaftlichen Analysen. Hinrichsens Perspektive haben wir die ebenso überraschende wie überzeugende Erkenntnis zu verdanken, dass und wie sehr angeblich text- und werkzentrierte musikwissenschaftliche Analysen von Kompositionen von der jeweiligen Erfahrung klanglicher Realisierungen, also von den je spezifischen und zeitgebundenen Interpretationen, abhängen. Hinrichsens These ist, dass Riemann als Schüler Bülows seine Theorie an Bülows praktischer Interpretation entwickelt, hernach aber die Quelle seiner Theorie (also die Praxis) verschwiegen hat:
„Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Musik zehren in einem Ausmaß von der klingenden Realität (so wie sie auf diese ihrerseits zurückwirken), von dem sie selbst oft nur noch wenig mitteilen. […] In Wahrheit beruht die vermeintlich sachbezogen-objektive Deskription nicht auf der Evidenz der analysierten Struktur, sondern – von heute aus erkennbar – auf der Erfahrung mit dem charakteristischen Interpretationsstil der eigenen Zeit. […] Es ist nie ‚das Werk selbst‘, zu dem eine wissenschaftliche Analyse des Notentextes vorstößt, sondern immer dessen kategoriale Repräsentation im Zirkel von notiertem Text und klingender Realisierung und damit von praktischer und theoretischer Interpretation.“27
Die Relevanz der klingenden Realität als Basis des Nachdenkens und Schreibens über Musik wird auch in Carolyn Abbates Aufsatz „Music – Drastic or Gnostic?“ betont, in dem die Verfasserin ihrer eigenen Disziplin, der Musikwissenschaft, die selbstkritische Diagnose ausstellt, dass diese sich stets und ausschließlich als hermeneutische Disziplin verstanden und dabei ihren eigentlichen Gegenstand, die sinnlich erfahrbare, erklingende Musik aus den Augen bzw. aus den Ohren verloren habe.28 Statt die Erfahrungsdimension beim Hören zum Thema zu machen, werde in musikwissenschaftlichen Analysen in der Regel mehr Wert bzw. der Fokus ausschließlich auf die Entdeckung verborgener Bedeutungsschichten im Notentext gelegt, obwohl es in der Regel die Erfahrungsdimension des Hörens und nicht der geschriebene Notentext gewesen sei, also das Hören von Musik, das die Analysierenden überhaupt zu ihrem Gegenstand verführt habe.
Oper in performance und der Werkbegriff
Dass in erster Linie der Notentext und nicht die klingende Realität fokussiert wird, liegt zum großen Teil im Verständnis dessen begründet, was eigentlich Gegenstand der Untersuchung ist. Damit ist die Frage aufgeworfen, inwiefern und auf welcher Ebene dieser Gegenstand in den tradierten (oder neu definierten) Zuschreibungen als „Kunstwerk“ adressiert werden kann. Mit dem Konzept des Kunstwerks ist eine lange und intensiv geführte Debatte der kunstwissenschaftlichen Disziplinen aufgerufen. Wenn es um die performativen Künste – wie Musik und Theater – geht, wird die ohnehin sehr verwickelte Diskussion um den Werkbegriff noch unüberschaubarer. Über die anhaltende Präsenz dieser Debatte – insbesondere im Zuge der immer wieder laut werdenden Forderungen nach Werktreue – kann weder hinweggesehen werden, noch kann die Diskussion einer einfachen Lösung zugeführt werden. Stattdessen wird in dieser Studie mit Verweis auf Positionen von Albrecht Wellmer, Anselm Gerhard und Erika Fischer-Lichte für ein erweitertes Werkverständnis plädiert, dem ich mich verpflichtet fühle.
Der Philosoph Albrecht Wellmer, der sich ausführlich auch mit Fragen der Kunst, insbesondere der performativen Künste, beschäftigt hat, bemerkt zum Problem des Werkverständnisses:
„Die Werke [haben] ihr Sein nur im geschichtlichen Prozess ihrer Realisierung, Interpretation und Rezeption […]. Um die Frage zu beantworten, wie und wo die Werke ‚sind‘, muss man immer Realisierung (Aufführung), Interpretation und Rezeption als dieses ‚wie‘ und ‚wo‘ mitdenken. Das Sein der Werke ist ein durch und durch geschichtliches und von dem ‚wie‘ und ‚wo‘ ihrer Realisierung und Erfahrung nicht abtrennbares. Auch wenn sich die Seinsweise von Kunstwerken nicht von ihren empirisch auffindbaren Wirkungen her bestimmen lässt, geht doch die Empirie ihrer Wirkungen, geht die Geschichte ihrer Rezeption in die Gestalt ein, in der die Werke jeweils auf uns kommen.“29
Noch immer – und ganz besonders in den Debatten um aktuelle Inszenierungen von bekannten Repertoirewerken der Oper – geistert der höchst problematische Begriff der „Werktreue“ als Gütesiegel und Forderung durch Publikumszuschriften, Internetforen und Blogs, wenngleich in der Theaterwissenschaft und inzwischen auch in der Opernforschung die Unmöglichkeit eines solchen Konzepts mehrfach überzeugend unter Beweis gestellt wurde. So formulierte der Musikwissenschaftler Anselm Gerhard:
Es „muss die Frage erlaubt sein, wie denn ‚Treue‘, ‚Authentizität‘ in einem Medium möglich sein sollen, das einen ontologischen Transformationsprozess zur Grundlage hat […]. Es hilft kein Drehen und Wenden: Dem […] Begriff ‚Werktreue‘ fehlt nicht nur jede Trennschärfe, sondern überdies jede Möglichkeit, den vertrackten Widersprüchen und Aporien einer vom Historismus geprägten Kultur gerecht zu werden, die darauf beharrt, vor allem vergangene ‚Werke‘ in die Gegenwart einer heutigen Bühnenaufführung zu transformieren.“30
