4.6 Involvierung über die affizierende Kraft von Zeichen, Diskursen und Bedeutungen in 3/Fifths – SupremacyLand von Scruggs/Woodard
von Theresa Schütz
Erschienen in: Recherchen 164: Theater der Vereinnahmung – Publikumsinvolvierung im immersiven Theater (05/2022)
Assoziationen: James Scruggs Tamilla Woodard
Die letzte Analyse fokussiert am Beispiel von 3/Fifths – SupremacyLand von James Scruggs und Tamilla Woodard, wie Zuschauer*innen – ähnlich wie bei Das Heuvolk von SIGNA – zunächst über Handlungsaufträge an den verschiedenen Stationen in das Aufführungsgeschehen involviert werden. Prozesse der Vereinnahmung geraten bei 3/Fifths wirkungsästhetisch erst dann in den Blick, wenn man die getätigten Handlungen in den Bedeutungshorizont der Diegese und ihrer Weltbezüge stellt. Als teilnehmende Zuschauer*in wird man an den Stationen in Situationen verwickelt, deren zugrunde liegende rassistische Struktur einem häufig erst während oder am Ende der jeweiligen Situation erkenntlich wird. Dabei sind es – jedenfalls nach der Auswertung meiner Aufführungserfahrungen – just die Momente des (Wieder-)Erkennens, Dekodierens oder wissensbasierten Einordnens bestimmter Zeichen, Symbole, Rhetoriken und/oder stereotyper Darstellungen und die mit ihnen verknüpften Bedeutungen und Empfindungen, über die sich die Involvierung in die Wirklichkeitssimulation zuvorderst ereignet. Im Grunde ist man als Zuschauer*in von 3/Fifths bereits qua bloßer Teilnahme in die fiktionalisierte Repräsentation des machtvollen Systems Weißer Suprematie und ihrer rassistischen Ideologie eingelassen.
Eine erste Form einnehmender Publikumsinvolvierung findet gleich zu Beginn der Aufführung statt. Mit dem Akt eines (Racial) Framings werden für die Besucher*innen bestimmte Handlungsoptionen im fiktiven Themenpark festgelegt, die je nach zugeordneter Gruppe (black/white) variieren. Bereits während der darauffolgenden Willkommensrede, die Zuschauer*innen über den Themenpark und seine Regeln aufklärt, wird evident, wie das Aufführungsdispositiv von 3/Fifths Zuschauer*innen körperlich, diskursiv und affektiv in einen Mikrokosmos einzubeziehen sucht, der von einer rassistischen Weltsicht fiktionalisierter weißer Suprematisten geprägt ist (4.6.1).
Die realisierte Dystopie eines offen rassistischen »Atrocity Carnival« in der theatralen Form des fiktiven Themenparks SupremacyLand steht über die verwendeten Zeichen, Symbole, Rhetoriken, Diskurse und Repräsentationsregime trotz aller Überzeichnung und Verdichtung im Weltverhältnis der Zuwendung zur außertheatralen Wirklichkeit der USA im Hinblick auf Geschichte und Gegenwart von Kolonialismus, Rassismus und struktureller Gewalt gegenüber der nicht-weißen Bevölkerung. Über die Analyse dessen, wie Mikrokosmos Themenpark und Makrokosmos USA sich zueinander verhalten, möchte ich zeigen, wie Zuschauer*innen als Teil des immersiven Aufführungsdispositivs über Handlungsaufträge, historische Referenzsysteme und die Konfrontation mit diskriminierenden Stereotypen sowohl situativ an den jeweiligen Stationen als auch auf einer von der Diegese abstrahierenden Metaebene von der rassistischen »Weltbetrachtungsmaschine« (Legnaro, 2000, S. 301) ›gekoppelt‹ und körperlich, affektiv wie diskursiv vereinnahmt werden (4.6.2). 3/Fifths verdichtet in der Wirklichkeitssimulation für alle teilnehmenden Zuschauer*innen Erfahrungen mit der machtvollen Struktur von Whiteness und lässt sie am eigenen Leib spüren und reflektieren, in welchem Verhältnis sie selbst zu dieser stehen (4.6.3).