Theater der Zeit

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Auftritt

Salzburger Festspiele/Jaunimo Teatras Vilnius: Aus der fieberträumdenden Zeit gefallen

„Der Zauberberg“ nach Thomas Mann Regie, Textfassung, Bühne und Licht Krystian Lupa, Kostüme Piotr Skiba, Komposition Wladimir Schall, Video Natan Berkowicz

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Europa Österreich Salzburger Festspiele

Matas Dirginčius (Joachim Ziemßen), Donatas Želvys (Hans Castorp), Valentinas Masalskis (Hofrat Behrens) in „Der Zauberberg“, Regie Kristian Lupa, bei den Salzburger Festspielen. Foto SF/Konrad Fersterer
Matas Dirginčius (Joachim Ziemßen), Donatas Želvys (Hans Castorp), Valentinas Masalskis (Hofrat Behrens) in „Der Zauberberg“, Regie Kristian Lupa, bei den Salzburger FestspielenFoto: SF/Konrad Fersterer

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Die Welt zerfällt, die Sprache bröckelt. Auf dem Röntgenbild des Soldaten Joachim Ziemßen zeigt sich ein Fleck. Überlebensgroß wird die Krankheit auf den Gazevorhang projiziert. „Nicht der Rede wert“, befindet der Arzt. Er entlässt den Todgeweihten in ein trügerisches Leben, das bald enden soll. Mit gruseligen Bildern wie diesem geizt der polnische Regisseur Krystian Lupa nicht in seiner Bühnenfassung von Thomas Manns Jahrhundertroman „Der Zauberberg“. Mehr als fünf Stunden lang seziert er mit dem Ensemble des litauischen Jaunimo Teatras bei den Salzburger Festspielen den Text aus dem Jahr 1924. Doch das Experiment misslingt. 

Krystian Lupas aus der Zeit gefallene Theaterbilder überfordern das Publikum. Nach der Pause sind das Parkett und die Ränge im Landestheater fast zur Hälfte geleert. Mit wenig Höhen und Tiefen interpretieren die litauischen Schauspieler Thomas Manns bedeutenden Text, geschrieben in einer Gesellschaft zwischen den Kriegen, der nur die Flucht in die Krankheit bleibt, mit fast verbissener Ernsthaftigkeit. Doch die grandiosen philosophischen Diskurse des Aufklärers Settembrini und des religiösen Fundamentalisten Naphta, sie scheitern an der Sprachbarriere.

Die Zuschauer:innen lauschen dem litauischen Text, lesen parallel deutsche und englische Untertitel mit. Da geht die Vielschichtigkeit von Thomas Manns Sprachkunst zwangsläufig unter. Bei den Festspielen in der österreichischen Grenzstadt Brücken nach Europa zu schlagen, hat lange Tradition. Doch in diesem Fall hat Schauspielchefin Marina Davydova keine glückliche Hand bewiesen. Denn Krystian Lupas angestaubtes Erzähltheater vermag es nur bedingt, das deutschsprachige Publikum zu berühren.

Dabei sind die Besucher:innen internationale Theatersprachen ebenso gewohnt wie die unterschiedlichen Spielformen des Regietheaters. Krystian Lupas ernsthafte, stark am Text orientierte Auseinandersetzung mit Thomas Manns Gedankenwelt bleibt verschlossen. Die unwirkliche Atmosphäre, die Leser:innen bei der Lektüre von Thomas Manns Sprachkunst ergreift, vermag er nicht auf die Bühne zu übertragen.  

In diesem „Zauberberg“ scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Zwischen Krankenbetten und Salonmöbeln verortet Lupa das Bühnenbild. Auch die Kostüme atmen Geschichte. Rüschen und andere Moden des 19. Jahrhunderts zitiert Piotr Skiba mit musealer Trockenheit. Die Atmosphäre im Berghof-Sanatorium, in das der Ingenieur Hans Castorp vor der kriegerischen Wirklichkeit seiner Zeit flüchtet, erstickt in Sterilität. In seinem Bildungsroman reflektiert Mann die Schrecken des Ersten Weltkriegs. In Natan Berkowicz’ wilder Video-Regie stürzen Leichen von Wasserfällen. Bomben und Bilder der Kriege kehren leitmotivisch wieder.  

In dieser fieberträumenden Welt bewegt sich Donatas Želvys. Mit Videobildern zeigt die Regie den Protagonisten in Großaufnahme, wenn er seine Gedanken niederschreibt. Da wirkt er blutleer. Große Szenen gelingen Želvys dagegen, wenn er die Gefühle seiner Figur offenlegt. Die sinnlichen Spiele mit Clawdia Chauchat, Projektion seiner verlorenen Leidenschaft, treibt der Schauspieler lustvoll auf die Spitze. In Lupas Inszenierung wird die Figur von drei Schaupielerinnen verkörpert. Viktorija Kuodytė, Alvydė Pikturnautė und Aušra Giedraitytė triggern Castorps Leidenschaft auf ganz unterschiedliche Weise. Da entlockt Lupas Regie dem Ensemble ein Feuer, die der Inszenierung sonst über weite Strecken fehlt. 

Zauberhaft, als überlebensgroße Projektion auf der Leinwand, führt Lupa den „Kaffeekönig“ Mynheer Peeperkorn ein, den Madame Chauchat bei ihrem zweiten Besuch ins Sanatorium Berghof mitbringt. In der Rolle läuft Valentinas Masalskis – der zuvor als Hofrat Behrens nichts als Farblosigkeit verströmte – zu Höchstform auf. Der Greis verführt nicht nur die Kranken im Sanatorium zum lustvollen Rotwein-Genuss und zu einer improvisierten Party. In einem wunderbaren Zwiegespräch bewegt er Castorp dazu, zu seinen Gefühlen für Madame Chauchat zu stehen. Klug spielt Masalskis mit den Tiefenschichten seiner Figur. Denn dieser Mynheer Peeperkorn steht für den nahenden Tod. 

Das Bild einer Gesellschaft, die in Krankheit und Zerstörung flüchtet, lässt sich immer wieder erahnen. Doch Lupas Blick auf Thomas Manns „Der Zauberberg“, dieses große Porträt eines zerrissenen Deutschlands in den Kriegen, bringt wenig Neues. Die große Chance, den aus deutscher Perspektive vom Bildungsballast erdrückten Roman aus baltischer Perspektive aus kritischer Distanz zu lesen, hat das Regieteam schlicht vertan.

Erschienen am 23.8.2024

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