Die Position aus der Theaterwissenschaft, auf die Gerhard sich dabei bezieht, hat Erika Fischer-Lichte pointiert formuliert:
„Der Begriff der ‚Werktreue‘ kann […] nicht als ein objektiv beschreibender Begriff gebraucht werden. Er stellt vielmehr einen subjektiv-normativen Wertungsbegriff dar […].“31
Auf der Seite der künstlerischen Praxis hat sich zum Beispiel Peter Konwitschny im Gespräch mit Barbara Beyer in ganz ähnlicher Weise geäußert:
„Wir haben die Partituren nur als Vorlage. Die Partitur ist das Skelett, das eigentliche Theater entsteht mit den lebenden Menschen, die leihen ihr Leben dem Werk für eine gewisse Zeit aus, wodurch das Skelett für drei Stunden belebt wird. […] Es ist nicht unsere Aufgabe, die Stücke so zu inszenieren, wie es sich die Autoren vorgestellt haben, wie sollte das auch gehen? Unsere Aufgabe ist es, bestimmte wichtige Fragen so zu stellen, dass darüber diskutiert wird. Die Stücke sind das Material dazu, sie sind kein Selbstzweck. […] Wir können Theater nicht wie vor hundert oder zweihundert Jahren machen. Die Noten sind das Material, und unsere Gegenwart dringt da ein, das ist unvermeidlich. In zehn Jahren arbeiten wieder andere Leute am Theater mit anderen Erfahrungen. Und ihre Anschauung, ihre Interpretation eines Stückes wird zwangsläufig eine andere sein als die unsere. Ein Roman, den man mit Zwanzig liest und dann noch einmal zwanzig Jahre später, wird auch zu einem neuen Buch. Dieses Verständnis müsste mehr verbreitet und selbstverständlicher sein, auch bei Kritikern.“32
Es soll hier nicht darum gehen, die Schriftlichkeit und Werkbezogenheit von Musiktheater ganz infrage zu stellen oder zu eliminieren. Ziel ist, auf die Aufführung von Musik als kultureller Praxis mit ebensolchem Anspruch auf wissenschaftliche Reflexion hinzuweisen, wie ihn die im Notentext fixierte Musik in der Musikwissenschaft seit jeher hat. Es ist ja gerade die anhaltende Relevanz des Werkkonzepts in der Musik für die Aufführungspraxis von Oper, die Inszenierungen und Aufführungen, die festgefügte Erwartungshaltungen in Spannung bringen, so aufregend macht. Erst in der Abweichung von einem vermeintlich stabilen Ursprung erweist sich eine solche Aufführung als wirkmächtig. Und zu diesem Ursprung zählen genauso das Ausgangsmaterial (die Partitur, das Libretto, die Diskurse über die jeweilige Oper, das, was von ihr als Wissen in der Welt ist) wie die Erwartungshaltungen der Zuhörenden und Zuschauenden. Alles ist in Rechnung zu stellen. Nur der Fokus der Betrachtung sollte sich ändern. Die Aufführung sollte nicht als ein weiteres Mosaiksteinchen zum besseren Verständnis der Partitur betrachtet werden, sondern umgekehrt: Das verbreitete Wissen über eine Vorlage sowie die Tatsache von Vorwissen überhaupt sollte zur Analyse der Kulturpraxis Aufführung herangezogen werden.33 Denn das immer wieder Faszinierende an solchen Aufführungen ist gerade die Differenzerfahrung – die Spannung, die sich zwischen der bekannt geglaubten Vorlage und der erfahrenen Aufführungswirklichkeit einstellt, die Beobachtung, wie weit der Bogen gespannt ist und wie sich diese Spannung auf die Zuhörenden und Zuschauenden überträgt.34
Oper in performance als Arbeit am „Mythos“
In einem Gespräch mit Barbara Beyer haben der Regisseur Jossi Wieler und der Dramaturg Sergio Morabito, die zahlreiche Operninszenierungen als Duo realisiert haben, genau an dieser Stelle einen bezeichnenden Dissens. Jossi Wieler fordert für die Zukunft der Arbeit an der Oper etwas, das im Schauspiel schon längst übliche Praxis ist:
„Was im Schauspiel vor zwanzig, dreißig Jahren undenkbar war – eine Emilia Galotti als Material zu benutzen oder Ibsens Frau vom Meer –, ist heute eine Selbstverständlichkeit und sollte im Musiktheater ähnlich möglich sein. […] Man müsste mit einem Stück ja wie mit einer Uraufführung umgehen, und man bräuchte neben dem Operndramaturgen den Dirigenten als Mitarbeiter und jemanden, der das Werk quasi neu komponiert. Ich glaube schon, dass man Oper dekomponieren kann, was aber nicht heißt, dass man es muss […].“35
Dagegen wendet Sergio Morabito ein:
„Mit einem solchen Denkansatz habe ich ein Problem. […] unsere Aufgabenstellung [verlangt] etwas, was mit unserem heutigen Denken, Fühlen und Verstehen eigentlich nicht vereinbar ist, nämlich eine für eine bestimmte historische, nicht mehr existierende Theaterform geschriebene Opernpartitur wieder lebendig werden zu lassen – und darin liegt die eigentliche Herausforderung von Opernregie, genau hier setzt das Experiment an, das Wagnis unserer Arbeit. […] es geht doch gerade um das, was sich widersetzt, was nicht aufgeht, das, was unserem heutigen Theater so rettungslos fremd ist, und es wäre fatal, dieses Irritierende einfach herauszunehmen.“36
Möglicherweise könnte ein Bezug auf einen anderen Begriff als den des Werks deutlicher machen, was die spannungsvolle Beziehung zwischen einer bekannt geglaubten Vorlage und einer aktuellen Aufführung ausmacht. Vielversprechend erscheint hier eine bestimmte Auffassung vom Mythos, wie sie sich unter anderem in den Theorien von Hans Blumenberg und Claude Lévi-Strauss zeigt. Ausgehend von ihren Mythoskonzeptionen möchte ich behaupten, dass sich die Auseinandersetzung mit Opern vergangener Epochen als eine „Arbeit am Mythos“ begreifen lässt.
