Thema
„Blackface“-Puppen aus der deutschen Vorstellungswelt
Gedanken zu einer möglichen Ausstellungspraxis
Der US-amerikanische Kulturwissenschaftler William Condee stieß während eines Forschungsaufenthalts in Deutschland zufällig auf die vielen Darstellungen des „Anderen“, die sich in den Depots der deutschen Puppentheatersammlungen befinden. Danach begann er, zu den Figuren zu forschen und mit Sammlungsmitarbeiter*innen zu sprechen. Dieser Artikel ist ein erster Zwischenstand, tiefergehende Forschung gibt es in diesem Bereich für das Puppentheater noch nicht.
von William Condee
Erschienen in: double 47: Puppets of Color – Postkoloniale und antirassistische Ansätze im Figurentheater (04/2023)
Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater Theatergeschichte
Eine scheinbar sehr einfache Frage ist bei genauerem Hinsehen ganz schön komplex: Warum gibt es so viele „Blackface“-Puppen in Deutschland (wie auch in anderen europäischen Ländern)?
Das erste Problem ist, wie man diese Figuren nennen soll. Viele tragen rassistische Verunglimpfungen auf ihren Inventarschildern, und obwohl alle darüber einig sind, dass diese Begriffe rassistisch sind, rechtfertigen manche den Gebrauch der Wörter, wenn sie präzise sind und kontextualisiert werden können. Andere, wie Uwe Framenau vom Puppentheater-Museum Berlin, glauben, dass die Begriffe komplett vermieden werden sollten: „Manche Dinge müssen einfach aussterben.“
Dieser Artikel benutzt den amerikanischen Terminus „Blackface“, basierend auf Eric Lotts Beschreibung von US-amerikanischem „Blackface Minstrelsy“1 als „weniger ein Zeichen von absoluter weißer Macht und Kontrolle, denn von Panik, Angst, Furcht und Genuss“. Diese Objekte wurden geschaffen, genutzt und gespielt von und für weiße Menschen, als Ausdruck von weißen Ängsten und Fantasien, die Menschen von afrikanischer Abstammung betreffen. Tatsächlich nutzten Puppenspieler*innen oft eine Puppe mit einer weißen oder rosafarbenen Bemalung und malten dann die sichtbare Haut schwarz an (beschreibt Lars Rebehn, Oberkonservator der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden), also „Blackfacing“ im Wortsinn.
Obwohl die Puppen unterschiedlich sind, haben sie eine wichtige Eigenschaft gemeinsam: Die schwarze Bemalung ist durchweg eine Konkretion des „Anderen“. Die Erscheinungsform des „Anderen“ und wer als das „Andere“ dargestellt wird, ändert sich aber im Lauf der Zeit. Diese Puppen sind Teil von multiplen Diskursen über Differenz und Andersartigkeit.
Dieser Artikel differenziert diese Puppen in vier Themenkomplexe: der „imaginierte Türke“, der „imaginierte Afrikaner“, der „imaginierte Afroamerikaner“ und der „imaginierte multikulturelle Deutsche“. Obwohl das offensichtlich erscheinen mag, muss es noch einmal betont werden: Diese Puppen, um das erste Beispiel zu nehmen, wurden nicht von Menschen aus der Türkei gemacht und bilden auch keine türkischen Menschen ab.
Themenkomplex I:
„Der imaginierte Türke“
Viele „Blackface“-Puppen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind Formen des „imaginierten Türken“. „Imaginierte Türken“ schließt eine große Anzahl von Menschen ein, die aus vielen Ländern rund ums Mittelmeer kommen könnten, und die in der deutschen Vorstellungswelt mit Schwarz als Manifestation des Anderen in einen Topf geworfen werden. Was diese Puppen gemeinsam haben, ist die Wahrnehmung einer fremden Bedrohung – seltsam und exotisch – die emblematisch für Edward Saids Konzept des Orientalismus ist. Angst vor dem „imaginierten Türken“ basiert auf Furcht vor und Faszination für das Osmanische Reich, wie Said beobachtet: „Die ,Ottomanische Gefahr‘ lauerte am Rand Europas, um für die gesamte christliche Zivilisation eine konstante Bedrohung darzustellen.“ Diese Puppen waren Teil eines Kampfes gegen einen Feind, und das Ziel ihrer Auftritte auf der Puppenbühne war, sie „zu kontrollieren, lächerlich zu machen und zu besiegen“ (Rebehn). Die Rolle des Humors, so wichtig für die Wirkung des Puppenspiels, ist hier Teil eines Prozesses der Entmenschlichung und Herabwürdigung. Die Menschen, an die diese Figuren in der Vorstellungswelt erinnern, werden vielleicht als gefährlich betrachtet, aber der Humor macht sie exotisch und lustig.
