Theater der Zeit

Landvermessung: der Westen

Licht aus, Leber weg

In Moers verschneidet Philipp Preuss mit „Kein Licht./Prometheus“ Aischylos und Elfriede Jelinek

von Sebastian Kirsch

Erschienen in: Theater der Zeit: Wölfin im Schafspelz – Die Schauspielerin Constanze Becker (05/2013)

Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Hessen Akteure

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Für gewöhnlich sind inszenierte Pannen im Theater etwas ganz Grässliches – wenn Schauspieler so tun, als hätten sie ihren Text vergessen, Stellwände auf Stichwort umkippen oder Lichter im Zuschauersaal scheinbar ungeplant anfliegen, ergibt sich zuverlässig das schale Gefühl eines Geisterbahnbesuchs, bei dem die Gleise, über die der Wagen rumpelt, nur allzu deutlich zu spüren sind. Man merkt einfach, dass hier ein Ausnahmezustand behauptet wird, der bis in die Details strikten Regeln und Absprachen folgt. Insofern mag es erst einmal suspekt klingen, wenn in Philipp Preuss’ Moerser Aischylos-Jelinek-Montage „Kein Licht./ Prometheus“ nach einer halben Stunde Scheinwerfer und Musikanlage versagen, die schon zuvor einige bedrohliche Aussetzer hatten, und herbeihastende Bühnentechniker das Publikum mit dem Hinweis auf eine technische Panne aus dem Keller des Schlosstheaters bitten. Und doch ist es diesmal anders: Erstaunlicherweise stellt sich kein Geisterbahneffekt ein, vielmehr fühlen sich die Zuschauer, wie man den Gesprächen in der geplant-ungeplanten Pause entnehmen kann, kalt erwischt. Selbst auf dem Nachhauseweg wird noch darüber diskutiert, ob hier nun wirklich ein Kurzschluss geschehen ist, der ironischerweise auch noch genau zum Jelinek-Stück „Kein Licht.“ gepasst hat (mit dem die Inszenierung nach den „Reparaturarbeiten“ unvermittelt fortfährt). Das liegt zum einen daran, dass die „Panne“ an diesem Abend wirklich schockartig kommt – die Lichter gehen inmitten einer zornigen Ansprache Ios aus, der Abbruch des ersten, des „Prometheus“- Teils der Inszenierung erscheint also in der Tat völlig willkürlich und unmotiviert (was, wenn man genauer darüber nachdenkt, durchaus dem Bruchstückhaften entspricht, in dem uns die antiken Texte überliefert sind, und darüber hinaus grundsätzlich zum Zersplitterten, Unverbundenen des Mythos passt). Zum anderen aber ist ein solcher Kurzschluss angesichts der technischen Belastungen, denen Ulrich Greb, Intendant des kleinsten Stadttheaters Deutschlands, den Bühnenapparat des Schlosskellers in dieser Spielzeit aussetzt, durchaus denkbar: Greb flutet nämlich die gesamte Spielstätte in seiner Produktion „Futur II“, die „Expertenmeinungen“ und Diskussionsstandards zum Klimawandel collagiert; nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Zuschauer versinken, sofern sie nicht die Flucht antreten, im Verlauf dieses Abends immer tiefer im unerbittlich ansteigenden Wasser. Vielleicht hat sich das winzige Schlosstheater mit diesem technischen Wagnis ja wirklich übernommen, schließlich ist es ohnehin chronisch unterfinanziert? – so lautet deswegen die Frage, die in der „Pannenpause“ von Preuss’ Inszenierung im Raum steht und die natürlich auch noch einmal an die drastischen Kürzungs- und sogar Schließungspläne zurückdenken lässt, mit denen das Theater in den letzten Jahren zu kämpfen hatte. (Seit Oktober letzten Jahres ist diese Gefahr fürs Erste abgewendet, immerhin.)