In seinem 1955 erschienenen Aufsatz „Die Struktur der Mythen“ hat der Anthropologe Claude Lévi-Strauss formuliert:
„Ein Mythos bezieht sich immer auf vergangene Ereignisse: ‚Vor der Erschaffung der Welt‘ oder ‚in ganz frühen Zeiten‘ oder jedenfalls ‚vor langer Zeit‘. Aber der dem Mythos beigelegte innere Wert stammt daher, dass diese Ereignisse, die sich ja zu einem bestimmten Zeitpunkt abgespielt haben, gleichzeitig eine Dauerstruktur bilden. Diese bezieht sich gleichzeitig auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“37
Der Mythos bezieht seine Ausstrahlungskraft und Verbreitung also unter anderem daraus, dass er immer etwas Vergangenes erzählt, auf etwas Vergangenes verweist und daher eine Wiederholungsstruktur entstehen lässt, dass er aber zugleich hilft, die Gegenwart zu ordnen, zu strukturieren und Handlungsoptionen für die Zukunft zu entwerfen. Was mich an Lévi-Strauss’ Mythoskonzeption jedoch besonders interessiert, ist die aus seinen Analysen gewonnene Erkenntnis, dass es unter den zahlreichen Fassungen eines Mythos keine authentische geben kann, dass sie alle als gleichberechtigte anzusehen sind. Mit seiner Theorie überwand Lévi-Strauss die „Schwierigkeit, die bisher eines der Haupthindernisse für den Fortschritt der mythologischen Forschungen bildete, nämlich der Suche nach einer authentischen oder ursprünglichen Version,“38 und schlägt stattdessen vor, „jeden Mythos durch die Gesamtheit seiner Fassungen zu definieren“.39 Er fährt fort: „Da ein Mythos aus der Gesamtheit seiner Varianten besteht, muss die Strukturanalyse sie alle mit dem gleichen Ernst betrachten.“40„Es gibt keine ‚wahre‘ Fassung, im Verhältnis zu der alle anderen Kopien oder deformierte Echos wären. Alle Fassungen gehören zum Mythos.“41 Hans Blumenberg stellt diesen Zusammenhang in seinem Buch Arbeit am Mythos auf ähnliche Weise dar:
„Der Mythos ist immer schon in Rezeption übergegangen, und er bleibt in ihr, mit welcher Gewaltsamkeit auch immer seine Fesseln gesprengt, seine Endform festgestellt werden sollen. Wenn er nur in Gestalten seiner Rezeption uns vorliegt, gibt es kein Privileg bestimmter Fassungen als ursprünglicher oder endgültiger. […] Freud und Sophokles wären danach gleichermaßen als ‚Quellen‘ für den Ödipus-Stoff anzusehen. Alle Varianten hätten Anspruch auf den gleichen mythologischen Ernst.“42
Zugespitzt ausgedrückt: „Die Rezeption der Quellen schafft die Quellen der Rezeption.“43 Das Faszinierende am Mythos ist die Unabgeschlossenheit, die Unabschließbarkeit – die Möglichkeit und Notwendigkeit, den Mythos mit jeder Arbeit weiterzuschreiben, neu zu schreiben, wieder zu schreiben. Jede Fassung schreibt den Mythos fort und hat doch Anteil an dem großen Ganzen des Mythos.44
Inwiefern hat nun dieses Modell Relevanz für eine Bestimmung von Oper aus der Perspektive ihrer Aufführung? Zum einen: Die Vorlieben der Theater, Dirigentinnen, Dirigenten, Regisseurinnen und Regisseure, Dramaturginnen und Dramaturgen, sich immer wieder mit bekannten Stoffen und Opern zu beschäftigen, und die Lust des Publikums, sich diesen eigentlich doch längst bekannten Stoffen und Opern immer wieder auszusetzen, liegen in einer dem Mythos ähnlichen Zeitlichkeit der Vorlagen begründet. Wenn Operninszenierungen mit historischem Material (also bekannten Stücken, Texten, Partituren) arbeiten, wird dieses immer auch neu perspektiviert, mit den Mitteln der Gegenwart weitergeschrieben. Das Modell ist also denkbar als Erklärung der Tatsache, dass sowohl Komponisten sich immer wieder alten Stoffen (also den Mythen und Handlungen) widmen, als auch Opernhäuser, Dirigenten und Regisseure sich immer wieder mit alten Opern (also die bereits in Texte und Noten geformten Mythosvarianten) auseinandersetzen.
