Die Wunschvorstellung Europa
Die Vorstellung eines politisch geeinten Europas ist größer als die Geographie eines tektonischen Kontinents, weitreichender als die Legislative und Judikative eines Staatenbundes, dem es derzeit an einer gemeinsamen Exekutive und an völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit mangelt, und tiefschichtiger als die Genealogie der einzelnen Ethnien und Kulturen, die dieser Scholle zugehörig sind. Die Europäische Union übersteigt als supranationales Handelssystem mit intergouvernementalen Entscheidungsgremien sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene die konventionellen Vorstellungen und Erfahrungen von einem Nationalstaat und von Staatsbürgerschaft. Der politische Prozess der „europäischen Selbst-Kolonialisierung“1 lässt sich deshalb im Hinblick auf seine konkreten, positiven wie negativen Folgen nur in Ansätzen systematisch berechnen und noch schlechter subjektiv ein- und abschätzen. Und so wird dem Versprechen, eine europäische Gemeinschaft zu bilden, derzeit (wieder einmal) weniger Attraktivität zugesprochen als Skepsis entgegengebracht und die Idee kleiner gemacht, als ihre Realität mittlerweile ist.
In der Tat wurde durch die Entwicklung dieser Union ein bislang historisch einzigartiger Grad an sozialer Stabilität erreicht und der „Kontinent der Kriege in einen Kontinent des Friedens“2 umgewandelt. Der Wert und die Attraktivität dieses Projekts kollidieren indes immer wieder mit den Erfordernissen der Realpolitik und ihrer vordergründigen Ausrichtung an krämerischen Inhalten. EU-Europa, das ist vor allem eine schwieri...