Theater der Zeit

Magazin

Gewalt und Zärtlichkeit

Rainer Werner Fassbinder, der wegweisende Regisseur des Neuen Deutschen Films, wäre in diesem Monat junge siebzig Jahre alt geworden

von Gunnar Decker

Erschienen in: Theater der Zeit: Song of Smoke – Der Regisseur und Musiker Thom Luz (05/2015)

Assoziationen: Akteure Dossier: Bühne & Film

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Hanna Schygulla, seine wohl wichtigste Schauspielerin – auch sie ein Antistar, die seine Filme mit einer ihr innewohnenden lasziven Langsamkeit mehr bewohnte als an ihnen arbeitete –, erinnert sich an die bereits 1963 beginnende Beziehung zu Fassbinder als von einer „elektrisierenden Distanz“ bestimmt. Ihn habe eine „gefährliche Schüchternheit“ beherrscht, die auf unheimliche Weise ausschlagen konnte.

Der Rahmen: Nach dem Krieg, mitten im sogenannten Wirtschaftswunder Westdeutschlands, wollte man nicht zurückblicken. Ein Volk der Täter? Wer so etwas sagte, galt als Nestbeschmutzer. Also wurden in den 1950er Jahren im Westen Filme im Stil der UFA gedreht, ebenso heiter wie verlogen. Kleinbürgerträume von der heilen Welt. In den 1960er Jahren kamen dann die Autorenfilmer. Sie wollten die Deutschen zwingen, in den Spiegel zu blicken. Aber ihr Ziel ging noch darüber hinaus: Film sollte als Kunstform ernst genommen werden, so wie in Frankreich oder Italien. Der Radikalste unter ihnen war zweifellos Rainer Werner Fassbinder. Sein Rigorismus scheint sehr deutsch. Eine so unbedingt nationale Selbstkritik kennt man nur aus der Dichtung bei Lenz oder Hölderlin. Im Film versuchte es auf ähnliche Weise, aber mit wesentlich kürzerem Atem, Wolfgang Staudte in seinen frühen DEFA-Filmen „Die Mörder sind unter uns“ und „Der Untertan“.

Fassbinder aber schuf bis zu seinem Tod mit 37 Jahren ein filmisches Bergwerk der deutschen Seele. Natürlich, das „unglückliche Bewusstsein“ war auch bei diesem manischen Arbeiter (allein im Jahr 1970 drehte er sieben Filme) immer dabei. Der Autodidakt, den man ebenso an der Schauspielschule wie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie abgelehnt hatte, näherte sich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre dem Film über das Theater, genauer, über jenes von ihm mitgegründete antitheater, das fortan den herben Charme seiner Arbeiten ausmachte.

Fassbinders schöpferische Kraft hatte etwas Explosives. Seine „BRD-Trilogie“ zeugt davon. „Die Ehe der Maria Braun“ bildet den Auftakt (mit Michael Ballhaus als Kameramann und Hanna Schygulla als Hauptdarstellerin). Mit dieser Trilogie widerlegte Fassbinder Heiner Müllers Diktum, dass man in der Bundesrepublik keinen Nerv für die Tragödie habe. Fassbinder zeigt die Tragödie im Schatten des Wirtschaftswunders, die immer zur Tragikomödie mutiert. Während des Krieges hatte sich paradoxerweise die deutsche Frau emanzipiert. Als aber die überlebenden Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehren, wird diese Zeit einfach ausgeblendet, die Frauen müssen zurück an den Herd. Aber so ganz vergessen können sie einmal Erfahrenes doch nicht. Die deutsche Frau wird weltbürgerlich, trotz all ihrer immer noch unübersehbaren Provinzialität – davon zeugt auch 1973 „Angst essen Seele auf“, wo Brigitte Mira eine ältere Frau spielt, die zum Entsetzen ihrer Familie an- kündigt, den schwarzen Ali zu heiraten.

In „Lola“, dem zweiten Teil der BRD-Trilogie von 1980, ist es die junge Barbara Sukowa als lebenskluge Kleinstadtprostituier- te, die im Coburg des Jahres 1957 zwei Män- ner, den moralinsauren Baudezernenten von Bohm (Armin Mueller-Stahl) und den Baulöwen Schuckert (Mario Adorf), gegeneinander ausspielt. Die Geschichte der Bundesrepublik im Spiegel einer korrupten Kleinstadtchronik! Es gibt nichts, womit man nicht Geld verdie- nen könnte, sagt der Zeitgeist? Dann geht es überall zu wie in einem Bordell.

Ein derartiger Zugriff auf das Wirtschaftswunderland verärgerte natürlich viele, ebenso wie Fassbinders mit antisemitischen Klischees spielendes Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“. In „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ als drittem Teil der BRD-Trilogie, kurz vor seinem Tod beendet, sehen wir Hilmar Thate als Sportreporter in einer Sinnkrise, wie er der alkohol- und rauschgiftsüchtigen Ex-UFA-Schauspielerin Veronika Voss (Rosel Zech) verfällt, die wiederum von einer skrupellosen Ärztin finanziell ausgebeutet wird. Ihre Flucht in eine Traumwelt endet im Tod.

Fassbinder, der hier offenkundig mit der Möglichkeit seines eigenen Todes spielte, hat bei aller Drastik der Darstellung einer ebenso kalten wie korrupten Wirtschaftswelt doch immer auch ein poetisches Gespür für seine Schauspieler, besonders für die Schauspielerinnen! So viele Frauen, die er instinktsicher in seinen Filmen in Szene setzt (und oft auch auf wunderbare Weise singen lässt): Hanna Schygulla, Barbara Sukowa, Irm Hermann, Ingrid Caven, Rosel Zech, Cornelia Froboess, Brigitte Mira, Elisabeth Volkmann … Es scheint, eine große Zärtlichkeit wohnte in diesem seine Schroffheit wie einen Schild vor sich hertragenden Mann. //

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