Eine zweite Möglichkeit der Analogie ist jedoch meines Erachtens noch reizvoller. Sie hat mit dem Verhältnis von Partitur und Aufführung in der Oper zu tun. Aus meiner Sicht vermag die Übertragung der Mythoskonzeption die Argumentation zu stützen, dass es keine endgültige, alleinige Gestalt einer Oper als Werk geben kann, dass vielmehr eine Oper nur in der Fülle ihrer unterschiedlichen Aufführungen existiert. Mich interessiert dabei die Absage an die Möglichkeit, mit einer Aufführung oder Inszenierung so etwas wie die Essenz eines Werks treffen zu können. Jede Aufführung einer Oper ist eine Auseinandersetzung mit einem Material, worunter das konkrete Text- und Notenmaterial gemeint ist, die Stimmen und Körper auf der Bühne sowie das angehäufte Wissen über die Vorlage und über die vorangegangenen Aufführungen (also die Aufführungsgeschichte45). In der Sprache der Mythostheorie wären die eingesetzten Materialien immer weitere, gleichberechtigte Fassungen.
Wenn nun eine Regisseurin, ein Regisseur, ein Theater sich eine Oper vornimmt, so geht es nie allein um die Arbeit eines bestimmten Komponisten, sondern in der Regel auch um einen vorausgespürten Kern eines Themas. „Vorausgespürt“ deswegen, weil ein thematischer Kern eigentlich erst durch das Übereinanderlegen der verschiedenen Fassungen oder Blätter sichtbar wird. Als „Fassungen“ können in der Lesart der Arbeit an der Oper als Arbeit am Mythos sowohl die konkreten Libretti, die Partituren, aber auch die verschiedenen Inszenierungen und Aufführungen verstanden werden. Damit wird deutlich, wie stark auch verschiedene Vertonungen des gleichen Stoffes oder verschiedene Inszenierungen der gleichen Oper in der Produktion einer Oper sowie in der Wahrnehmung durch die Zuhörenden und Zuschauenden (als Wissenshorizonte) eine Rolle spielen. Es tritt klar hervor, dass das Ziel einer Aufführung nicht in erster Linie darin besteht, ein besseres Verständnis einer Oper oder die Bewahrung einer Tradition zu gewährleisten, sondern dass es sich vielmehr um jeweils neue Versuche handelt, über die Auseinandersetzung mit dem Material eine Haltung zur Welt und zu sich selbst zu gewinnen.
Die Unabgeschlossenheit, die Unabschließbarkeit des Mythos meint in der Übertragung auf die Oper somit, dass ebenso wie jede Fassung des Mythos den Mythos weiterschreibt, auch jede Inszenierung bzw. Aufführung an der Oper weiterschreibt. Für die Analyse ergibt sich daraus die Aufgabe, Beziehungsbündel aufzuspüren, zu beschreiben und zu deuten, um – bei gleichzeitigem historischen Bewusstsein – die Gegenwärtigkeit der Arbeiten aufzudecken.
Jenseits von Hierarchisierungen: der Material-Begriff
Wieso eignet sich die Analogie zum Konzept des Mythos besser als der Zugang über den Begriff der Interpretation? Gerade bei Inszenierungen des aktualisierenden Regietheaters ist nicht nur vom Publikum, sondern häufig auch in der Presse zu hören: „So kann man das aber nicht machen.“ Abgelehnt wird gerade die Spannung, die Reibung, die sich zwischen der Vorlage, den vermeintlich bekannten Intentionen ihrer Autoren, und deren Realisierung bildet. Selbst unter Rezipierenden aus dem Bereich der professionellen Kritik oder der Wissenschaft, die dem Regietheater eigentlich wohlgesonnen sind, ist dann der Vorwurf zu hören, diese Inszenierung habe sich nun aber wirklich zu weit von der Vorlage entfernt. Zwei Widersprüche tun sich aus meiner Sicht hier auf: Erstens hat die Anwendung des Interpretations-Paradigmas im Falle der Performances von David Moss und Maria Bengtsson gezeigt, wie nah diese radikalen Inszenierungen ihren Vorlagen in textlicher wie musikalischer Hinsicht gekommen sind und insofern als Interpretationen verstanden werden können. Zweitens – ein theoretisch wesentlich gewichtigeres Problem: Wie lässt sich überhaupt so etwas denken, wie einer Vorlage nahekommen zu wollen, die unter völlig anderen kulturellen, sozialen und ästhetischen Bedingungen entstanden ist? Wie weidlich bekannt, können wir hinter die Seh- und Hörerfahrungen, die wir als Zeugen des 20. und 21. Jahrhunderts gemacht haben, nicht mehr zurück. Keiner kann seine Augen und Ohren auf das 18. Jahrhundert oder irgendeine andere Zeit als die seine oder ihre zurückjustieren. Das methodische Hauptproblem liegt meines Erachtens darin, dass man sich mit dem Begriff der Interpretation genau diese Bedrängnis einkauft, einer Vorlage nahekommen zu wollen, mit der man gar nicht anders umgehen kann als in einem kreativen Dialog. Der Begriff der Interpretation impliziert, zumindest in der landläufigen Auffassung, eine Tendenz zur Etablierung einer Hierarchie zwischen Partitur und Aufführung – einer Hierarchie, die der Partitur einen höheren Stellenwert einräumt als der Aufführung und die Partitur als Ausgangs- und Zielpunkt der Analyse von Interpretationen bzw. Aufführungen festschreibt, da nach dieser Vorstellung die Aufführung nur eine der potenziell unendlich vielen Realisierungsmöglichkeiten der Partitur darstellt. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Partitur alle möglichen Aufführungsrealitäten bereits enthält. Zum einen werden damit bestimmte Aufführungsrealitäten ausgegrenzt, nämlich die, die sich nach den gängigen Übersetzungsregeln (also nach der sogenannten historisch orientierten Aufführungspraxis) nicht aus der Partiturlektüre und -analyse gewinnen lassen. Es wird also eine normative Position eingenommen. Zum anderen versperrt diese Auffassung genau aus diesem Grund den Blick für viele existierende Aufführungsrealitäten sowie für Elemente der Aufführung, die a priori gar nicht Bestandteil eines mit schriftlichen Zeichen operierenden Mediums wie der Partitur sein können, wie etwa konkret erklingende Stimmen oder in ihrer Materialität einen Raum füllende Körper etc.
