Theater der Zeit

Gespräch

Gegen die Endlichkeit anarbeiten

Ein Gespräch mit Sabine Princ, Ines Handel und Antonia Napp über Puppenmaterial und Restaurierung

Die double-Redakteurin Meike Wagner führt mit den Restauratorinnen Sabine Princ (Puppentheatersammlung des Münchner Stadtmuseums) und Ines Handel (Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden) und der Museumsleiterin Antonia Napp (KOLK17 in Lübeck) ein Gespräch über Materialkatastrophen, die Möglichkeiten von Rekonstruktion und Dokumentation, den künstlerischen Materialzugang, der nicht an morgen denkt, und die Konsequenzen des Klimawandels auf Museum, Mensch und Material.

von Meike Wagner, Sabine Princ, Ines Handel und Antonia Napp

Erschienen in: double 45: An die Substanz – Material im Figurentheater (04/2022)

Assoziationen: Schleswig-Holstein Sachsen Bayern Puppen-, Figuren- & Objekttheater Dossier: Material im Figurentheater

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Wie kommen Objekte überhaupt ins Museum? Spielt das Material eine Rolle bei der Auswahl von Objekten?

Sabine Princ: Also bei uns ist es in der Regel so, dass der Kurator entscheidet, was er ins Haus nehmen will. Aber inzwischen wissen viele Kurator*innen, dass bestimmte Materialien besonders heikel sind. Es gibt aber natürlich Objekte, die trotz dieser heiklen Materialität eine besondere Wichtigkeit haben, sodass man sie trotzdem in die Sammlung aufnehmen will.

Ines Handel: Also wenn z. B. das Objekt aus Kunststoff, aus Schaumstoff ist, da haben wir auch schon gemeinsam überlegt, ob es überhaupt Sinn macht, so ein Objekt aufzunehmen, weil dessen Vergänglichkeit ja auf der Hand liegt.

Antonia Napp: Weil wir so eine kleine Institution sind, haben wir gar keine Restaurator*innen fest am Haus, die an solchen Entscheidungen beteiligt sein könnten. Für mich als Leitung läuft die erste Entscheidung entlang von Sammlungskriterien. Was fehlt uns noch? Sind bestimmte Dinge da, die dazu passen können? Was ist auch regional wichtig? Da spielt die Materialität zunächst eine vollkommen untergeordnete Rolle. Trotzdem sind wir im Team durch einige Horrorfälle – vor allen Dingen durch Figuren aus Schaumstoff oder Kunststoff – inzwischen alle sehr sensibel und haben auch immer die Vergänglichkeit im Blick.

Schaumstoff hat keine Zukunft

Schaumstoff scheint keine Zukunft zu haben.

SP: Man kann aber durchaus auch Lösungen dafür finden. Man kann Schaumstoff, wenn er einen halbwegs stabilen Zustand hat, unter Sauerstoff-Abschluss einlagern und damit die Lebenszeit gravierend verlängern. Man kann die Sachen in beschichtete Keramikfolien, also Verbundfolien, einschweißen und gibt Sauerstoffabsorber dazu, dadurch ist der Oxydationsprozess aufgehoben. Wenn ich wieder Zugang zu diesen Objekten haben will, dann muss ich das Paket natürlich öffnen. Dann ist es vielleicht einmal zwei Monate exponiert, danach kann man aber wieder eine sauerstofffreie Atmosphäre herstellen.

Das heißt, der Zugang ist möglich, auch die Präsentation ist noch möglich, wenn auch limitiert, aber mal eben so den Deckel von der Kiste und wieder drauf, das würde man nicht machen.

AN: Bei uns ist der erste Blick nicht direkt in den Karton, sondern in die Datenbank, in der solche Materialaspekte miterfasst werden. Da kann man reingucken für eine Ausleihe oder Ausstellung, aber auch für die wissenschaftliche Forschung, ob das Objekt auf ‚grün‘, ‚gelb‘ oder ‚rot‘ steht. Und dann kann man auch noch genauer schauen, wo die Probleme sind: Ist da jetzt bloß das Gewand kaputt oder ist es wirklich ein ganz substanzieller Schaden?

IH: Wenn Du ein Objekt von uns für eine Ausstellung ausleihen willst, fragen wir erst einmal: Tut diese Ausleihe dem Objekt gut? Es wird ja schließlich einer Bewegung, Licht und verschiedenen Klimabedingungen ausgesetzt. Nach einem Gespräch zwischen den Wissenschaftler*innen und mir als Restauratorin stimmen wir der Ausleihe zu oder wir lehnen sie ab. Oder wir bieten stattdessen etwas Anderes an. Um solche Entscheidungen zu treffen, ist in erster Linie natürlich das Material maßgeblich. In die Betrachtung kommt aber auch mit hinein: Wo geht es hin? Wie lange geht es da hin? In welcher Ausstellung kann man damit wen erreichen, wie viele Leute? Was will man zeigen?

