Theater der Zeit

Stück Labor – Neue Schweizer Dramatik

Dialoge zwischen Wolke und Tropfen – Poesie und politische Kunst

Die Autor:innen Maria Ursprung und Anna Papst sprechen über „Die nicht geregnet werden“ von Maria Ursprung

von Anna Papst und Maria Ursprung

Erschienen in: Theater der Zeit: Henry Hübchen (02/2022)

Assoziationen: Dramatik Schweiz Theater St. Gallen

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Anna Papst: Ich lese dein Stück so, dass es von der Klimaerwärmung, konzentriert auf das ­Thema der Wasserknappheit, handelt. Die Klima­krise ist in aller Munde, trotzdem würde es mich interessieren, warum du gerade jetzt darüber schreiben wolltest. Warum beschäftigt dich ­dieses Thema?

Maria Ursprung: Es ist zwar ein mediales Thema, boshaft nennen es manche einen Trend, aber es ist primär dringlich und aktuell: Im Sommer ereilte uns Starkregen und unglaubliche Hitze. Wir erleben immer deutlicher, wie sich Kreisläufe verändern, bedrohlich werden.
Ich wollte vor allem ein Stück darüber schreiben, wie leicht es uns als Gesellschaft gelingt, offensichtliche Probleme nicht zu behandeln, sie zu ignorieren. Ich finde daher nicht, dass ich ein Stück zum Klimawandel geschrieben habe, sondern dass ich eigentlich das Thema des Wassermangels als Gefäß nutze, um mich mit dem Thema der kollek­tiven Verdrängung zu beschäftigen.

Beim Lesen ging es mir so, dass ich den Eindruck hatte, dass da eine ausgiebige Recherche hinter diesem Stück stand. Wie war das? Hast du entschieden, das Stück zu schreiben und hast du dann angefangen zu recherchieren, quasi um es zu unterfüttern, oder war es andersrum?

Meine Recherche war recht breit und ging einen verwinkelten Weg. Da war also das Thema Verdrängung, wobei das der falsche Begriff ist. Es geht mehr darum, dass offensichtliche Probleme kollektiv nicht angegangen werden. Im Stück erscheint es als Motiv des Nicht-Hinsehens.

Also eigentlich die Leistung der Ignoranz?

Genau! Ich habe mich stark mit den Themen Wassermangel, Wasser als endliches Gut, Globalisierung im Wasserhandel auseinandergesetzt. Dann habe ich mich dafür entschieden, dass ich mittels Figuren erzählen will. Zwei Figuren waren für mich schnell klar: Die Freibadbesitzerin, die kein Wasser mehr kriegt, und die Figur, die ihre Lebensentscheidungen so trifft, dass sie anderen helfen oder optimiert Geld spenden kann. Außerdem entstand die Ebene der medialen Erzählung einer Katastrophe. Eine Journalistin und ein Kameramann beschäftigen sich mit der Frage: Wie erzählt man Katastrophen oder was erzählt sich besser, die Katastrophe oder die Solidarität, die darin entsteht?
Später habe ich das Gefäß der Wolke, die sich entscheidet, den Kreislauf auszuhebeln und nicht mehr zu regnen, und den einzelnen Tropfen gefunden, die eine gemeinsame Sprache haben und die ganze Geschichte erzählen. Der Rahmen der Handlung entstand erst nach der Recherche und nach der Entscheidung, welche Ebenen ich erzählen möchte.

War es dir wichtig, beim Zusammenspiel der Mechanismen, die da aufgezeigt werden, nah an Realität oder auch an einem aktuellen wissenschaftlichen Stand dranzubleiben?

Es ist eine Mischung. Ich erzähle anhand von möglichen Phänomenen und Tatsachen, um das Erzählte nah an uns heranzuholen. Allerdings behaupte ich eine zukünftige Welt, in der die Gletscher geschmolzen und die Seen ausgetrocknet sind – ich heble das natürliche Vorhandensein von Wasser aus. Sonst könnte man in diesem Stück ständig fragen, was ist denn deren Problem? Die könnten einfach beim nächsten Bach Wasser holen und ab­kochen.
Deswegen wollte ich das nicht zu realistisch denken.

Du hast vorher von der Journalistin und dem Kameramann gesprochen. Die werden im Stück als Mikrofon und Kamera bezeichnet. Es gibt auch weitere Rollen, die eigentlich nach Objekten benannt sind. Das finde ich einen recht interessanten Kunstgriff. Wie bist du darauf gekommen?

