Jetzt also der Baal. Was für eine Figur! Der Titelheld von Bertolt Brechts erstem abendfüllenden Drama ist ein Dichtergenie von geradezu animalischer Lustversessenheit. Ein Frauenverschlinger erster Güte, bei dem die saloppe Floskel von der „reichlichen Tinte im Füller“ schönste Doppeldeutigkeit hat: Baal hat Ergüsse am Schreibtisch wie im Bett, wobei Letzteres im Stück – und vor allem bei Castorf – weit ausführlicher vorgeführt wird und nicht zwingend einer Matratze als Unterlage bedarf. Baal macht’s auch im Stehen oder auf der Tischplatte, wie’s gerade passt.
Fast wundert man sich, dass Frank Castorf nicht schon früher zugegriffen hat. Stück und Figur scheinen wie geschaffen für sein Theater, dem die Maßlosigkeit so wenig fremd ist wie Baal. Castorf schätzt das Extreme. Auch die extreme Länge. Gut viereinhalb Stunden in diesem Fall. Für einen Castorf-Abend ist das ja beinahe kurz, für den „Baal“ dagegen recht ordentlich. Natürlich hat das XXL-Format damit zu tun, dass Frank Castorf auch bei seiner dritten Münchner Inszenierung unter Residenztheater-Intendant Martin Kušej wieder jede Menge Fremdmaterial (unter anderem von Sartre und Rimbaud) in die Vorlage montiert hat, deren Szenen er zudem wild durcheinanderschüttelt. Ohne Rücksicht auf die Stückchronologie. Was bei Castorf niemanden ernsthaft überrascht haben dürfte. Doch so kann man...