Themenkomplex II:
„der imaginierte Afrikaner“
Puppen, die den „imaginierten Afrikaner“ darstellen, – die, um es zu wiederholen, keine authentische Porträts von Afrikanern sind – basieren auf Begegnungen von Deutschen mit dem afrikanischen Kontinent während der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts, angefüllt mit Faszination und Angst. Das berüchtigtste Beispiel ist „Casperl unter den Wilden“ von Franz Pocci. In diesem Stück gelangt Casperl auf eine Insel, die von „Blackface“-Charakteren in Baströcken bewohnt wird, welche eine Art deutsches Kauderwelsch sprechen und Casperl aufessen möchten. Casperls Rolle ist mehrdeutig und das Stück präsentiert verschieden Grade von Andersartigkeit: Casperl, der traditionell als Außenseiter wahrgenommen wird, repräsentiert in diesem Stück jedoch auch die Deutschen und ist deshalb aus der Logik des Kolonialismus heraus den „imaginierten Afrikanern“ überlegen, die das ultimativ Andere repräsentieren.
Puppen, die von Max Jacob, dem Gründer der Hohnsteiner Handpuppenspiele, verwendet wurden, zeigen, wie sich die Abbildung von Rasse im Lauf des 20. Jahrhunderts änderte. Er verwendete eine Puppe mit einem rassistischen Namen von den 1920er- bis zu den 1960er-Jahren, die zu einem Quartett von Puppen gehörte, die ganz klar emblematisch für das Andere waren: Eine eindeutige Herkunft für die Figuren war nicht festgelegt, aber auf jeden Fall waren sie fremd. Sie sprachen schlecht Deutsch, trugen Baströcke und ihre Gesichter trugen stereotype rassistische Züge. Man sollte über sie lachen – die Zielscheibe von Humor. Jacob, der gute Beziehungen zu Nazi-Funktionären unterhielt, war auch während des 2. Weltkrieges erfolgreich. In dieser Zeit kam, auf Jacobs Bemühungen hin, der französische Puppenspieler Jean-Loup Temporal als Zwangsarbeiter zu den Hohnsteinern, um ihn vor Schlimmerem zu bewahren. Nach dem Krieg übernahm Temporal Züge der Puppe von Jacob für seinen französischen Charakter Samba. Samba hatte eine ähnliche Funktion wie Seppel in der Kasper-Tradition, ein Sympathieträger für Kinder – auf keinen Fall eine Zielscheibe des Spotts. Seine Züge sind nicht so grotesk überzeichnet, Rassismus nimmt hier die Form von Exotismus an.
Themenkomplex III:
„der imaginierte Afroamerikaner“
Puppen, die den „imaginierten Afroamerikaner“ darstellen, waren ab Ende des 19. Jahrhunderts populär. Diese Puppen bilden oft Sänger*innen, Tänzer*innen und Sportler*innen ab. Die Afroamerikaner*innen, die Inspiration für diese Puppen waren, tourten oft durch Europa, oder ließen sich wegen ungezügelter Diskriminierung, Rassentrennung und Lynchmorden in den USA sogar in Deutschland nieder. Darüber hinaus gehören die Rollen der Figuren – Unterhaltung und Sport – zu dem rassistischen Stereotyp, dass Menschen von afrikanischer Abstammung natürlicherweise Talent für Musik, Tanz und Sport haben. Diese Puppen heben auch den Schwarzen Körper hervor, was Lotts These vom Schwanken zwischen Liebe und Aneignung in der „Blackface Minstrelsy“ beweist. Es ist auch bemerkenswert, dass viele dieser Puppen lachen, und ein unterstellter Sinn für Humor gehört, wie man im Fortfolgenden sehen wird, auch zu den Tropen des „romantischen Rassismus“.
