Theater der Zeit

Auftritt

Theater Pforzheim: Wohnzimmer-Dystopie

„Girl in The Machine“ von Stef Smith – Regie Mona Sabaschus, Bühne und Kostüme Janin Lang

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Theater Pforzheim

Sophia van den Berg als Polly in „Girl in the Machine“, Regie Mona Sabaschus am Theater Pforzheim. Foto Sabine Haymann
Sophia van den Berg als Polly in „Girl in the Machine“, Regie Mona Sabaschus am Theater PforzheimFoto: Sabine Haymann

Anzeige

Anzeige

Anzeige

In neonkalten Räumen leben Polly und Owen. Die zwei sind ein glückliches Paar, das seinen Platz in der Welt gefunden hat. Beruflich könnte es für die beiden nicht besser laufen. Alles läuft glatt, bis der Mann eines Tages die geheimnisvolle „Black Box“ nach Hause bringt. Auf den ersten Blick sind das nur ein Metallkasten. Kopfhörer und ein paar Drähte. Die Maschine verspricht Lebensglück und Erlebnisse, von denen die Menschen noch nie zu träumen wagten. Doch in Wirklichkeit zerstört die Künstliche Intelligenz ihre Identität. Mit ihrer Wohnzimmer-Dystopie hat die schottische Dramatikerin schon 2017 eine Entwicklung vorweggenommen, die heute für immer mehr Menschen zur Lebenswirklichkeit wird. Künstliche Intelligenz verspricht Fortschritt. Doch weil zu wenige ihre Gefahren ernst nehmen, entfaltet die Technik ihr zerstörerisches Potenzial.

Flotte und zugleich tiefenscharfe Dialoge machen den Reiz von Smith’ Text aus, den Valerie Melchiar ins Deutsche übertragen hat. Mit dem dynamischen Zwei-Personen-Stück gewann Smith 2019 beim Dramenwettbewerb des Festival Science and Theatre in Heilbronn den Publikumspreis. Andreas Frane war damals dort Chefdramaturg; heute ist er Schauspieldirektor am Theater Pforzheim und hat das Stück auf seinen Spielplan gesetzt. Darin wirft die Schottin Fragen auf, die nicht nur die junge Generation bewegen: Was geschieht, wenn die Künstliche Intelligenz außer Kontrolle gerät?

Smith führt dieses Planspiel am Beispiel des Paares vor, das am Anfang vom Hunger nach mehr getrieben ist. Janin Lang hat eine Bühne geschaffen, die einem Versuchslabor ähnelt. In einem Glaskasten sitzt Polly und spielt mit der neuen Technik. Klug zeichnet die Schauspielerin Sophia van den Berg den Prozess nach, wie das Leben der Frau immer mehr von Algorithmen und Datenstrukturen bestimmt wird. Schmerzlich kehrt sie die Leere nach außen, die ihr Leben zuvor geprägt hat. Dass ihr die Liebe zu Owen so wenig bedeutet hat, ist die eigentlich bittere Erkenntnis des Kammerspiels. Max Ranft bekennt sich zu den Augenblicken der Liebe, die er zuvor mit seiner Partnerin erlebt hat. Dass nun die Maschine Macht über ihr Leben gewonnen hat, lässt ihn fassungslos zurück. Schön entwickelt Regisseurin Mona Sabaschus mit den beiden den Prozess der Entfremdung in den eigenen vier Wänden. Wut, Hoffnung und die entsetzliche Sehnsucht nach einem aufregenden Leben zeigen die Spieler:innen packend. Die Achterbahnfahrt zwischen Leidenschaft und Ignoranz, auf die sie das Publikum entführen, ist großartig.

Weniger präzise bringt Sabaschus’ Ansatz dagegen die gesellschaftspolitische Dimension des Stücks zur Sprache. Im Gefängnis der Glaskästen und Neonröhren, das die Isolation des Paares spiegelt, manövriert sich das Paar zwar in eine Zimmerschlacht hinein. Dass die Welt um sie herum derweil im Chaos versinkt, wird nur durch Andeutungen deutlich. Wenn die Black Box mit der weichen Off-Stimme von Nika Wanderer Polly dazu verführt, sich wieder in die Fänge der KI zu begeben, wirkt das zunächst wie ein Spiel. Dass dies in Smtih’ Text Teil einer grausamen politischen Verschwörung ist, die alle Menschen gleich machen will, macht die Regisseurin nicht deutlich genug. Zu sehr fokussiert sie sich mit dem Ensemble auf die Zweierbeziehung.

Dennoch vermittelt Mona Sabaschus mit „Girl in The Machine“ eine klare Botschaft, die bei Kritikern des digitalen Wandels ebenso ankommt wie bei jungen Computer-Nerds. Denn Künstliche Intelligenz ist alles andere als ein harmloser Zeitvertreib, wenn sie in die falschen Hände gerät. Als Owen seiner Freundin die Box in die Hand drückt, beginnt ein schleichender Prozess der Entmündigung. Polly hört auf, die liebenden Blicke ihres Mannes zu erwidern. Sophia van den Berg lässt sie zittern, weinen, mit leeren Augen in den Raum starren. Gegen diese Flucht in die Technik ist selbst die Liebe machtlos. So zeichnet Stef Smith das Bild einer Zeit, die gedankenlos ihre Macht an Maschinen verschleudert.   

Erschienen am 22.4.2024

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Das Ding mit dem Körper. Zeitgenössischer Zirkus und Figurentheater
Theaterregisseur Yair Shermann