Materialwissen und Erfahrung

Die gleichen Fragen würde ich mir auch stellen, aber ich könnte sie nicht beantworten, weil ich die Expertise nicht habe.

IH: Das ist Erfahrung. Wissen und Erfahrung.

SP: Wenn man z. B. ein Textil vor sich hat, das lange schon dem Licht ausgesetzt war, dann sieht man einfach, jede Berührung oder jeder Transport würde dieses Gewebe weiter schädigen. Ebenso wie man den sich zersetzenden Schaumstoff sieht und riecht. Man könnte dann noch eine chemische Analyse machen, aber insgesamt machen die Erfahrungswerte das Gesamtbild aus. Diese Aspekte sind ja auch Teil der Ausbildung. An den Ausbildungsstätten für Restaurator*innen, den Hochschulen, gibt es auch eine ganze Reihe von Abschlussarbeiten, die sich mit diesen Themen ganz fundiert befassen und auf die wir auch Zugriff haben. Die Studierenden kommen für ihre Forschungen auch zu uns.

AN: Was man bei Theaterfiguren betrachten muss, ist, dass das so unheimlich materialvielfältige Objekte sind. Da hat man eine Figur, die besteht vom Kopf bis zu den Füßen aus vielen verschiedenen Materialien, die eventuell miteinander reagieren. Wir müssen dann spezielle Restaurator*innen auswählen, die sich auf ein bestimmtes Material spezialisiert haben.

SP: Da haben wir im Stadtmuseum natürlich den Vorteil, dass wir so eine große Restaurierungsabteilung haben mit allen Spezialist*innen. Also wenn ich es mit Metall zu tun habe, dann kann ich zum Metallrestaurator oder zur Textilrestauratorin. Wir können gemeinsame Besprechungen machen.

Die Utopie der Unendlichkeit

In welchen Zeiträumen denken Restaurator*innen? Müssen die Dinge für die Ewigkeit erhalten werden?

AN: Unser Zeithorizont ist die Ewigkeit und das ist natürlich utopisch. Nichtsdestotrotz denke ich, man muss bei den sehr beanspruchten Objekten immer berücksichtigen, dass das eben keine Kunstwerke für einen Galerieort oder ein Museum gewesen sind, sondern wir haben es mit Objekten zu tun, die ein sehr bewegtes und auch sehr materialverschleißendes Leben auf der Bühne geführt haben. Wir haben einen wunderbaren Satyr aus den Schichtl-Marionetten, der einmal komplett mit Fell bezogen war. Auf den überlieferten Fotografien kann man ganz gut sehen, wie schön der gewirkt hat. Nur ist der jetzt schon ganz brüchig und total kahl an vielen Stellen. Wir haben ihn auf eine Platte montieren müssen, damit er überhaupt ausgestellt werden kann. Da ist natürlich nichts mehr von dieser Theaterfigur übrig, von ihrer Wirkung, von ihrer künstlerischen Ausstrahlung. Und an solchen Stellen, denke ich, da könnte man mit modernen Methoden der Rekonstruktion die theatralen Qualitäten, die man jetzt nur noch erahnen kann, dem Publikum noch einmal zeigen.

Rekonstruktion und Dokumentation

SP: Rekonstruktionsmöglichkeiten diskutieren wir auch immer wieder. Wir hatten z. B. im Sommer eine Leihanfrage aus Ungarn, die wollten unsere kostbaren Tschuggmall-Figuren haben. Vor Ort gab es aber keine idealen Bedingungen für die Objektpräsentation, und so haben sie letzten Endes eine Künstlerin beauftragt, diese Figuren nach Fotos und Zeichnungen aus bei uns vorhandenen Diplomarbeiten für die Ausstellung zu rekonstruieren. Der Vorteil ist dann, dass man bei diesen mechanischen Figuren mit einer Rekonstruktion die Mechanik vorführen kann. Das würde man mit historischen Objekten nicht machen, weil jede Bewegung am Objekt auch einen Verschleiß beinhaltet.

IH: Bevor ein Objekt sich auflöst, muss man das eigentlich dokumentieren. Ich würde immer zumindest eine 3D-Aufnahme machen, so dass man später dann die Möglichkeit hat, das wieder nachzubauen. Wir haben z. B. einen Goblin aus dem Film „Labyrinth“ (1986) von Jim Henson bekommen. Es gab viele von diesen kleinen Figuren, München hat ja auch eine, aber jede Figur ist ein Unikat. Der Goblin-Kopf ist aus einem Latexschaum und der ist vergänglich. Wir haben den an der Hochschule für Technik und Wissenschaft Berlin restaurieren lassen. So haben wir den Zerfallsprozess aufgeschoben, aber er ist trotzdem einer Vergänglichkeit unterworfen. Da wir die finanziellen Möglichkeiten hatten, haben wir deshalb für den Goblin auch noch eine 3D-Dokumentation machen lassen.Damit kann man so ein vergängliches Objekt im Prinzip konservieren.