Ein Paar aus der Dresdner Sammlung zeigt, wie „Blackface“ unterschiedlich interpretiert werden kann. Sie bewegen ihre Lippen und Augen, während sie musizieren und lachen, und die Erklärung des Spielers war, dass die schwarze Farbe notwendig war, damit das Publikum den Gesichtsbewegungen folgen konnte: der Kontrast zwischen schwarz und weiß hebt die Augen- und Lippenbewegungen hervor (Rebehn). Eine andere Deutungsart würde herausarbeiten, dass hier weiße Zuschauer*innen über Schwarze Körper lachen. Wir könnten uns fragen: Wer lacht? Warum lachen sie? Und wer lacht nicht?
Albrecht Rosers „Bauchtänzerinnen“, eine weiß und eine Schwarz, zeigen die Überschneidung von diskriminierender Darstellung von Rasse und Geschlecht. Bei diesen halb-nackten Puppen aus den 1960er- und 1970er-Jahren sind Brüste und Hinterteile besonders betont. Roser, mit seinem Fokus auf technische Zauberei, hat diese Puppen sicher nicht als problematisch angesehen. Aber sie stellen dennoch ein Problem dar, nicht nur was Rasse, sondern auch was Geschlecht betrifft, und besonders wegen der Art, wie Roser sie spielte. Er stand da mit den Händen in den Hosentaschen und wiegte sich nach vorne und nach hinten, um so die an einem Gurt befestigte Puppe zu wellenartigen Bewegungen zu bringen. Das Publikum sah dann einen weißen Mann, der lässig einen fast nackten Schwarzen Körper anstarrte, während dieser für ihn tanzte.
Themenkomplex IV:
„der imaginierte multikulturelle Deutsche“
Puppen, die den „imaginierten multikulturellen Deutschen“ darstellen („multikulturell“ wird hier in vollem Bewusstsein der Problematik des Begriffs verwendet), verkörpern immer noch rassistische Stereotype, aber versuchen zu zeigen, was ihre Schöpfer wohl als „positive“ Bilder von Rassen sahen. Das sind Manifestationen der rassistischen Ausprägung, die man als „romantischen Rassismus“ kennt, der Schwarze mit „positiven“ Stereotypen besetzt, während die entsprechenden negativen Attribute immer noch im Hintergrund lauern (Fredrickson). Diese Puppen „warben implizit für die Ideale eines multirassischen, multiethnischen Deutschlands und eine internationale Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen“ (Rebehn), was Framenau „freundlichen“ oder „Alltags-Rassismus“ nennt.
Walter Büttners Figur Jimmy zeigt, wie sich dieser „imaginierte multikulturelle Deutsche“ entwickelte. Büttner begann um 1924 aufzutreten, aber wegen seiner Verbindung zu den Kommunisten konnte er seine Karriere als künstlerischer Puppenspieler erst nach dem 2. Weltkrieg beginnen. Er wurde eingezogen, kam in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde in einem Lager in Alabama interniert, wo er Afroamerikaner*innen getroffen haben könnte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland entwickelte Büttner Jimmy, eine „Blackface“-Puppe, die dem Charakter Seppel ähnelt. Jimmy ist ungeschickt, spricht schlecht Deutsch und suggeriert das Bild eines Ausländers. Wenn man berücksichtigt, dass Jimmy freundlich, wohlgesinnt und sympathisch ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass Büttner weder sich selbst noch die Puppe für rassistisch hielt. Die frühe Version von Jimmy aus den 1950er-Jahren basiert klar auf rassistischen Stereotypen von Menschen afrikanischer Abstammung, und wurde in den 1970er-Jahren auch als rassistisch wahrgenommen. Büttner ließ um 1980 dann eine neue Variante von Jimmy bauen, und die Gesichtszüge sind nun nicht mehr so übertrieben, was auf die Veränderungen in Deutschland, im Puppentheater und vielleicht auch in Büttner selbst verweist.
Das berühmteste Beispiel für den „imaginierten Multikulturellen Deutschen“ ist aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ der Augsburger Puppenkiste. Jim kam per Post auf einer winzigen Insel an und ist mit Schwarzer Haut dargestellt, dennoch gibt es keine offenen Hinweise auf seine afrikanische Abstimmung. Sein Schwarzsein, das nicht direkt thematisiert wird, wird zu einer Manifestation seines Andersseins. Die Fernsehserie wurde zwar in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht als rassistisch angesehen, aber das Thema Rassismus wurde in diesem Zusammenhang seitdem oft diskutiert, u.a. auch 2013. Damals verkleideten sich für die beliebte Fernsehshow „Wetten, dass…?“ 200 Menschen, darunter der Augsburger Bürgermeister und seine Frau, als Jim Knopf – mit „Blackface“.