„Kein Licht. / Prometheus“ verortet sich also von vornherein im thematischen Dreieck Misswirtschaft – Naturkatastrophe – technisches Versagen, und dieses Dreieck ist es auch, das den inhaltlichen Fokus der Texte bildet. Besonders deutlich ist das bei Jelineks „Kein Licht.“, das, ursprünglich für das Schauspiel Köln geschrieben, den Atom-GAU im japanischen Fukushima zum Hintergrund hat. Das Stück besteht aus den geisterhaften Stimmen (un)toter Musiker, denen in rätselhafter Weise ihre Töne abhanden gekommen sind – unter anderem ein Bild für einen totalen Verlust an messbarer Zeit, den die Atomkatastrophe mit ihren unabsehbaren Strahlenschäden und ihren unfassbaren „Halbwertszeiten“ mit sich bringt, die jeden Zeit-Rahmen im alltäglichen Sinn sprengen. Die andere Seite dieses Zeit-Ton-Verlusts ist allerdings nicht einfach nichts, sondern eher eine andere Zeit, eine Zeit, die nicht in Uhren fabriziert wird, nicht in linearen Abläufen und Chronologien gefasst werden kann und die darum in der Lage ist, gigantische Zeit-Räume in sich aufzunehmen: Sie reicht ebenso in eine absolut entzogene, unerreichbare Zukunft – von der man nicht viel mehr sagen kann, als dass der heute produzierte Atommüll vermutlich auch dort noch strahlen wird – wie sie zurückreicht in eine unbekannte Vergangenheit, an den äußersten Rand des kulturellen Gedächtnisses (und darüber hinaus) – dorthin, wo sich zum Beispiel antike Mythen wie der von Prometheus bewegen. (Das dürfte auch ein Grund für die antike Folie sein, die in Jelineks „Kein Licht.“ beständig anwesend und zudem mit begrifflichen Versatzstücken aus René Girards „Die verkannte Stimme des Realen“ verflochten ist.)

Insofern ist es konsequent, wenn „Kein Licht.“ in Moers mit „Prometheus“ kombiniert wird, und zwar umso mehr, als Prometheus keineswegs nur derjenige ist, der den Menschen das Feuer gebracht hat und deswegen noch für eine Katastrophe wie die von Fukushima verantwortlich gemacht werden kann. Nein, ein anderer, häufig vernachlässigter Strang des Mythos stellt Prometheus wiederum gerade als das Andere der chronologischen Zeit dar – immerhin ist er einer der rebellischen Söhne des obersten Gottes Chronos, der den tyrannischen Vater gemeinsam mit seinen Brüdern getötet hat. Unsere prometheische Verstrickung, so kann man das lesen, kennt weder Anfang noch Ende, und so sehr wir auch von einem Ereignis wie Fukushima schockiert sein mögen, wir hören doch genauso wenig auf, den Strom aus unseren Steckdosen zu nehmen, wie der mythische Geier sich davon abbringen lässt, von der nachwachsenden Leber des im Kaukasus angeketteten Prometheus zu fressen.

Es ist ein bemerkenswerter dramaturgischer Schachzug der Moerser Inszenierung, dass sie dieses Moment des „Prometheus“- Mythos mobilisiert. Die szenische Umsetzung des Aischylos-Textes selbst scheint hingegen weniger gelungen, insofern sie das antike Stück ins Szenario eines Science-Fiction-Films kleidet, der aus den frühen achtziger Jahren stammen könnte, und damit eine weitere Ebene einzieht, die relativ beliebig wirkt. Fünf Spieler ( Patrick Dollas, Matthias Heße, Marieke Kregel, Katja Stockhausen, Frank Wickermann) in weißen Gewändern, die zwischen antiker Toga und billigem Raumfahrerkostüm changieren, sind auf der Bühne; abwechselnd ist immer einer von ihnen Prometheus, während die anderen vier von den Ecken des Guckkastens aus sprechen. Der jeweilige Prometheus begibt sich dabei hinter einen riesigen von der Decke hängenden Ballon, auf den sein monströs verzerrtes Gesicht projiziert wird, dazu dröhnt die hypnotische Musik von Pink Floyd.

Die Stärke des zweiten Teils liegt demgegenüber in der Nacktheit, mit der die Gruppe sich den – wie immer bei Jelinek so komischen wie komplizierten – Stücktext teilt (wie überhaupt der Abend da am besten scheint, wo er auf ornamentale Zusätze verzichtet). In weißen Ganzkörperanzügen und in einem Speziallicht, in dem die Gesichter der Spieler tiefblau leuchten, suchen die fünf Untoten erstaunt nach ihren Tönen und rätseln darüber, was da eigentlich geschieht. Am Schluss des Abends und im langsamen Wegdämmern des Scheinwerferlichts steht dann die Einsicht: „Ans Ende sind wir gekommen der Welt“ – was freilich auch der erste Satz des Aischylos-Fragments ist. Prometheus hängt eben immer noch im Kaukasus. //

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