Theater der Zeit

Thema: Paris

Abschied vom Kampf der Kulturen

Wie der Künstler Rabih Mroué mit seiner Arbeit die Verwerfungen zwischen Europa und der arabischen Welt systematisch analysiert

von Johannes Odenthal

Erschienen in: Theater der Zeit: Je suis Charlie (02/2015)

Assoziationen: Europa Debatte Asien Akteure

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Mit der medialen Theaterproduktion „Three Posters“ (2000) hat der libanesische Schauspieler, Regisseur, Dramatiker und bildende Künstler Rabih Mroué in der Kooperation mit dem Schriftsteller Elias Khoury das Klischee der vorausgesetzten Identität von islamistischem Fundamentalismus und Terrorismus erschüttert. Geht es einerseits um das Verhältnis zwischen Bild und Tod, das sich in den Videobotschaften der Selbstmordattentäter ausdrückt – der Attentäter spricht aus einer Zeit nach seinem Tod –, so schockiert vor allem das Video eines gescheiterten Kommunisten, der 1978 in der israelischen Besatzungszone ein Selbstmordattentat verübte. Diese Theaterarbeit hat eine große Aktualität behalten, weil sie die automatischen Mechanismen der medialen Zuschreibungen in Frage stellt. So wie die arabische Welt zu häufig allein als islamische Welt definiert wird und dabei ihre kosmopolitischen Traditionen, ihre religiöse, ethnische und kulturelle Vielfalt in Ländern wie dem Libanon, Syrien oder Ägypten ausgeblendet werden, so kann der aktuelle Terrorismus, auch die Selbstmordattentate, nicht nur als ein Phänomen des Islam gelesen werden.

Wenn wir den Ansatz des französischen Politikwissenschaftlers Olivier Roy aufgreifen, den islamistischen Terror nicht zuerst als ein religiöses Phänomen zu lesen, sondern als ein kulturelles, dann ergeben sich Bezüge zu revolutionären Bewegungen wie der RAF oder sogar der Che Guevaras. Als radikalisierte und kriminalisierte Rebellion sprechen Terrororganisationen wie al-Qaida oder der IS Jugendliche an, die aus kulturellen Bezugssystemen herausgefallen sind. Ihre Gewaltfantasien faszinieren eine globale Jugendkultur.

Das Modell vom Kampf der Kulturen berücksichtigt eben nicht, dass Kultur und Religion keine Identitäten mehr sind. „Wir wollen, dass die Erklärungen auf Samuel Huntington hinauslaufen, den Clash of Civilizations – aber das funktioniert nicht; und das macht uns noch verständnisloser und hilfloser. Wir haben ein Problem mit unserer Sichtweise – wir erlauben IS und al-Qaida, sich als Repräsentanten der arabischen Gemeinschaft darzustellen.“ (Süddeutsche Zeitung vom 29./30. November 2014) Diese Vorstellung, so Olivier Roy, sollten wir aufgeben.

Der Pariser Terrorakt ist ein Angriff auf die kulturellen Fundamente von Gesellschaft. Der Angriff auf das World Trade Center hatte die westliche Wirtschaftsmacht im Visier, die Ermordung der Karikaturisten aber die Basis der Moderne. Deswegen ist der Widerstand gegen die Bedrohung, ist die Solidarität in Europa auch so überwältigend. Es ist ein ungeheurer Beweis für die Bedeutung von Kunst und Kultur, der von Millionen Menschen auf den Straßen, von Politik und Vertretern der Glaubensgemeinschaften erbracht wird.

Entscheidend wird sein, wie wir in Deutschland und Europa die Klischees von der arabischen Welt, vor allem aber von den Europäern arabischer Herkunft aufbrechen können. Das geht für uns im künstlerischen Feld und in der Kultur nur im Bündnis und im intensiven Austausch mit den Kunstszenen aus der Region. Rabih Mroué, zurzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter für das internationale Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“ an der Freien Universität Berlin, ist dafür das beste Beispiel.

Rabih Mroué zu seiner Produktion „Three Posters“ und dem Verhältnis zwischen Kunst und gesellschaftspolitischem Raum. Auszüge aus dem Interview „Kein Bild ist hundertprozentig real“ mit Johannes Odenthal, erschienen in „Positionen 7: Zeitgenössische Künstler aus der Arabischen Welt“ (Göttingen 2013):

(…) Angefangen hat alles mit der Videobotschaft von Jamal Sati, einem Mitglied der Kommunistischen Partei, der im Widerstand der LNRF, der Libanesischen Nationalen Front, gekämpft und ein Selbstmordattentat gegen die israelische Besatzung des Libanon 1978 verübt hat. Was uns wirklich schockiert hat, waren die Wiederholungen auf dem Band. Elias Khoury und mich haben damals viele Fragen bewegt, beispielsweise, wie und warum ein Kommunist, ein weltlich denkender Atheist, Selbstmord begeht? Bei religiösen Fundamentalisten, die an ein Leben nach dem Tod glauben, ist das etwas anderes. Aber ein Atheist, der nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt – welche Bewandtnis hat es, wenn so jemand Selbstmord begeht? So hat alles angefangen.

