Theater der Zeit

Bericht

Choreografie der Sicherheit

Wie Hofmann&Lindholm  mit „Keep the Cat in at Night“ im Kunstmuseum Bochum: eine Begegnung mit dem Ungewissen schaffen

von Sarah Heppekausen

Assoziationen: Theaterkritiken Hofmann&Lindholm

„Keep the Cat in at Night“ Hofmann&Lindholm im Kunstmuseum Bochum. Foto Robin Junicke
„Keep the Cat in at Night“ Hofmann&Lindholm im Kunstmuseum BochumFoto: Robin Junicke

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Unser Treffpunkt ist am Bochumer Hauptbahnhof, Südausgang – ein trister, ein unfreundlicher Ort, der schnell ein Unbehagen auslöst, wenn man sich dort, im Dunkeln, in der Nacht länger aufhalten muss. Abgeholt werde ich von einem Transporter, außen schwarz, innen eine Art Campingbus. Ich bekomme Instruktionen: Eine halbe Stunde lang darf ich mich im Bochumer Kunstmuseum bewegen, im Dunkeln, mit einer Taschenlampe. Die Alarmanlage ist ausgeschaltet, Zivilpolizei wacht ums Museum herum, innen ein Security-Team. Schaue ich denen direkt in die Augen, ist die Inszenierung vorbei. Das Projekt beruhe auf Vertrauen. Mir wird vertraut. Dann darf ich zwischen drei ungewöhnlichen Eingängen wählen. Variante zwei ist die unsichtbare Tür, auf der hinteren Seite des Museums, die ich finden und selbst öffnen muss.

Was für eine Idee. Was für ein Aufwand. Was für ein Gefühl der Unsicherheit, der Ungewissheit, des Nervenkitzels. Was für eine fragile Situation, in die uns Hofmann&Lindholm hineinmanövrieren. Das Künstler:innenduo entwickelt immer wieder Konzepte und schafft Momente, in denen sich Publikum und Projektbeteiligte verhalten müssen. Zurücklehnen und Zuschauen ist da nicht. 2021 luden sie in „Nobody’s there“ zum totalen Übertritt in den privaten Rückzugsraum. Die Teilnehmenden betraten eine fremde Wohnung und versteckten sich 30 Minuten lang, vielleicht hinter einem Vorhang, vielleicht im Schrank. Dann kam das Gegenüber, der Wohnungsmieter oder die -besitzerin. Eine halbe Stunde waren sie im selben Raum, sie begegneten sich, ohne sich zu treffen. Sie spürten einander vielleicht, aber sie sprachen sich nicht.

Diesmal ist es ähnlich. Aber der Raum ist kein privater, sondern ein öffentlicher. Einer, der gewöhnlich für möglichst viele Menschen geöffnet sein soll. Jetzt betrete ich allein diesen Ort, im Dunkeln, und begegne direkt lauter großen Rücken der Sicherheitskräfte. In der nächsten halben Stunde folgen sie mir bei jedem Schritt. Bleibe ich stehen, um mir die wuchernden Pilze der Jubiläumsausstellung (das Museum feiert 40. Geburtstag), einen farbenreichen Kirchner oder ein Schwarz-Weiß-Bild von Gerhard Richter im Taschenlampenschein neu und anders anzusehen, höre ich ein Atmen, rieche Aftershave. Eine Person, vielleicht zwei stehen dicht bei mir, die anderen haben sich im Raum verteilt, blicken bewegungslos an die Wand oder aus den Fenstern. Dann weiter, wieder viele Schritte, alle in meinem Rücken. Ein choreografiertes Konzept von Sicherheit.

Schützen sie die Kunstobjekte oder mich? Aufpasser oder Verbündete? Und wer beobachtet eigentlich wen oder was? Hofmann&Lindholm hebeln in ihrem Projekt Gewöhnlichkeiten aus, testen Grenzen des Machbaren und ermöglichen so Abwege. „Keep the Cat in at Night“ ist Teil der „Provisorischen Gesellschaft“, die das Duo vor einem Jahr am Kunstmuseum gründete. Der Anlass: eine gesellschaftliche Situation, die spürbar und herausfordernd von Übergängen geprägt ist. Der Plan: die Bedrohung der Privatsphäre ernst nehmen und vermeintliche Barrieren im öffentlichen Raum durchdringen, so heißt es. Praktisch haben sie sich mit der Frage beschäftigt, wie man auf unorthodoxe Weise ins Museum eindringt.

Hofmann&Lindholm führen nicht vor, sie beschreiben und bewerten nicht. Ihre künstlerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gegebenheiten ist eine, die diese erfahrbar, die sie fühlbar macht. Das ist naturgemäß auch riskant, für alle Beteiligten.

Dieser nächtliche Gang durchs Museum war nicht gruselig, kein Geisterbahn-Schauer, kein konstruiertes Räuber-und-Gendarm-Spiel. Es war eine Begegnung mit dem Ungewissen, ein permanentes Sich-selbst-befragen (wohin gehe ich ich, wie handle ich, was darf ich und was traue ich mich?), ein doppeltes Spiel mit der (Un)Sicherheit.

Wenn am Ende ein Signal ertönt, der Security-Chef mich nach draußen geleitet, plötzlich spricht und sich freundlich vorstellt, dann ist da Erleichterung – aber auch der sehnliche Wunsch, noch einmal zurückzukehren an diesen besonderen Ort der erzählenden Stille.

Erschienen am 26.3.2024

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