Schon Eggebrecht widerspricht dieser Einengung des Interpretationsbegriffs, wenn er schreibt: „Die Qualität der I.[nterpretation] gilt als abhängig vom Grad der Annäherung ans kompositorisch Gemeinte. Doch das Streben nach der richtigen I.[nterpretation] wird durchkreuzt durch die individuelle und geschichtliche Subjektivität des Interpreten.“46 Dennoch finden sich in der musikwissenschaftlichen Diskussion um den Interpretationsbegriff weiterhin bestimmte Unklarheiten, wenn etwa Hermann Danuser wie erwähnt zwar von der „vollen künstlerischen Verantwortung“47 des Interpreten schreibt, „seine Zuhörer zu fesseln“,48 und davon, dass der Notentext „kein Maßstab ist, der über richtig oder falsch zu befinden erlaubte“,49 doch im gleichen Atemzug davon ausgeht, dass nur eine „logisch-folgerichtige“50 Gestaltung den Zuhörer fesseln könne und dass eine „Darstellung komplexer Musik nicht gelingen könne ohne analytisches Durchdringen der Partitur, ohne welches die Zusammenhänge, Differenzen und Funktionen der Teile der musikalischen Form unklar blieben“.51Zum Vorschein kommt, wie gesagt, eine Tendenz, die doch eine Hierarchie zwischen Partitur und Aufführung herstellt52 und zwar die Partitur als Ausgangs- und Zielpunkt der Analyse von Interpretationen bzw. Aufführungen festschreibt.
Befreien könnte man sich aus diesem theoretischen wie ästhetischen Dilemma, wenn man den Fokus bei der Betrachtung des Verhältnisses von Partitur und Aufführung, von Textvorlage und musiktheatraler Realisierung verschieben würde und die angebliche Notwendigkeit, eine Inszenierung auf die Richtigkeit des Umgangs mit einer Vorlage zu reduzieren, hinter sich lassen würde. Insbesondere geprägt durch den performative turn in den Geisteswissenschaften, aber auch im Anschluss an Überlegungen aus der Musikwissenschaft – etwa von Nicholas Cook, der unter der Überschrift „music as performance“53 unter anderem eine „stärkere Berücksichtigung von Körper und Körperlichkeit“ einfordert, „sei es in Hinsicht auf Klangproduktion, Körperbewegungen, Gesten usw. oder im Blick auf die ‚leibliche Responsivität‘ der Zuhörer oder des Publikums“54 –, wird das Verhältnis zwischen Partitur und Aufführung in dieser Studie aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet und beleuchtet. Was würde passieren, wenn wir statt von der Aufführung als Interpretation einer Partitur von der Partitur als eines von verschiedenen Materialien zur Hervorbringung einer Aufführung sprechen würden? Auch unter dieser Perspektive bliebe es dabei, dass die Partitur als eines der – auch von den Produktionsteams – privilegierten Materialien bei der Analyse heranzuziehen wäre, aber eben nicht als Ausgangs- und Zielpunkt der Betrachtung der Aufführung. Wenn hier von „Material“ die Rede ist, so ist damit nicht ein spezifisches der in der Literatur und Theorie zum Material entfalteten Konzepte gemeint (etwa dasjenige Adornos oder Butlers), sondern ein Wortgebrauch, der im Sinne von Spiel- und Gebrauchsmaterial eine Differenz zum Status des Textes im Prozess der Analyse markieren soll. Mit dem Begriff soll angezeigt werden, dass der Text nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Material unter anderen Materialien (Stimmen, Körper, Kostüme, Bewegungen etc.) ist, um eine Aufführung hervorzubringen. Diese Auffassung geht davon aus, dass dann auch nicht der Text und das Verhältnis der Aufführung zum Text die entscheidenden Komponenten zur Beurteilung einer Aufführung sind, sondern die vielen verschiedenen Beziehungen, die eine Aufführung zwischen den einzelnen Materialien neu zu schaffen vermag.55