Wie kann eine zukünftige Ausstellungspraxis aussehen?
Was auch immer man im Museum mit diesen Figuren macht, muss man doch bedenken, was auf dem Spiel steht. Diese Puppen fungieren weiter als Motoren für Rassismus und sie können Besucher*innen befremden oder verletzen. Hier folgen einige Gedanken zu einer reflektierten und kritischen Ausstellungspraxis.
Zunächst sollte die Idee hinter der geplanten Präsentation formuliert und artikuliert werden. Was ist das Ziel? Warum müssen genau diese Puppen ausgestellt werden? Die Kurator*innen sollten sicherstellen, dass das Konzept und die Ziele im Zentrum stehen, wenn sie den Kontext für eine Ausstellung erstellen.
Was die Benennung betrifft, sollte man sich fragen: Was steht auf dem Spiel, wenn man bestimmte Begriffe benutzt – oder nicht verwendet? Die Geschichte des Rassismus sollte nicht vor den Besucher*innen versteckt oder durch „Whitewashing“ verschleiert werden. Man könnte z. B. auf einen Originaltitel verweisen, ohne ihn zu verwenden und so klarstellen, dass der Name ausgeschlossen wurde und warum.
Die Kurator*innen sollten die Wirkung der Ausstellung berücksichtigen. Wer ist das implizierte Publikum? Wer kommt? Und wer kommt nicht? Wie werden Menschen mit afrikanischer Abstammung betroffen sein? Museen sollten darüber nachdenken, wie sie das Risiko der Retraumatisierung durch die rassistische Geschichte, die sie zeigen, eindämmen können. Kurator*innen sollten deshalb darüber nachdenken, bestimmtes verletzendes Material nicht zu zeigen und Schlagworte zu vermeiden, die traumatisierend wirken können, während sie gleichzeitig kontroverse Themen direkt adressieren.
Um Diversität, Ausgewogenheit und Inklusion zu unterstützen, sollten Schwarze deutsche Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Gemeindeleiter*innen – angemessen bezahlt – Teil des Prozesses sein. Allzu oft wurden Mitglieder der Schwarzen Communities ausgenutzt und aufgefordert, ihre Zeit und ihre Erfahrungen ehrenamtlich zur Verfügung zu stellen, um ihre mangelnde Repräsentation in den Institutionen auszugleichen.
Puppen sind nie neutral. Sie werden immer Themen aufwerfen und Geschichten erzählen, und Besucher*innen werden immer mit einer Botschaft weggehen. Es geht hier nicht um Unterdrückung und Zensur. Die Puppen werden für Forscher*innen und zukünftige Ausstellungen immer zur Verfügung stehen. Diese Puppen können ausgestellt werden, wann und wo es angemessen erscheint –
im richtigen Kontext, auf die richtige Art und Weise und zum richtigen Zeitpunkt. Museen können versuchen zu steuern, was die Besucher*innen aus der Ausstellung mitnehmen. Stets sollten Sensibilität, Aufrichtigkeit und Transparenz die Prozesse begleiten. –
1 Bei sogenannten „Minstrel Shows“ stellten schwarz geschminkte weiße Darsteller*innen abwertende Stereotype von Schwarzen dar.
Aus dem Amerikanischen von Mascha Erbelding
Referenzen:
Framenau, Uwe. 2021. Interview mit dem Autor. 16. Dezember 2021
Fredrickson, George M. 1971. The Black Image in the White Mind: The Debate on Afro-American Character and Destiny, 1817–1914. New York: Harper & Row.
Lott, Eric. 1993. Love & Theft: Blackface Minstrelsy and the American Working Class. New York: Oxford UP.
Rebehn, Lars. 2019. Interview mit dem Autor. 13. November 2019.
Said, Edward. 1978. Orientalism. New York: Pantheon Books.
Teile dieses Artikels wurden 2021 beim Symposium „Representing Alterity through Puppetry and Performing Objects“ des Ballard Institute and Museum of Puppetry at the University of Connecticut präsentiert und werden in der Online-Publikation zu diesem Symposium erscheinen.