Das Verschwinden der Geschichte im Medial-Gegenwärtigen
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Der Grundvorgang, die tendenzielle Unterwerfung aller Lebensbereiche unter den kapitalistischen Verwertungsprozess, unvollständig auch Privatisierung genannt, hat – bisher jedenfalls – die Organisation, die ökonomische Verfassung, die physische Existenzmöglichkeit von Theater nur bedingt und regional sehr unterschiedlich betroffen. In westlichen Ländern, in denen Bühnen schon seit dem frühen Kapitalismus mit wenigen Ausnahmen als private Geschäftsunternehmen behandelt wurden, werden nach 1945 eingerichtete Subventionsfonds für ausgewählte kulturelle Projekte tendenziell zurückgefahren, in anderen, in denen Theaterkunst traditionell oder nach 1945 grundsätzlich als gesellschaftlich zu förderndes Kulturgut gilt, kürzt man in der Tendenz Subventionen, wegen der tiefen Krise seit 2008 in Holland auch drastisch um zwanzig Prozent.
In Regionen, die wie Afrika entscheidend von der europäischen Kolonialisierung gezeichnet wurden, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Die Structural-Adjustment-Programme, die das internationale Kapital den meisten wirtschaftlich katastrophal zerrütteten Staaten während der 1980er Jahre für die Gewährung von Krediten aufzwang, bedeuteten die rigorose Durchsetzung neoliberaler Privatisierung und Deregulierung auch in der Kultur, und so auch im Prinzip der organisatorisch-institutionellen und materiell-finanziellen Bedingungen für das moderne Theaterwesen. Dem avancierten Theater, das ursprünglich vom staatlichen Bildungswesen (Oberschulen, Colleges, Universitäten) weitgehend oder voll getragen worden war, wurden teilweise und regional unterschiedlich finanzielle Zuwendungen entzogen, was zumindest zeitweise zum fast völligen Erliegen...