Diese Fokusverschiebung öffnet den Blick zum einen auf all jene Elemente der Aufführung, die sich nicht so einfach oder gar nicht auf eine Schriftform der Partitur zurückführen lassen wie etwa die besondere Stimmlichkeit und Körperlichkeit der Sängerdarstellerinnen und -darsteller, zum anderen auf die Eigenart, durch die sich die Aufführung gegenüber Texten und anderen Artefakten unterscheidet und auszeichnet: dass sie nur im Moment, in der Zeit ihres Erscheinens existiert. Das ist es, was in dieser Studie fokussiert wird: Die Aufführung als ein lebendiges, aktuelles, einmaliges und für die Gegenwart relevantes Geschehen zu verstehen, das auch eigenen Regeln der Gegenwart gehorcht und das mit ganz verschiedenen gegenwärtigen wie historischen Materialien umgeht. Gegenwärtigen Materialien, also Stimmen, Körpern, Bewegungen, Bildern. Historischen Materialien, also etwa einer Partitur Mozarts, Verdis, Wagners oder eines anderen Komponisten und einer Textvorlage, einem Libretto. Es geht um die Live-Präsenz des Theaters, die sich genau und nur in der gleichzeitigen leiblichen Anwesenheit von Akteuren und hörenden Zuschauern ereignet, um das Unvorhersehbare und Beeinflussbare der Aufführungsdimension, die feedback-Schleife zwischen Bühne und Zuschauerraum.56
Denn was etwa in der Arie der Konstanze in der Generalprobe in der Komischen Oper Berlin auf der performativen Ebene geschah, war meines Erachtens noch viel aufregender als das, was eine hermeneutisch operierende Interpretation zutage fördern könnte. Das, was zu sehen war, setzte in all seiner Drastik unsere Körper, unseren Wahrnehmungsapparat einer Grenzerfahrung aus. Die Martern-Arie ist einer der vokalen Höhepunkte einer jeden Entführung, zumal bei einer so exquisiten Konstanze wie der von Maria Bengtsson. Ein Publikum, das dieser Arie vielleicht schon den ganzen Abend entgegenfiebert, würde sich nie zu einer Störung dieser Nummer, wie sie schon ein Husten bedeuten würde, hinreißen lassen, geschweige denn zu einem aktiven Eingreifen durch Zwischenrufe, wenn hier nicht etwas für die Wahrnehmung der Zuhörenden und Zuschauenden Außergewöhnliches passiert wäre. Die Proteste lassen sich vor diesem Hintergrund als physisch notwendige Reaktionen der Abwehr gegen einen Angriff auf den eigenen Körper in seiner Wahrnehmung verstehen. Wenn es keine körperlich notwendige oder zwingende Reaktion gewesen wäre, dann hätte kaum jemand gerade in diese Arie hinein protestiert.
Die Bieito-Inszenierung der Entführung hat, indem sie die Vorlage ernst (für viele zu ernst) genommen hat, bei vielen Zuschauenden und Zuhörenden bestimmte Scham- und Tabugrenzen überschritten und damit ganz explizit Grenzerfahrungen ermöglicht, die die Oper als ein aktuelles Medium hervortreten lassen. Diese Grenzerfahrungen bzw. Grenzüberschreitungen haben ganz konkrete physische Reaktionen und Handlungen ausgelöst, wie das Verlassen des Zuschauerraumes, Türenknallen, Zwischenrufe. Was hier geschehen ist, ist als ein Grad von Involviertsein zu bezeichnen, der sich in ganz konkreter aktiver Partizipation manifestiert. Der Angriff auf unsere optische Wahrnehmung hatte aber noch etwas weiteres zur Folge: In der Wechselwirkung und gegenseitigen Intensivierung von optischer und akustischer Wahrnehmung schien es, als würden unsere Ohren förmlich durchgepustet, als würde mit einem kräftigen Wisch das Rokoko-Puder, das sich wie Mehltau auf unsere Rezeption der Arie der Konstanze gelegt hatte, weggeblasen und damit freigelegt, welche stimmliche und akustische Grenzerfahrung diese Arie eigentlich bedeutet. Dies lässt sich auch als eine Auseinandersetzung mit den verharmlosenden Vorstellungen von den in den Opern verhandelten Abgründen bzw. mit der Verdrängung dieser Abgründe in Teilen des Publikum verstehen.
Und der Gesang? Und Maria Bengtsson? Sie sang um ihr Leben, um ihr Überleben, nicht nur in der Rolle der Konstanze angesichts der von ihr beschworenen und in aller Deutlichkeit vorgeführten Martern, sondern auch als Sängerin angesichts eines entfesselten und akustisch sie übertönenden Publikums. Mit aller ihr zur Verfügung stehenden Vehemenz setzte sie sich gegen die von ihrem Publikum ausgehenden Fluten des Missfallens zur Wehr. In meiner Erinnerung war die Wirkung ihrer Arie eine doppelte: Ihr Gesang wurde noch intensiver und drängender, als er es ohnehin immer schon ist, gleichzeitig vermittelte sich eine Fragilität und Schutzbedürftigkeit. Beides zusammen – verursacht auch und besonders durch das Eingreifen des Publikums – machte diesen Moment zu einem schmerzhaften, intensiven, alle Sinne fordernden, überfordernden, überwältigenden.
