Theater der Zeit

Auftritt

Münchner Kammerspiele: Die Liebe, ein Narrenspiel

„Was ihr wollt“ von William Shakespeare – Regie Lies Pauwels, Bühne und Kostüme Johanna Trudzinski

von Anne Fritsch

Assoziationen: Bayern Theaterkritiken Lies Pauwels Münchner Kammerspiele

Shakespeare-Essenz: Lies Pauwels Inszenierung von „Was ihr wollt“ an den Münchner Kammerspielen. Foto Maurice Korbel
Shakespeare-Essenz: Lies Pauwels Inszenierung von „Was ihr wollt“ an den Münchner KammerspielenFoto: Maurice Korbel

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Irgendwann steht Vinzenz Sommer als Malvolio an der Rampe. Er trägt ein absurdes Kostüm mit den obligatorischen gelben Strümpfen, eine pinke Sonnenbrille und einen mit Strass-Steinen besetzten Umschnall-Penis. Er singt „I started a joke“ von den Bee Gees: „But I didn't see that the joke was on me.“ Wie passend. Malvolio ist in William Shakespeares „Was ihr wollt“ der größte Liebesnarr von allen. Um seine Angebetete, die unerreichbare Olivia, zu betören, folgt er ihren vermeintlich geheimen Wünschen. Dass das alles nur ein böser Scherz war, Olivia sich ihn niemals in gelben Strümpfen erträumte, macht seinen Auftritt zum komischen Höhepunkt dieses mit peinlichen Auftritten nicht geizenden Stückes. Wie fein lässt sich lachen über einen, der sich aus Liebe komplett zum Affen macht!

In der Inszenierung von Lies Pauwels an den Münchner Kammerspielen ist diese Szene anders als gewohnt. Natürlich ist dieser Auftritt komplett lächerlich. Natürlich ist dieser Malvolio ein Narr, wenn er denkt, er könne so seine Angebetete beeindrucken. Aber es ist nicht zum Lachen. Wir sehen hier einen, dessen Sehnsucht größer ist als seine Scham, der sich verletzlich macht aus Liebe. Wir erkennen uns wieder in dieser seiner Sehnsucht, erheben uns nicht über ihn, sondern fühlen mit ihm. Lies Pauwels gelingt es auf zauberhafte Art, die Menschen unter den schrillen Fassaden erlebbar zu machen. Das, worum es ihnen geht, was sie sich wünschen und worunter sie leiden.

Von Beginn an ist klar, dass an diesem Abend die Menschen im Zentrum stehen, die diese Shakespeare-Geschichte, dieses Verwirrspiel spielen. Svetlana Belesova führt als weiser Narr durch den Abend, schlagfertig, verschmitzt und auch mal boshaft, verteilt in einem Casting erstmal die Rollen. Schon hier gibt es Enttäuschungen, natürlich. Und während Wiebke Puls „O Solitude“ von Henry Purcell singt und die melancholische Stimmungslage für all die Irrungen, die folgen, setzt, verkleiden sich die Schausppieler:innen auf offener Bühne, präsentieren ihre Kostüme. An den Kleiderbügeln hängen die Namensschilder. Wer wen spielt – ein erster Zufall in diesem Liebesreigen oder gar: in diesem Leben.

Lies Pauwels verortet ihre Inszenierung „somewhere over the rainbow“, also dort, wo alle sich das Glück erträumen (und kaum jemand es findet). Was sie hier schafft, ist eine Art Shakespeare-Essenz, sie stellt die Sätze frei und in den Raum, wo sie ihre Stimmung entfalten. Gesprochen wird ins Mikro, auch das Lieben ist eine Performance. Die Sprechenden schauen ins Publikum, selten einander an. Sie alle teilen den „Wunsch, uns nicht allein zu fühlen“, und wissen doch nicht, wie sie einander finden sollen. Sie präsentieren sich auf dem Markt der einsamen Herzen, preisen sich an. Martin Weigel beispielsweise als Mann, der stets für einen Spaß und einen guten Drink zu haben ist: „Ich sag immer, better a twelve nights stand than a one night stand.“ Es gibt Übergriffe, Zurückweisungen und ja: kurze Momente des Glücks. „Ich spüre, wie die Liebe in mich hineinkriecht“, so Wiebke Puls als Olivia einmal. „Und ich? Ich lasse es zu.“

Immer wieder wird der Blick von außen thematisiert, die Rollen, die uns die anderen aufgrund unseres Äußeren zuschreiben und das nicht nur im Theater. Dann scheint eine Wahrhaftigkeit auf in einem Spiel der Äußerlichkeiten und der Täuschungen. Dann legen die Spieler:innen ihre Masken und Rollen ab und präsentieren sich pur und verletzlich. Johanna Eiworth tritt irgendwann ganz ungeschminkt an die Rampe, will sich zeigen, wie sie ist. Doch auch Konstantin Schumann und Christian Löber verschwinden nie hinter ihren (Doppel-)Rollen, geben sich durchlässig. Die einzelnen Elemente fügen sich in einander, gehen neue Kombinationen ein – wie auch die Bühne von Johanna Trudzinski sich durch die beweglichen Bilder und Elemente ständig wandelt.

Verbunden wird alles durch die großartige Musikauswahl, die ebenfalls zusammenbringt, was eigentlich nicht zusammengehört und doch famos passt. Ob Frank Sinatras „Something Stupid“, Keith Carradines „Maria’s Eyes“, „Rivers of Babylon“ von Boney M. oder Gary Jules’ „Mad World“: Die Songs sind präzise gesetzt und tragen durch den Abend. Wenn sich am Ende alle zu David Bowies „Life on Mars“ ihrer Kostüme entledigen, ist da ein Gefühl von Verlorenheit und gleichzeitig Verbundenheit, wie die fast zu schön ist, um wahr zu sein

Nein, eine Komödie ist dieser Abend nicht. Dafür ist er zu tief, zu menschlich und auch zu traurig. Beglückend ist er dennoch auf eine Art, wie sie im Theater selten zu finden ist. Wenn sich hier Momente der Zärtlichkeit entwickeln, sind sie unglaublich berührend. Wenn Martin Weigel und Erwin Aljukić zu Keith Carradines „Maria’s Eyes“ miteinander tanzen, der große Weigel den kleinen Aljukić durch den Raum trägt und führt, ihn so achtsam anfasst wie angemessen, stockt einem der Atem vor diesem Augenblick der Nähe und des Vertrauens. Wenn das Ensemble zu Joe Dassins „Et si tu n’existais pas“ auf Drehstühlen durch den Raum rollt und schmachtet, ist der Schmerz ein kollektiver. Mit diesem Gefühl entlässt einen dieser Abend: Die Liebe, die echte tiefe Liebe, ist ein seltenes Gut. Ein Narr, wer sie nicht sucht und sich nicht in die Sehnsucht hineinwirft, sich nicht verletzlich macht und auch mal lächerlich. Wieder und wieder. Vielleicht ist da „something stupid“ mit dem Lieben. Doch wie stupid wäre es bitte, nicht zu lieben?

Erschienen am 11.5.2025

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