Theater der Zeit

Protagonist:innen

Die Isolation aufbrechen

Der Black Theatre Workshop aus Montréal ist die älteste Schwarze englischsprachige Theaterkompanie Kanadas

von Lydie Dubuisson

Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Kanada (09/2021)

Assoziationen: Akteure Nordamerika

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Montréal ist ein komplizierter Ort. Eine offiziell zweisprachige Stadt, gleichermaßen geprägt durch ­Immigration und den Québecer Kampf um eine eigene Identität, die unrechtmäßig auf dem Land der indigenen Nationen der Mohawk und der Anishinaabeg erbaut wurde. Immer mehr Bürger:innen erinnern daran, indem sie stattdessen den präkolonialen Namen „Tiohtià:ke“ verwenden. Mitten in dieser komplexen Gemengelage befindet sich der Black Theatre Workshop, die älteste Schwarze englischsprachige Theaterkompanie Kanadas. Der Black Theatre Workshop exisitiert doppelt minoritär in einer weißen, französischsprachigen Provinz, die sich wiederum in einem überwiegend weißen aber englischsprachigen Land in der Minderheit befindet.

In Québec Schwarz und englischsprachig zu sein, bedeutet neben Unsichtbarkeit auch Isolation. In Kanada Schwarz zu sein, bedeutete lange Zeit, sich besser nicht bemerkbar zu machen. Sich in aller Stille um seine Bedürfnisse zu kümmern, ohne jemals irgendwelche Forderungen zu erheben. Wie überall auf der Welt brachten auch in Québec die 1960er Jahre bedeutende Veränderungen mit sich, die dort eine révolution tranquille, eine „ruhige Revolution“ auslösten. Die Provinz wurde französischsprachig und weltoffen, doch die englischsprachigen Schwarzen in der Stadt waren noch stärker marginalisiert als zuvor schon. Diese Gemeinschaft, die schlichtweg als „Haus­meister“ der Gesellschaft fungierte, wurde in allen ­Bereichen diskriminiert, sogar an den Universitäten. In dieser Atmosphäre kam es 1969 zur sogenannten „Affaire Sir George Williams“: Eine friedliche Demons­tration zur Unterstützung einer Gruppe junger ­Afro­kanadier:innen, die eine Auseinandersetzung mit ­einem rassistischen Professor hatten, wurde brutal von der Polizei niedergeschlagen. Angesichts der gleichgültigen Reaktion Kanadas auf diese Ereignisse machte der Schwarze Wirtschaftswissenschaftler Dr. Clarence S. Bayne seine Empörung zu einer Berufung: Er gründete einen Ort, an dem Schwarze schöpfe­risch tätig sein, erzählen, Forderungen erheben, ge­sehen, gehört und verstanden werden konnten.

In den 50 Jahren seiner Existenz hat der Black Theatre Workshop diversen Künstler:innen mehr als 1500 Rollen angeboten. Jedes Jahr präsentiert die Kompanie zwei bis drei Erwachsenenproduktionen sowie ein Jugendtheaterstück, das an Schulen gezeigt wird. 103 Nachwuchskünstler:innen haben bislang das ­Mentoratsprogramm für Szenisches Schreiben, Regie, ­Bühnenbild und Schauspiel absolviert. Von seinem ­guten Ruf profitierend bezieht der Black Theatre ­Workshop inzwischen auch die französischsprachige Schwarze Community in Québec ein, indem das Haus zweisprachige Produktionen zeigt. Während der ­Spielzeit 2021/22 beteiligt die Kompanie sich als ­Ko-Kurator am Programm des Natio­nal Arts Center in Ottawa (S. 42).

Der Black Theatre Workshop hat überlebt, da ­Tausende Schwarze Menschen in Québec keinen anderen Ort haben, um sich selbst auf der Bühne repräsentiert zu sehen. Welche andere Institution erzählt unsere Geschichten oder feiert unsere Lebensläufe, aus unserer Perspektive? Die Kompanie repräsentiert eine verdrängte und nahezu vergessene Gemeinschaft. Sie inspiriert sie dazu, ihre Erfahrungen zu würdigen, um besser zu heilen oder sich neu zu erfinden. Die gesamte Schwarze Community braucht einen Black Theatre Workshop, denn ohne diese Institution würden wir aus der Québecer ­Kultur verschwinden. Und dank ihr setzt das gesamte Land seinen Weg in eine inklusivere ­Zukunft fort. //

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