Was hier zu erleben war, ist das, was aus performativer Perspektive für jede Aufführung gilt, nämlich die aktive Partizipation des Publikums und das Wechselverhältnis mit den Agierenden und den Prozessen auf der Bühne. Das heißt nicht, dass sich die für das Performative charakteristische Interaktion immer in solchen Extremen, solchen lautstarken Äußerungen, wie es Proteste sind, äußern muss. Andere Symptome von Interaktion sind gespannte, lautlose Konzentration oder lautstarker Applaus, Ovationen, vielleicht nirgends anders so heftig wie in der Oper, aber auch Unkonzentriertheit, Langeweile und Desinteresse des Publikums – Aktivitäten bzw. Passivitäten, die von den Agierenden gespürt werden und damit Einfluss auf den Verlauf der Aufführung haben. In der „Martern“-Szene der Generalprobe der Entführung aus dem Serail hat sich die Interaktion ganz konkret als Wechselspiel zwischen Bühne (Gesang, Aktion), Publikum (Proteste, Zwischenrufe, Abwenden) und wieder Bühne (umso intensiveres Singen) ereignet. Hier hat das stattgefunden, was in der Aufführungstheorie nach Erika Fischer-Lichte als „autopoietische feedback-Schleife“ bezeichnet wird,57 die sich genau und nur in der gleichzeitigen leiblichen Anwesenheit von Akteuren und hörenden Zuschauern als das Unvorhersehbare und Beeinflussbare der Aufführungsdimension ereignet. Mit Theorien der Interpretation lässt sich das nicht mehr greifen. Notwendig ist eine Erweiterung des Blickwinkels auf Theorien, die sich der Aufführung als Ereignis sui generis widmen.
1Zu den vielfältigen Facetten der Geschichte und des Gebrauchs des Terminus Interpretation vgl. ausführlich Riethmüller: Interpretation in der Musik.
2Vgl. Eggebrecht, Hans Heinrich: Interpretation, in: Dahlhaus, Carl/ders. (Hrsg.): Brockhaus Riemann Musiklexikon, Bd. 2, Mainz 1979, 21995, S. 241.
3Strauß, Johann: Die Fledermaus. Text: Richard Genée, RV 503, Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Michael Rot, Wien (Strauß Edition) 1999, S. 207f., T. 7, 11, 12, 14, 16, 18.
4Ebd., S. 208, T. 20–25.
5Ebd., S. 211, T. 49.
6Mozart: Entführung, S. 85f.
7Siehe dazu auch Kapitel 3.1.
8Premiere beim Monadnock Music Festival, Manchester (NH) 1980; Wiederaufnahmen: PepsiCo Summerfare, Purchase (NY) 1987; Wiener Festwochen 1989; Videoaufzeichnung Decca 1991.
9English National Opera London 2001, Staatsoper Hannover 2002.
10Vgl. Mozart, Wolfgang Amadeus: Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni KV 527, hrsg. von Wolfgang Plath und Wolfgang Rehm, in: Mozart: Bühnenwerke, Kassel u. a. 1968 (= Neue Ausgabe sämtlicher Werke NMA, II/5, 17), S. 384–392, Nr. 23.
11Ebd., S. 388.
12Vgl. die ähnliche Argumentation Jürgen Schläders zu der Inszenierung von Peter Sellars aus dem Jahr 1987; Schläder: Strategien der Opern-Bilder, S. 194f.
13Mozart: Entführung, S. 119–131.
14Danuser: Zur Aktualität musikalischer Interpretationstheorie, S. 40.
15Ebd.
16Ebd., S. 41.
17Ebd.
18Ebd.
19Gottschewski, Hermann: Interpretation als Struktur, in: Danuser, Hermann/Plebuch, Tobias (Hrsg.): Musik als Text. Bericht über den internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung Freiburg im Breisgau 1993, Bd. 2, Kassel usw. 1998, S. 155–159, hier S. 156.
20Ebd.
21Danuser: Zur Aktualität musikalischer Interpretationstheorie, S. 44.
22Vgl. Kapitel 2.3.
23Danuser: Zur Aktualität musikalischer Interpretationstheorie, S. 47.
24Ullrich: „Die Kunst ist Ausdruck ihrer Zeit“, S. 233.
25Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik I, in: ders.: Werke in 20 Bänden, Bd. 13, Frankfurt am Main 1986, S. 358.
26Danuser: Zur Aktualität musikalischer Interpretationstheorie, S. 49.
27Hinrichsen: Musikwissenschaft, S. 88f.
28Abbate: Music – Drastic or Gnostic?
29Wellmer, Albrecht: Werke und ihre Wirkungen. Kein Beitrag zur Rezeptionstheorie des Musiktheaters, in: Danuser, Hermann/Münkler, Herfried (Hrsg.): Zukunftsbilder. Richard Wagners Revolution und ihre Folgen in Kunst und Politik, Schliengen 2002, S. 257–273, hier S. 261.
30Gerhard, Anselm: Was ist Werktreue? Ein Phantombegriff und die Sehnsucht nach „Authentischem“, in: Brunner, Gerhard/Zalfen, Sarah (Hrsg.): Werktreue. Was ist Werk, was Treue?, Wien/Köln/Weimar 2011, S. 17–23, hier S. 20 u. 23.
