Theater der Zeit

Anzeige

Auftritt

Theaterkollektiv Pièrre.Vers: Gegen die Gleichgültigkeit

„Goldstück“ von Verena Güntner (UA)– Regie, Konzept Christof Seeger-Zurmühlen, Raum, Kostüm Susanne Hoffmann, Komposition und Sounddesign Bojan Vuletić

von Stefan Keim

Assoziationen: Sachsen Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Dossier: Festivals

„Goldstück“ vom Theaterkollektiv Pièrre.Vers beim Asphalt Festival in Düsseldorf. Foto Ralf Puder
„Goldstück“ vom Theaterkollektiv Pièrre.Vers beim Asphalt Festival in DüsseldorfFoto: Ralf Puder

Anzeige

Erst war es nur eine Kleinigkeit. Ein etwas zu langes Festhalten, ein etwas zu harter Druck am Handgelenk. Dann wird es immer schlimmer, bis die Beziehung fast nur noch aus Gewalt und Angst besteht. Die Bezeichnung „Goldstück“ ist von Anfang an ein schwieriges Kompliment gewesen, nun ist sie eine unmenschliche Absurdität. Der Theatertext von Verena Güntner erzählt von Femiziden, Vergewaltigungen, Demütigungen – und von einer Gesellschaft, die wegschaut und Verbrechen banalisiert. Das Theaterkollektiv Pierre.Vers hat dabei beim Kosmos Festival in Chemnitz und beim Asphalt Festival in Düsseldorf daraus eine vibrierende, intensive Performance gemacht.

Ein Türrahmen steht im weitgehend leeren Raum, sonst sind nur Umrisse angedeutet. Das Publikum kann sich das Zimmer eines Frauenhauses vorstellen oder das Haus eines Paares. Oder sich einfach nur auf den Text konzentrieren, der in einer stilisierten Sprache platten Realismus meidet, aber doch so direkt und verständlich ist, dass er emotional berührt. Es wird viel chorisch gesprochen, doch immer wieder übernehmen einzelne Darstellerinnen das Wort. Denn verständlich werden die Verbrechen an Frauen nur, wenn sie nicht Teil eines Phänomens sind, wenn Einzelschicksale erzählt werden, die natürlich für viele andere stehen. Vor allem Julia Dilmann findet dabei eine perfekte Tonlage zwischen Gefühl und Analyse, eine präzise Beschreibung, die das Publikum mitnimmt, ohne jemals in die Nähe eines Opferklischees zu rutschen.

Ein präzise geführter Chor aus Laiendarsteller:innen unterstützt das Profi-Ensemble. Hier entwickelt Verena Güntner ein treffendes Gesellschaftsbild. Hier agieren keine Menschen, die völlig kalt und ignorant sind, im Gegenteil. Sie sind vor allem überfordert von den vielen Krisen, mit denen man ständig bombardiert wird. Sie möchten ein bisschen Glück, ein wenig Spaß haben. Da bleibt zwischen all den Kriegen und Grausamkeiten, der sozialen Not und den wirtschaftlichen Problemen wenig Zeit, um sich auch noch mit toxischer Männlichkeit zu beschäftigen. Verwerflich ist das keinesfalls, aber natürlich auch nicht zielführend.

Die immer stärker werdenden antifeministischen Tendenzen werden zu packenden Momenten. Da spielt Alexander Steindorf einen pubertierenden Jungen, der von Botschaften bombardiert wird, wie ein richtiger Mann sein soll. Es wirkt, als habe er bloß die Wahl, ein Arschloch zu werden oder an den unerfüllten Erwartungen seiner Umwelt zu zerbrechen. Wenn man sich als Erwachsener die Videos von Maximilian Krah und ähnlichen Gestalten anschaut, kommen sie einem ziemlich lächerlich vor. Doch die Inszenierung zeigt, welche Wirkung sie auf einen jungen Menschen haben können.

Regisseur Christof Seeger-Zurmühlen beschränkt sich nicht auf die konzentrierte Textperformance. Er inszeniert teils sehr genaue, teils spontan wirkende Choreografien. Die Beats und kurzen Songs von Bojan Vuletić spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. So bekommt die durch die Sprechchöre ohnehin schon rhythmisch gestaltete Aufführung zusätzliche Musikalität. So ist „Goldstück“ ein ästhetisch wie inhaltlich hervorragender Abend, politisch-aktivistisches Theater ohne Vereinfachungen, stilsicher, vielschichtig und manchmal auch verstörend. Weil immer klar ist, dass es um nichts anderes als eine beängstigende Realität geht.

Erschienen am 12.8.2025

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag