Auftritt
Ingolstadt: Was ist ein Mann?
Stadttheater Ingolstadt: „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ (DSE) von Rayhana. Regie Brit Bartkowiak, Bühne Nikolaus Frinke, Kostüme Carolin Schogs
von Sabine Leucht
Erschienen in: Theater der Zeit: Isabelle Huppert: Exklusiv im Gespräch (06/2016)
Assoziationen: Stadttheater Ingolstadt
Neun Gestalten in Burkas drehen sich sehr langsam zum Publikum um. Blasse, ernste Gesichter lugen aus dem Einheitsschwarz: eine Wand aus Fremdheit! Mit diesem Bild beginnt Brit Bartkowiaks Inszenierung von „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“. Davon ausgehend fächert sie wirkungsvoll die Individualitäten auf, die die algerische Autorin und Schauspielerin Rayhana den neun Frauen in ihrem 2010 in Paris uraufgeführten Stück mitgegeben hat. Ihr Blick hinter die Schleier torpediert sowohl die westliche Vorstellung von der islamischen Frau wie auch das Selbstverständnis vieler islamischer Männer. Als barttragende Ehrenmörder kommen sie vor, als sabbernde Kinderschänder und Paschas – es gibt in dem Stück aber auch einen Mann, der elf Jahre lang nur mit Blicken um seine Geliebte warb und von dem diese nicht lassen kann. Nicht nur in sexueller Hinsicht.
Es geht viel und direkt um Sex – und eigentlich nur um Männer. Das pointen- und temporeiche Stück erinnert an die US-amerikanische Serie „Sex and the City“ – aber ohne Antibabypille und das Recht auf Selbstentfaltung. Der Fundamentalismus, zeigt uns Rayhana, kommt aus Europa in die „sicheren Herkunftsländer“ des Maghreb zurück, wie der Bruder der schwangeren Myriam, deren Leben in dieser Neun-Frauen-Komödie auf dem Spiel steht.
Rayhana selbst floh vor dem islamistischen Terror nach Paris, wo sie 2010 auf dem Weg zur Uraufführung von „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ nur knapp einem Benzinanschlag entkam. Der Grund dafür war ihr Einsatz für die Rechte von Frauen. Im Stück fallen Sätze wie „Was ist ein Mann? Ein Magen und ein Schwanz.“ Es ist Fatima, aus der sie herausbrechen. Eine verbitterte Frau mit acht Söhnen, die sie nicht lieben kann, weil der Mann, der sie ihr machte, nie etwas anderes in ihr ausgelöst hat als Ekel und Schmerz.
Im Badehaus, das im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt aus fünf Holzbänken unter aufgehängten Hamam-Tüchern besteht, gießen die Frauen einander Wasser über die Köpfe und die nackten Beine. Auch die naive Liebessehnsucht der jungen Samia wird entblößt, der Lebenshunger der frisch geschiedenen Nadia, die glückliche Geilheit Kaltoums und die Daueraffäre der braven Louise mit ihrem Schwager. In Ingolstadt treten sie alle nacheinander durch eine Tür – von Licht und Musik umrahmt wie Prinzessinnen in einem Märchen – und entledigen sich mit einer für die jeweilige Figur charakteristischen Bewegung ihrer schwarzen Kluft. Die Tücher darunter sind so bunt wie die Geschichten der Frauen, die sie hier ohne Verfremdungs- oder Ironieschnörkel erzählen. Dabei gelingt es nicht allen Darstellerinnen, ihre Figuren über die komödiantische Typisierung hinauszutragen. Doch wenn Chris Nonnast als Louise die zuckersüß dekorierte Ehefalle beschreibt, in die sie als Zehnjährige gelockt wurde, stockt einem der Atem. Und Sandra Schreiber ist als junge Gotteskriegerin Zaya so sanft und kühl zugleich, dass beide Schleifen der doppelten Wendung, die sie am Ende durchmacht, plausibel erscheinen. Denn Rayhana lässt die heterogene Frauengesellschaft zu einer fast kitschigen Solidaritätsaktion zusammenfinden, die jäh endet. Weil sich eine Frau, wie so viele vor ihr, zum Handlanger der Männergesellschaft macht.
Diese Komödie mit tragischem Grund ist klassisches Schauspielerfutter. Dass sie trotz überschwänglichen Lobs unter anderem von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek erst jetzt ihre deutschsprachige Erstaufführung erlebt, verwundert, ist aber nach diesem Abend auch nicht ganz unverständlich. Denn obwohl die Autorin in Interviews stets betont, dass es ihr um Männerherrschaft überall auf der Welt gehe (und auch die vielen blonden Mähnen in Ingolstadt den Interpretationsspielraum weit halten), ist es doch die Angst vor dem muslimischen Mann, die bleibt. Die Bedrohung durch ihn hat zwar kein Gesicht, am Ende aber liegt eine Tote auf der Bühne und die Ahnung in der Luft, dass sie nicht die letzte ist. Im Algier der 1990er Jahre oder im Hier und Heute. //