31Fischer-Lichte, Erika: Was ist eine „werkgetreue“ Inszenierung? Überlegungen zum Prozess der Transformation eines Dramas in eine Aufführung, in: Fischer-Lichte, Erika (Hrsg.): Das Drama und seine Inszenierung, Tübingen 1985, S. 37–50, hier S. 46. Vgl. auch Balme, Christopher: Werktreue. Aufstieg und Niedergang eines fundamentalistischen Begriffs, in: Gutjahr, Ortrud (Hrsg.): Regietheater! Wie sich über Inszenierungen streiten lässt, Würzburg 2008, S. 43–50.
32Konwitschny, Peter: Wir bauen die Katastrophen nach, in: Beyer, Barbara (Hrsg.): Warum Oper? Gespräche mit Opernregisseuren, Berlin 2005, S. 21–39, hier S. 26, 28 u. 36.
33Eine ähnliche Zielsetzung verfolgen die musikwissenschaftlichen Überlegungen von Nicholas Cook, ohne allerdings den speziellen Aufführungsbedingungen des Opernrepertoires Rechnung zu tragen. Vgl. Cook: Between Process and Product.
34Vgl. dazu auch ebd., Abschnitt 11.
35Wieler, Jossi/Morabito, Sergio: Es gibt keine richtige Interpretation, in: Beyer, Barbara (Hrsg.): Warum Oper? Gespräche mit Opernregisseuren, Berlin 2005, S. 59–80, hier S. 65.
36Ebd., S. 65f.
37Lévi-Strauss, Claude: Die Struktur der Mythen (1955), in: ders.: Strukturale Anthropologie, Frankfurt am Main 1967, S. 226–254, hier S. 229f.
38Ebd., S. 238.
39Ebd., S. 238f.
40Ebd., S. 239.
41Ebd., S. 241.
42Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1979, S. 299f.
43Ebd., S. 329.
44Vgl. auch Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen, S. 253: „Der Mythos entwickelt sich spiralenförmig, bis die intellektuelle Triebkraft, die ihn in die Welt gesetzt hat, verbraucht ist. Das Wachstum des Mythos ist also kontinuierlich, im Gegensatz zur Struktur, die diskontinuierlich bleibt.“
45Vgl. noch einmal über die Rezeption der Quellen und die Quellen der Rezeption: Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 329.
46Eggebrecht: Interpretation, S. 240f.
47Danuser: Zur Aktualität musikalischer Interpretationstheorie, S. 42.
48Ebd., S. 41.
49Ebd., S. 42.
50Ebd., S. 41.
51Ebd., S. 46.
52Diese Hierarchie der Partitur über die Aufführung ist historisch auf die rigorose Sicht einer Komponistenästhetik zurückzuführen, wie sie Ende des 19. und vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Musik bestimmend war. Vgl. Danuser: Zur Aktualität musikalischer Interpretationstheorie, S. 41f.
53Cook: Between Process and Product.
54Brüstle, Christa/Risi, Clemens: Aufführungsanalyse und -interpretation. Positionen und Fragen der „Performance Studies“ aus musik- und theaterwissenschaftlicher Sicht, in: Ballstaedt, Andreas/Hinrichsen, Hans-Joachim (Hrsg.): Werk-Welten. Perspektiven der Interpretationsgeschichte, Schliengen-Liel 2008, S. 108–132, hier S. 115f. Weiter heißt es hier: „Der Notentext wird dabei als Script betrachtet, als Komplex aus Handlungsanweisungen, als eine Art Choreographie sozialer Interaktionen (ein Modell, das Cook unter anderem aus Schriften des amerikanischen Theaterwissenschaftlers Richard Schechner übernommen hat).“ Vgl. z. B. Schechner, Richard: Drama, Script, Theatre, and Performance, in: The Drama Review 17 (1973), H. 3, S. 5–36. Vgl. auch Waldenfels, Bernhard: Responsivität des Leibes. Spuren des Anderen in Merleau-Pontys Leib-Denken, in: Giuliani, Regula (Hrsg.): Merleau-Ponty und die Kulturwissenschaft, München 2000, S. 305–320, sowie Kaden, Christian u. a.: Zeichen, in: Finscher, Ludwig (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart II, Sachteil Bd. 9, Kassel u. a. 21998, Sp. 2149–2220, hier Sp. 2163: „Wo sie [die Musik] ihre Essenz nicht im geronnenen Zustand des ‚Produkts‘ oder ‚Werks‘ erblickt, sondern in lebendiger Aktion, in strömender energeia, dort bindet sie ihre Klanglichkeit an den Erzeuger, den Musiker, den Sender zurück – oder auch an den, der sie in sich aufnimmt, den Hörer, den Empfänger – und verankert sie in seiner Leiblichkeit. Insofern steht sie nicht in der Mitte, zwischen den Menschen, buchstäblich als Medium; sie haftet den Menschen an, hat teil an ihnen, ist ihr Teil.“
55Zum Materialbegriff und seinen Ausprägungen in den verschiedenen Künsten vgl. z. B. Kapp, Reinhard: Noch einmal: Tendenz des Materials, in: ders. (Hrsg.): Notizbuch 5/6, Musik, Berlin/Wien 1982, S. 253–281; Haus, Andreas/Hofmann, Franck/Söll, Änne (Hrsg.): Material im Prozess. Strategien ästhetischer Produktivität, Berlin 2000; Köhler, Sigrid G./Metzler, Jan Ch./Wagner-Egelhaaf, Martina (Hrsg.): Prima Materia. Beiträge zur transdisziplinären Materialitätsdebatte, Königstein 2004.
56Dazu vgl. Kapitel 2.3.
57Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004, S. 58–62.