Auftritt
Magdeburg: Abwäscher im Unterhemd
Theater Magdeburg: „Kruso“ von Dagmar Borrmann nach dem Roman von Lutz Seiler. Regie Cornelia Crombholz, Ausstattung Marion Hauer
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Tilmann Köhler und Miriam Tscholl: Montagswirklichkeit Dresden (11/2015)
Assoziationen: Theater Magdeburg
Auf der ersten Inszenierung von Lutz Seilers preisgekröntem und dazu auch viel diskutiertem Hiddensee-Roman – vier weitere werden allein in dieser Spielzeit noch folgen – lagen hohe Erwartungen. Wie könnte man das Buch mit den vielschichtigen Innenwelten des erzählenden Literaturstudenten Edgar Bendler überhaupt auf die Bühne bringen und für das Theater eine Form finden, in der die bislang poetischste Variante des sogenannten Genres Wenderoman nicht gleich durch die äußere Handlung gefangen genommen wird?
Dagmar Borrmann, vormals Chefdramaturgin in Leipzig und Wiesbaden, hat sich mit ihrer Bearbeitung gegen eine lineare Nacherzählung in Szenen entschieden und den Stoff nach ausgewählten Hauptmotiven sortiert. Das schärft zweifellos den Blick auf das Thema Freiheit oder Flucht für diese besondere Geschichte vom Ende der DDR und der mit ihr verschwindenden Gegenutopie, engt aber zwangsläufig den Zugriff auf den dafür doch viel komplexeren Stoff ein. Vor allem steht aber auf dem Spiel, wie viel von Seilers dichtem, mit literarischen Verweisen zu Georg Trakl, Uwe Johnson, Christa Wolf, Ulrich Plenzdorf und natürlich „Robinson Crusoe“ gesättigtem Stil bzw. seinen Entlehnungen aus der realen Welt der späten DDR wie dem singenden und ewig Party feiernden Feeling-B-Anführer Aljoscha Rompe verdeutlicht wird – oder eben einfach wegfällt. Da muss man von vornherein die Verluste abwägen.
Die Magdeburger Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz hat aus Borrmanns Fassung eine knallige Revue gemacht, die nur in den Zwischenspielen etwas von Seilers Romanschichten aufscheinen lässt. Zu Beginn fährt ein Schlauchboot mit russischen Soldaten durch ein leeres Schwimmbecken mit üppig grün bemaltem Pflanzenhintergrund (Bühne Marion Hauer) – das wirkt ein bisschen wie die Eröffnung eines Traums. Man sieht, wie der gleichsam dort gestrandete Ed davongetragen wird, hinein in die Gesellschaft der Kellner vom VEB-Ferienheim „Zum Klausner“, mit denen dann immer wieder ganz deftiges Gaststättenballett gemacht wird, inklusive Augenzwinkern beim Speisekartenaufsagen. Chef Krombach – von Thomas Schneider ausladend einnehmend gespielt und mit einer Exposition zum Thema „Hiddensee damals“ auftrumpfend – nimmt viel Raum ein in dem hektischen Tische- und Abwasch-Schieben. In der Inszenierung karikierte Figuren wie Koch-Mike (Alexander von Säbel) und der mit dessen Gedichten aufgeladene Rimbaud (Sebastian Reck) kommen hinzu. Die Kostüme aus Kellnerfrack und kurzen Hosen sollen ihre zerrissenen Aussteigerbiografien schneller als Worte erzählen, was wenig überzeugend wirkt, dafür aber die Revuelaune hebt und auf Tempo macht. Das hier von Sonka Vogt gespielte Rundfunkgerät Viola – mit dem sich, wie es im Roman heißt, Deutschlandfunk empfangen lässt, dessen Nachricht von der Massenflucht in Ungarn aber niemand zuhört – erhält hier die Rolle, den Zuschauer überdeutlich an den historischen Moment des Geschehens zu erinnern. Das ist vielleicht notwendig, aber so auch sehr viel plumper als bei Seiler.
Diese Äußerlichkeiten mit dem Hang zur eigenwilligen Bebilderung sind indes nicht das Problem. Erst spät taucht Kruso in der lockeren Szenenfolge auf und ist dann in Gestalt von Raphael Kübler ein nahezu uncharismatischer Abwäscher im Unterhemd, dem man die Aura eines ja doch ambivalenten Gurus der Freiheit in keinem Moment abnimmt.
Zwar trägt er die speckigen Lederhosen, die Aljoscha Rompe einst von Jim Morrison geborgt hatte, aber keinerlei Züge eines großen, wissenden Verführers, der über die Ebene von Kellnerballett und mit Taschenlampen im Schlauchboot herumfuchtelnden Grenzern mit seiner hier nur angerissenen Familiengeschichte triumphieren müsste. Diesen Schwachpunkt macht der dagegen trefflich besetzte Ed von Raimund Widra mit seiner Parzival-haften Verträumtheit in Gesicht und Gesten nicht wett.
In der vielleicht besten, weil auch einmal ruhig auf Dialog gebauten Szene verteidigt Kruso seine private Utopie gegenüber Ed: Die Toten geben uns Zeichen. Flucht ist der falsche Weg. Da bekommt die Geschichte über die zerfallende Klausner-DDR an ihrem Inselrand plötzlich eine auch heute noch bewegende, nicht ganz so eindeutige Tiefe. Die Regie ist jedoch entschlossen, solche feinen Linien schnell wieder in einer derb-alkoholisierten Weihnachtsfeier oder einem ausgiebig verulkten Strandfußballspiel versanden zu lassen. „Kruso“ ist im Theater anders zu treffen, aber da gibt’s ja noch Gelegenheit. //