Man muss wirklich von Optimismus erfüllt sein, um so unermüdlich gegen den Zahn der Zeit zu arbeiten.

SP: Das ist natürlich die Aufgabe des Museums als kollektives Gedächtnis. Wir haben auch sehr alte Objekte in der Puppentheatersammlung, etwa aus dem 18. Jahrhundert. Die sind aber aus Metall oder aus Holz, das sind robuste Materialien, mit denen wir Langzeiterfahrungen haben. Dieses Phänomen der sehr vergänglichen Materialien ist relativ jung.

Erschöpfung und Klima

Spielt der Klimawandel eine Rolle in eurer Arbeit?

SP: Absolut. Im noch nicht renovierten Stadtmuseum haben wir zum Teil die Sammlung schließen müssen, weil es im Sommer zu warm geworden ist.

Und ihr habt sie nicht wegen der Besucher*innen schließen müssen, sondern wegen der Objekte?

SP: Beides. Die Besucher*innen sind auch kollabiert …

Sie stoßen auch an ihre materiellen Grenzen.

AN: Bei unserem Umbau und Neubau denken wir schon an Nachhaltigkeit bei der Ausstattung der Häuser und auch bei der Ausstellungspraxis. Unser alter Standort ist nur 200 Meter von der Trave entfernt. Und da gibt es, klar, auch Überlegungen, was machen wir eigentlich, wenn es Starkregen-Ereignisse gibt? Wie kann man da vorbeugen, wie sind wir da gesichert?

IH: Das Thema Erderwärmung und das damit begünstigte Populationswachstum, das leider, aber konsequenterweise auch die Museumsschädlinge betrifft, beeinflusst immer öfter die Diskussionen im Restaurator*innenkreis. Die Objekte in unserer Sammlung werden nun regelmäßig überwacht, um bei einem möglichen Befall sofort reagieren zu können.

SP: Bei uns ist das so, dass alle Neuzugänge mit organischen Materialien erst einmal daraufhin behandelt werden. Wir haben eine Kammer, in der die Objekte unter Sauerstoffentzug mehrere Wochen erst einmal quasi in Quarantäne kommen, bevor sie überhaupt in die Sammlung dürfen.

Die Künstler*innen denken nicht an morgen

Wie unterscheidet sich der Materialzugang der Künstler*innen, der Wissenschaftler*innen und der Restaurator*innen?

IH: Für die Künstler*innen ist die Produktion des Objekts maßgebend. Die denken überhaupt nicht an Langlebigkeit, sondern an das bestmögliche Ergebnis für die Kunst. Der Wissenschaftler, der setzt das in einen Kontext. Der betrachtet auch die Zeit davor. Und wir als Restaurator*innen gucken wirklich nur das Material an. Welche Materialkomponenten gibt es? Wie gehe ich damit um? Wie können wir das erhalten? Jeder betrachtet das aus seinem eigenen Blickwinkel.

Die Künstler*innen denken nicht an das Morgen, dafür seid ihr zuständig …

IH: Genau. Die Künstler*innen wollen ja mit dem Objekt einen bestimmten Ausdruck realisieren. Sie denken nicht, dass das eventuell mal ins Museum kommt. Es wäre schön, wenn wir vielleicht mit dieser Veröffentlichung die Gestalter*innen, die Künstler*innen ein bisschen zum Nachdenken anregen würden…

AN: Manche Materialien sind ja auch einfach ganz eng mit Figurentheaterformen verknüpft. Und da bewegen sich die verschiedenen außereuropäischen Gestalter*innen auch auf anderen Pfaden als unsere ‚freien‘ Künste hier in Europa. Es gibt Traditionen, wie das malische Figurentheater, wo ganz viel organisches Material verwendet wird, in denen gibt es Figurenformen, zu deren Leben gehört es, eben kein Morgen zu haben. Die werden nach einer Aufführung oder nach einer bestimmten Lebensspanne vernichtet. In diese Figuren ist das materielle Ende schon eingeschrieben. Das ist dann natürlich für ein europäisches Museum unheimlich schwer auszuhalten. Und da muss man sich dann ein bisschen verabschieden vom Diktum der Unendlichkeit.

SP: Ich hatte da einen sehr speziellen Fall, nicht im Puppentheaterbereich, sondern in der Volkskunde. Die Sammlung Stadtkultur sammelt Materialien und Objekte von aktuellen Zeitereignissen und da hat der Kurator ein Stück Rasen aus dem 1860er-Stadion mitgebracht, das dort beim Relegationsspiel mit dem Hausschlüssel ausgestochen worden ist. Er hatte den Wunsch, das für die Ewigkeit zu erhalten. Das haben wir schlussendlich in Acryl eingießen lassen …

www.muenchner-stadtmuseum.de/sammlungen/puppentheater-/-schaustellerei

www.puppentheatersammlung.skd.museum

www.kolk17.de

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