Auftritt
Hamburg: Grundsätzlich komisch
Schauspielhaus Hamburg: „Die Jagdgesellschaft“ von Thomas Bernhard. Regie und Bühne Herbert Fritsch
von Peter Helling
Erschienen in: Theater der Zeit: Frank Castorf – „Wallenstein“ in Dresden (06/2022)
Assoziationen: Theaterkritiken Sprechtheater Hamburg Schauspielhaus Hamburg

Vor 48 Jahren am Wiener Burgtheater von Claus Peymann uraufgeführt, wirft dieses Stück bis heute Fragen auf. Etwa: Wie zynisch ist es, zu leben, ja zu schreiben angesichts einer drohenden Apokalypse? Eine brisante Frage, die in der Inszenierung von Herbert Fritsch am Deutschen SchauSpielHaus allerdings keine Rolle spielt. Ein Abend, der fertige Formen bietet, Gewohntes, auch Lustiges, aber nichts wirklich Neues. Ausrutscher, Fehlschüsse, die böse Nazi-Hexe im Buller-Ofen: das ganze Einerlei von perfekt getimtem Slapstick, das aber geheimnislos auf ein Stück trifft, das viele Fragen stellt.
Wie eine Pipette in die Bakterienlösung stößt ein Schriftsteller in die fremde Welt eines Jagdhauses, irgendwo fern im Osten. Er redet ohne Punkt und Komma über Krankheit und Tod. Nervös wippend, mit rötlicher Wellenfrisur und in Creme-farbenem Anzug, steht da Bastian Reiber als Mann der Feder: Er spielt mit jeder Faser, wie unwohl ihm in seiner Haut ist, an diesem Ort, der Beton-sichtig wuchtig, skurril, ein bisschen abgründig ist. Die Jagdhütte nämlich, die Regisseur Herbert Fritsch höchst selbst entworfen hat. Mittig steht ein riesiger, kartoffelförmiger Kanonenofen, dessen schwarzes Eisenrohr sich perspektivisch schräg nach vorne reckt, wie ein halb erhobener Arm zum Hitlergruß. Alles ist schräg, und die Maserung des Bodens lässt an die Bohrlöcher des Borkenkäfers denken, der hier wütet: Ringsum der Wald ist längst befallen und tot. Rechts drängen die Stämme sich fast ungeduldig ins Bild. Dass eine Unterart der Borkenkäfer auch Buchdrucker genannt wird, passt ganz gut: Es geht schließlich um die kleinen und ungeschriebenen Worte, die der Schriftsteller sprechend aussondert angesichts einer grotesken Situation.
Die Situation: Der Schriftsteller ist zu Gast, „das Abstoßende zieht uns an, die Jagd beispielsweise ist abstoßend“, sagt er. Er wartet auf einen General und mächtigen Politiker, der hier haust und an Grauem Star leidet. Den Tod seiner Wälder hält seine Ehefrau, die Generalin, vor dem fast Blinden geheim. Sie, überdehnt und gespreizt gespielt von Angelika Richter, empfängt den Schriftsteller, hält mit ihm das Warten aus, das sich unerträglich dehnt. Karten werden pantomimisch gespielt, es wird breit gekräht, wenn eine Karte sticht: „Gewonnen!“. Bis der General von der Jagd kommt, links durch eine riesige Fensteröffnung kündigt er sich an, begleitet von bärbeißigen und stummen Bartträgern, Troll-artigen Zottelwesen. Man könnte sie auch für eine klischeehafte Ansammlung russischer Waldbauern halten. Dazwischen asiatisch-mongolisch anmutende Figuren wie aus dem Märchen, die Kostüme hat Cosima Wanda Winter entworfen. Michael Wittenborn verkörpert den General gewohnt trocken, borniert und trudelnd, mit langem dünnem Haar. „Ich geh nicht ins Theater, grundsätzlich nicht!“, spuckt er aus: eine endzeitliche Figur, halbtot, durchwurmt wie seine Bäume. „Was Sie hier sehen, bringen Sie auf die Bühne, das ist eine Komödie, denn der Schriftsteller ist ein Komödienschreiber!“ Dazu spielt Ingo Günther gekonnt Klavier, fast jeder Satz wird musikalisch untermalt, gebrochen, manchmal Slapstick-haft überreizt wie ein Charlie-Chaplin-Streifen. Leider wird der Text dadurch noch weniger verständlich. Ein Ton-Rauschen, das schrecklich verwirrt und nicht wirklich erhellt.
Im Theater von Herbert Fritsch spielt keiner und keine einfach eine Figur, sondern jongliert mit ihr, stellt ihre Zitathaftigkeit aus, kitzelt ihre Lächerlichkeit heraus. Da wird also gestolpert, geräuspert, gerutscht und gestaunt. Der hyperelegante und zivile Schriftsteller trifft auf eine Horde Pseudo-Barbaren. Herbert Fritsch heizt nicht nur den Ofen auf der Bühne an, sondern das Spiel seines auf Humor getrimmten Ensembles. Das Spiel sprengt den Text: Das Staunen, der Ekel angesichts eines kriegsversehrten und immer noch mächtigen Untoten des Krieges, eines Überlebenden von Stalingrad, eines Groß-Nazis, hat etwa so viel Wirkung wie das Zusammentreffen eines Marsmenschen mit einem Astronauten. Alles schrumpft zu Spaß und Gag. Schon witzig, aber wirkungslos.
Die tiefere Dimension dieses Textes, der doppelte Boden, das alles scheint Herbert Fritsch nicht zu interessieren. Stattdessen erschrickt man pausenlos vor dem anderen, ein hypernervöses Spektakel, Wortkaskaden, die sich im tiefen toten Wald verlieren. Dass das Stück auch ein Nachdenken über den Sinn des Schreibens, der Kunst anbietet angesichts der Gräuel und Katastrophen, diese Frage hätte gestellt werden können. Nur: Wen juckt’s? Der Abend bleibt im Zuständlichen hängen, er lacht pausenlos über sich selbst, anstatt in sich hineinzuschauen. Man geht und staunt über so viel gespielten Witz, der nirgendwo hinzielt als auf die Lachmuskeln der Herbert-Fritsch-Fangemeinde. //