Theater der Zeit

Magazin

Inflationär produzierte Sprache

Im Zentrum der Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft in München stand das gesprochene Wort

von Sabine Leucht

Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)

Wenn im Theater gesprochen wird, gibt es nicht nur Sprecher und Adressaten, sondern auch die semantische, die emotionale und die materielle Ebene des Wortes; einen Ort, von dem es kommt, und Mittel, die sich kollegial oder in kämpferischer Absicht zu ihm gesellen. Es kann Gesang werden, Raunen, Murmeln – oder Verstummen. Insofern ist das „Sprechen auf der Bühne – und über das Theater“, dem sich die Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft vom 24. bis zum 27. Januar 2013 in München widmete, eine komplexe Sache. Entsprechend war das Feld der Vorträge, Diskussionen, Tischgespräche und Workshops weit. Zwischen der Eingangsfrage „Wer spricht wann, zu welchem Zweck, mit welchem Interesse?“ und der finalen Runde zum Thema „Wen spricht an, wie auf der Bühne gesprochen wird?“ verbreiteten im proppenvollen Haus der Bayerischen Theaterakademie August Everding Wissenschaftler und Theaterpraktiker Basisinfos und Erfahrungswerte. Von Sonja Kotz bekam man am Freitag die neurowissenschaftliche Bestätigung dafür, dass sich rhythmisch Gesprochenes besser ins Unterbewusste gräbt; der Samstag brachte u. a. einen lebhaften Eindruck vom Verantwortungsverschiebebahnhof Auftragswerk: Dramatiker liefern unter Druck unfertige Texte ab, und enttäuschte Dramaturgen spielen den Schwarzen Peter den Medien zu, die sich nur für Uraufführungen interessieren.

Auf dem Podium, auf dem neben Nino Haratischwili, Dirk Laucke und Thilo Reffert auch die Verlagsdramaturgin Anke-Elisabeth See (vom Gustav Kiepenheuer Verlag) saß, dominierte die Sorge um gefragte Autoren (See über Laucke: „Du musst mal wieder leben!“) und um die Theater, die bei knapper werdenden Kassen immer mehr Output produzieren. Hier wäre ein neues Bündnis fällig: gegen die grassierende Mittelmäßigkeit – auch der inflationär produzierten Sprache. Ein Bündnis, wie es sich in der Runde aus Opern- (Olaf A. Schmitt), Tanz- (Pirkko Husemann) und Sprechtheaterdramaturgen (Julia Lochte) und der Figurentheater- Fachfrau Stefanie Rinke abzeichnete, das sich generell über die wachsende Bedeutungslosigkeit von Spartentrennung wunderbar einig war, um dann die „Sprechtendenzen“ doch nach Sparten zu trennen: Im Sprechtheater müsse man längst nicht mehr alles verstehen. Auch nicht akustisch. Tanz generiere sich häufiger als gedacht aus sprachlichen Vorlagen, und selbst in der Oper müsse das Singen aufwendiger begründet werden als das Sprechen. Und für das Figurentheater gilt: Was ich spielen kann, muss ich nicht sagen.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Andres Veiel, der in seinem Eröffnungsvortrag über die Gespräche mit Bankern für seine viel diskutierte Inszenierung „Himbeerreich“ (s. S. 49) dafür plädierte, „das gesprochene Wort auf den Thron der Aufmerksamkeit zurückzuholen“. Es müsse aber vom Schauspieler gedacht werden können. Hierzu seltsam quer steht der Regisseur und Choreograf Laurent Chétouane, dem es um eine tägliche Neubegegnung mit dem Text geht, bei der „der Text nie ganz der eigene und der Schauspieler nie ganz Figur“ werde: „Wenn ich Wort für Wort wie Perlen nehme, baut sich die Bedeutung schon auf – von ganz allein“, so der gebürtige Franzose, der sich damit extrem auf die deutsche Sprache eingelassen hat, bei der, wie er sagt, „jedes Wort wie ein Stein“ ist.

Die Fremdsprache war schon zu Beginn der Tagung ein Thema, als die Dramaturgin Julia Lochte für die Münchner Kammerspiele darauf hinwies, dass das Publikum sich am Akzent ihrer belgischen Akteure weniger stoße, wenn er zur Figur passe. Eine gut gelaunte und bunt gemischte Podiumsrunde griff das Thema abschließend wieder auf: Er habe das dritte Ohr nicht, sagte etwa der Schauspieler Kristof van Boven, das ihm sage, ob man etwas so oder so ausspricht. Deshalb nehme er die Sprache wie eine abstrakte Musik. Dagegen berichtete die Dramaturgin Stefanie Carp, wie zu ihren Züricher Zeiten Josef Bierbichlers bayerischer Akzent bei älteren Zuschauern Missfallen erregte. Heute dagegen habe sich die selbstbewusste Schauspielerpersönlichkeit weitgehend durchgesetzt. Christian Stückl, der Intendant des Münchner Volkstheaters, der nach eigenem Bekunden gar nicht weiß, was Hochdeutsch ist, konnte da nur beipflichten. Doch neben so viel Konsens gab es auch lustige Missverständnisse, etwa über den Begriff „Irritation“ (was ein Gros der Diskutanten als essenziell für ihre Theaterarbeit betrachtete, was aber die langjährige Residenztheater-Schauspielerin Juliane Köhler nur an reihenweise flüchtende Zuschauer denken ließ), und konträre Meinungen darüber, ob der Dialog zwischen Bühne und Publikum möglich sei. Ein Trost: So kann auch weiterhin über das Sprechen im Theater gesprochen werden. //

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