Zehn Thesen
These 5: Theatermusik webt intermusikalische Netze aus Verweisen und Zitaten
von David Roesner
Erschienen in: Recherchen 151: Theatermusik – Analysen und Gespräche (11/2019)
In Zeiten nie dagewesener Verfügbarkeit von Musikaufnahmen quer durch Gattungen, Stile und Kulturen und einer historisch einmaligen Omnipräsenz von Musik in unserer Lebenswelt sehen sich Theatermusiker*innen einem schier unendlichen Fundus an Musik und Klängen gegenüber.107 Dabei kann man zwei Tendenzen in der Theatermusik beobachten: Zum einen gibt es den Versuch, den noch nicht gehörten Klang, die noch nicht kodifizierte Musik zu finden (siehe nächste These), zum anderen, sich bewusst direkter oder indirekter Zitate anderer Musik zu bedienen. Mit dem Verweis auf bestimmte Idiome, konkrete musikalische Kulturen, einzelne Stücke und/oder Musiker*innen werden so komplexe Bedeutungs- und Assoziations-Netze geschaffen. Dafür bietet sich der von Ingrid Monson in Bezug auf Techniken der Jazz-Improvisation geprägte Begriff einer Intermusikalität108 an. Ähnlich wie bei Julia Kristevas Begriff der Intertextualität, der hier natürlich Pate steht, geht es um die dialogische Beziehung von musikalischen Zeichen und Impulsen zueinander und zum Publikum. Musik kann, wie kaum ein anderes Theatermittel, als emotionales Speichermedium, als Fingerzeig auf eine bestimmte musikalische Praxis, als metonymisches Kürzel für eine Lebenswelt und einen Konnotationsraum fungieren. Wenige Töne von Jimi Hendrix’ »Star Spangled Banner« z. B. reichen den allermeisten Zuschauer*innen, um das soziopolitische Klima der Woodstock-Ära heraufzubeschwören.
In Michael Thalheimers vielbesprochener Inszenierung von Emilia...