Ich versuche, damit den Figuren weniger private Persönlichkeit zu geben. Teilweise haben sie Namen im Stück, wenn sie sich anreden. Aber in der Form, in der es notiert ist, haben diese Figuren eher Funktionen. Das hilft mir beim Schreiben, um nicht aus den Augen zu verlieren, wofür sie stehen.
Es ist außerdem ein Weg, die Fantasie für die Umsetzung anzuregen. Was könnten sie nebst der figürlichen Funktion noch sein? Auch für eine Schauspieler:in entsteht hier vielleicht mehr als nur eine Figur. Und somit hoffentlich auch für die Zuschauer:innen.

Eine Frage, die mich selbst bei meinen Texten immer wieder beschäftigt: In welcher Rolle siehst du die Zuschauer:innen oder anders gefragt, worüber sollen sie sprechen, wenn sie rausgehen?

Wassermangel ist zum Beispiel ein Thema, das Schweizer:innen total egal ist – es interessiert niemanden. Auch nicht, dass Schweizer Konzerne andernorts weltweit knappes Wasser abzapfen und teuer verkaufen. Ich fände es großartig, wenn nach der Vorstellung Gespräche entstehen, in denen sich Menschen den Themen stellen, denen sie sich sonst nicht stellen müssen. Ich habe dieses Stück auch deshalb in diese Welt des Wassers reingeschrieben, weil wir so unglaublich abhängig sind von dieser Ressource und ich die Geschwindigkeit der Eskalation spannend finde: In drei Tagen sind wir am Verdursten und nach vier Tagen sind wir tot. Erzählerisch ist das fantastisch, es erhöht den Druck extrem. Ich mache Kunst, die ich interessant finde, sie soll anregen, und ich finde es natürlich toll, wenn sie was bewegt. Die Welt werde ich mit diesem Stück nicht retten, das weiß ich, das bilde ich mir nicht ein.
Wie geht es denn dir damit? Du machst ja auch politische Kunst.

Ich sehe die Zuschauer:innen oft als Mitwirkende oder sogar Verursacher:innen einer Situation, die in meinen Stücken verhandelt wird. Mir geht es nicht darum, dass nach dem Theaterabend die Leute ihr Stimmkreuzchen alle an der gleichen Stelle machen. Aber jedem:r im Publikum sollte bewusst werden, welche politische Macht er:sie hat, zu bewirken, dass eine Situation sich ändert oder so bleibt wie sie ist oder noch schlimmer wird. Diese Macht haben wir unter anderem als Stimmbürger:innen, die über die Gesetze einer Demokratie abstimmen.

Ich will nicht erziehen. Ich will über etwas erzählen, was Relevanz hat. Theater erreicht als Medium zu wenig Menschen. Teilweise erreicht es aber politische Akteur:innen oder einfach Menschen, die wiederum weitere Menschen erreichen.

Das Stück stellt einen Ist-Zustand dar und stellt die Frage, ob das so bleiben muss. Diese ­Beleuchtung von Ist-Zuständen, wird dich das länger begleiten oder kommt nun etwas ganz anderes?

Es gibt etwas, was daran anknüpft, mit dem ich aber in einen anderen Themenbereich reingehe. Das Stück wird eine Recherche sein mit dem Titel „In dubio“. Es geht um das Entscheiden im Zweifel. Wir erleben aufgrund der Pandemie gerade oft die Situation, dass wir Entscheidungen treffen müssen, obwohl uns nicht alle Fakten bekannt sind. Diese Thematik ist aber in Gerichtsfällen viel prägnanter. Ich werde Gerichtsverhandlungen aufsuchen, beobachten, und aus dem, was ich da höre und erlebe, weiterschreiben.

Das finde ich hochspannend. Geht es um die Frage, wie wir entscheiden, wenn keine absolute Klarheit besteht? Entscheidungen treffen, obwohl wir selbst Zweifel haben?

Und was das für Konsequenzen hat. Es heißt ja, im Zweifel für die Angeklagte oder den Angeklagten. Vor Gericht sollten Entscheide so gefällt werden, dass beschuldigte Personen nicht unnötig unter Konsequenzen leiden müssen, solange ihre Schuld nicht nachgewiesen werden kann. Mein Vorhaben ist, dass ich in diesen Zweifel reingehe, Entscheidungsstrategien befrage, aber da bin ich noch nicht weit genug in der Entwicklung.

Hast du einen Lieblingssatz im Stück?

Ich habe einen Lieblingsteil im Stück, es ist Teil 2. Das ist der sehr viel kürzere Teil, das Ende. Es wird parabelhafter und nimmt eine andere, befreitere Erzähldynamik an. Und ich bin sehr neugierig darauf, wie es auf der Bühne umgesetzt wird.

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