Wir bemerkten, dass Jamal Sati in dem Video wie ein Schauspieler agiert. Er versucht, seine Botschaft möglichst glaubhaft zu vermitteln. Es ist offensichtlich, dass er die Kamera mehr fürchtet als den Tod. Die Macht der Kamera ist ein wichtiges Thema. Warum sollte jemand, der bald sterben wird, sich in Bezug auf sein Bild in einem Video so anstellen? Welche Spuren hinterlässt ein Märtyrer nach der „Selbstmordmission“? Sind es die körperlichen Auswirkungen – also das, was diese Mission den Feind kostet? Oder ist es das Video, das er hinterlässt? Und was ist letztendlich stärker? Hat er das Gefühl, dass das Bild, das er nach seinem Tod hinterlässt, bedeutender ist als das Attentat selbst oder zumindest ebenso bedeutend? Das würde wiederum bedeuten, dass sein Video einen sehr hohen Wert hat. Was ist das für ein Wert? Das war eine der ersten Fragen, die wir uns in „Three Posters“ gestellt haben. Daneben haben wir uns Gedanken gemacht über das Verhältnis zwischen Märtyrer und Kamera. Er blickt in die Kameralinse, und durch die Linse spricht er zu seiner Familie, seinen Genossen, seinen Freunden und den Bürgern. Er spricht zu uns allen durch eine Kamera als Vermittler und verkündet seinen Tod. Er sagt: „Ich bin der Genosse Märtyrer.“ Denn er glaubt, dass er, wenn wir das Video sehen, bereits tot ist. Deshalb sagt er, ich bin ein Märtyrer. Er erklärt sich schon vor seinem Tod für tot. Das ist eine ungeheuer starke Aussage. Meine These ist, dass der Todesakt in dem Moment beginnt, in dem er sich vor die Kamera stellt und die Start-Taste drückt, und endet, wenn er auf Stopp drückt und die finale Videoversion zur Vorführung bereitsteht. Sobald er entschieden hat, dass seine Botschaft beendet ist, ist er im Grunde tot. Aber was passiert in der Zeit zwischen dem Betätigen der Start- und der Stopp-Taste? Ist er da lebendig, oder ist er tot? Während er die Aufnahmen macht, befindet er sich bereits zwischen beiden Welten, der Welt der Lebenden und der Welt der Toten.

Seit 2011 sind wir mit den Revolten in der arabischen Welt konfrontiert. Hat sich dein Selbstverständnis als Künstler durch diese Ereignisse verändert?
Natürlich hat sich etwas verändert. Aber wir verändern uns doch andauernd irgendwie. Die arabische Revolution hat Künstlerinnen und Künstler mit zwei wichtigen Fragen konfrontiert. Einmal geht es um das Verhältnis von Kunst und Aktivismus. Diese Frage stellt sich überall in der Welt, nicht nur im Libanon oder in Tunesien, Ägypten und Syrien. Plötzlich sieht man überall Veranstaltungen und Diskussionen, sogar Titel für Ausstellungen über Kunst und Aktivismus. Für mich wirft das mehrere Fragen auf: Was ist Aktivismus? Und wenn ich Aktivist bin, wie kann ich mich dann als Künstler definieren? Was bedeutet Kunst in diesem Kontext? Kann Kunst sich an einer Revolution beteiligen oder nicht? Und wenn Künstlerinnen und Künstler durch ihre Arbeit Fragen aufwerfen sollen, wie können sie dann in ihrer Arbeit gleichzeitig Aktivisten sein, wo für Aktivisten die Antworten so klar und gewiss sind?

Die nächsten Fragen, die sich mir aufdrängen, sind, wann darf ein Künstler oder eine Künstlerin Kunst über eine Revolution machen? Wenn sie begonnen hat? Oder ist das zu früh? Wie lange soll er oder sie mit einem Kunstwerk warten? Einen Monat? Zwei Monate? Ein Jahr? Das klingt sehr naiv, aber wenn man mal über diese Fragen nachdenkt, wird schnell klar, dass sie nicht so leicht zu beantworten sind. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung, die von Person zu Person anders ausfällt, und da kann man auch keine Regeln aufstellen. //

 

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