Georg Büchner war Naturwissenschaftler und promovierte über das Nervensystem der Barbe, einer Fischart. Durs Grünbein, Sie haben schon 1995 in Ihrer Rede zum Georg-Büchner-Preis gefragt, was Schädelnerven der Wirbeltiere mit Dichtung zu tun haben. Was sucht die vergleichende Anatomie im Monolog eines dramatischen Helden? Und welcher Weg führt von der Kiemenhöhle der Fische zur menschlichen Komödie? Diese Fragen sind noch immer nicht beantwortet, und ich möchte sie an Michael Hagner weiterreichen. Vielleicht können Sie für uns kurz den Kontext zur Wissenschaftsgeschichte dieser Zeit umreißen?
Michael Hagner: Vielleicht ist es sinnvoll, wenn man zwei Zugänge zum Verständnis des Gehirns, zur Struktur und Funktion des Gehirns im frühen 19. Jahrhundert, unterscheidet. Entweder man geht von der am höchsten entwickelten Form des Gehirns aus, die in der Natur vorkommt – das menschliche Gehirn. Dann kommt man zu der Frage, die Büchners Danton stellt, nämlich: „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“ Damals wurde das durch die Phrenologie von Franz Joseph Gall beantwortet, die eine erste psychologisch motivierte Lokalisationstheorie darstellt, die in ihren Grundannahmen bis zum heutigen Tag in der Hirnforschung Gültigkeit hat. Sie besagt, dass verschiedene kognitive, emotionale, triebhafte Qualitäten des Menschen ihren Sitz und Ursprung im Gehirn haben. Das wäre...