Die 1960er und 1970er Jahre
Juri Ljubimow: Gegner von Idolen
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Juri Ljubimow: Gegner von Idolen88
1964 wurde Juri Ljubimow, der bisher als Schauspieler tätig gewesen war, Chefregisseur und Leiter einer neuen Schauspieltruppe. Sie zog in das Moskauer Theater an der Taganka. Ausgangspunkt des jetzt neuen Theaters war die Inszenierung von Brechts DER GUTE MENSCH VON SEZUAN. Demonstrativ „verfremdend“ agierte man einfach, fast nüchtern in einem karg ausgestatteten, von Leinwandgehängen unverdeckten Bühnenraum und stellte das Spielen von Vorgängen/einer Geschichte gestisch betont aus.89 Die Inszenierung war im sowjetischen Kontext eine Kampfansage gegen das in der Sowjetunion noch dominantes Theater, das, sich auf Stanislawski berufend, auf tief emotionalisierte Einfühlung, überschwengliches Pathos und gestisch ungenaues Agieren setzte und an den alten Illusionismus des 19. Jahrhunderts erinnerte. Die Darstellungsweise sprach so unmissverständlich von der kulturpolitisch emanzipativen Stoßrichtung. Mit ihr begann Ljubimow, das zu stürzen, was er unakzeptable Idole nannte. Programmatisch blieb sie bis in die späten 1970er Jahre im Repertoire.
Spezifisch, vielleicht singulär unter den emanzipativ orientierten Theatermachern der 1960er und 1970er Jahre war Ljubimows Konzept des Regisseurs. Er begriff ihn, hier dem von ihm nicht erwähnten Craig gleichend, ausdrücklich als die entscheidende Komponente von Theaterkunst. „Schauspieler ist ein nachvollziehender Beruf“, schrieb er 1973. „Und es ist dumm, zu...