Auftritt
FreilichtSpiele Tecklenburg: Drei Väter und eine Überraschungshochzeit
„Mamma mia!“ von Benny Andersson, Catherine Johnson und Björn Ulvaeus – Regie Ulrich Wiggers, Musikalische Leitung Giorgio Radoja, Choreografie Francesc Abós, Kostüme Fabienne Ank, Bühnenbild Jens Janke
von Stefan Keim
Assoziationen: Theaterkritiken Musiktheater
Ein zauberhaftes Schlussbild. Die Bäume auf der Freilichtbühne in Tecklenburg glitzern, werden zum Zauberwald. Der Mond kommt hinter ihnen zum Vorschein, und ein junges Paar, das eigentlich heiraten wollte, macht sich auf den Weg, um erst mal die Welt zu entdecken. „Mamma mia!“ – das ABBA-Musical – ist das Auftaktstück in der Jubiläumssaison der FreilichtSpiele. Ein Riesenerfolg, schon vor der Premiere mussten zwei Zusatzaufführungen angesetzt werden. Immerhin gibt es 2.300 Plätze im zum Theater umgebauten Burghof. Tecklenburg hat das größte Freilichtmusiktheater Deutschlands.
Die Burg Tecklenburg stammt aus dem 12. Jahrhundert. 1924 wurde hier zum ersten Mal Theater gespielt, „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller. Seit Jahrzehnten ist das Städtchen im Kreis Steinfurt am Rande des Teutoburger Waldes ein Mekka für Musicalfans. Viele bekannte Musicaldarsteller:innen verbringen ihren Sommer hier, erfahrene Regieteams sind am Werke, dazu kommt ein Festivalchor aus Laien und eine große Technikcrew. Der Festivalbetrieb ist auch ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor für die kleine Stadt. Von Juni bis September ist die gesamte Gastronomie auf die Aufführungen ausgerichtet. Ehrenamtlicher Intendant ist seit über 30 Jahren Radulf Beuleke, Jahrgang 1946, pensionierter Lehrer. Er stellt die Spielpläne zusammen, die jedes Jahr über 100.000 Besucher anlocken.
Hier sitzt wirklich ein Querschnitt der Gesellschaft im Publikum. Kinder und Senioren, viele kommen aus dem direkten Umfeld, einige Musicalfans nehmen weite Reisen in Kauf und füllen die Hotels. Im Festspielchor ist ein Rollstuhlfahrer dabei, der auch in den Choreografien mittanzt. Die FreilichtSpiele legen Wert auf Diversität. Das kommt auch in der „Mamma mia!“-Aufführung zur Geltung. Die junge Sophie sucht nach ihrem Vater und hat alle drei Männer, die dafür infrage kommen, zu ihrer Hochzeit auf eine griechische Insel eingeladen. Einer davon erzählt stolz, dass er nach der eventuellen Zeugung sein Glück mit Klaus gefunden hat. Der Satz geht klar nach vorne ins Publikum, als Botschaft. Und erntet riesigen Jubel.
Klar, „Mamma mia!“ ist ein Feelgoodmusical, in dem Björn Ulvaeus und Benny Andersson noch einmal die ABBA-Ohrwürmer aufgefrischt und neu verbunden haben. Aber das Stück hat auch ein Thema. Sophie will mit 20 Jahren schon heiraten und wissen, aus welchem Genpool sie stammt. Mutter Donna kann das überhaupt nicht verstehen. Sie, als Kind der Siebziger, wollte immer selbstständig sein und hat in kurzer Zeit mit drei Männern geschlafen. Deshalb das Kuddelmuddel um die Herkunft der Tochter. Bei allem Spaß, Witz und Partyfeeling geht es immer wieder auch um die Lebensentwürfe der verschiedenen Generationen.
In aktuellen Großmusicals ist die Gestaltungsfreiheit der Regie meistens begrenzt. Oft müssen sich die Teams an genaue Vorgaben halten. In Tecklenburg ist das anders, denn die riesige Freilichtbühne verlangt neue Lösungen und Kreativität. Regisseur Ulrich Wiggers und Choreograf Francesc Abós nutzen das, um ein paar heitere Anspielungen auf die griechische Antike einzubauen. Schon wenn Sophie die Briefe an die Väter losschickt, flitzt Götterbote Hermes über die Bühne. Das aufmerksame Publikum kriegt auch diese hübschen Details sofort mit und applaudiert.
Und natürlich wird das grandiose Ensemble bejubelt. Wietske van Tongeren singt Donna mit triumfaler Kraft und den Macken, die man in einem schon etwas länger andauernden Leben so abbekommt. Celena Pieper begeistert als Tochter Sophie mit jugendlicher Frische und den hellen Tönen, die ABBA-Fans von Agnetha Fältskog kennen. Navina Heyne und Rachel Marshall fliegen als Donnas besten Freundinnen ebenso die Herzen zu wie dem vermeintlichen Vätertrio (Oliver Arno, Benjamin Eberling, Alexander di Capri). Giorgio Radoja gelingt am Pult des Festivalorchesters eine perfekte Mischung aus ABBA-Sound und Theatermusik. Tecklenburg beweist auch im Jubiläumsjahr, dass es im wahrsten Sinne des Wortes eine Musicalhochburg ist. (Und ich freu mich schon riesig auf die „Drei Musketiere“ im August.)
Erschienen am 17.6.2024