Theater der Zeit

Magazin

Schauspiel Essen: Ophelia will nicht sterben

„Hamlet/Ophelia“ nach William Shakespeare – Regie Selen Kara, Bühne Lydia Merkel, Kostüme Anna Maria Schories, Musik Thorsten Kindermann

von Stefan Keim

Erschienen in: Theater der Zeit: Amerikanisches Theater (11/2024)

Assoziationen: Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Selen Kara Schauspiel Essen

Beritan Balcı spielt eine Ophelia der Zwischentöne, Christopher Heisler als Hamlet in der Essener Inszenierung von Selen Kara.
Beritan Balcı spielt eine Ophelia der Zwischentöne, Christopher Heisler als Hamlet in der Essener Inszenierung von Selen Kara.Foto: Nils Heck

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Das „Opfer Ophelia“, naiv liebend, unschuldig dem Wahn verfallen und im Wasser sterbend – diese Rollendeutung ist auf deutschen Bühnen längst ausgestorben. Selen Kara versucht nun am Schauspiel Essen eine Erzählung auf Augenhöhe. „Hamlet/Ophelia“ heißt ihre Inszenierung, die meist griffige Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch ist die Grundlage – (kleiner Einwand gegen die Textfassung „Ein Mensch sein oder nicht sein“, diese Übersetzung ist nicht nur eitler Quatsch, sondern verfälscht auch das Original, aber darum geht’s hier nicht in erster Linie)

Ophelia bekommt mehr Text. Gleich zu Beginn steht die Schauspielerin Beritan Balci auf einer breiten, düsteren Treppe und erzählt die Vorgeschichte des Stücks. Dann übernimmt sie auch die Texte von Hamlets Vater, der seinem Sohn als Geist erscheint und ihn auffordert, Rache zu nehmen. Außerdem wirkt Ophelia überhaupt nicht verliebt, im Gegenteil, sie nimmt bewusst die Rollen ein, die Vater, Königin und Geliebter von ihr erwarten. Diese Frau hat ein klares Ziel: Sie will Hamlet heiraten, zum Königsmord anstacheln und selbst Queen werden. Wahrscheinlich hat sie alle Staffeln „Game of Thrones“ gesehen und gelernt, dass nur die Raffinierten überleben.

Auf ihr Ende als Wasserleiche hat diese Ophelia erst recht keine Lust. Wenn es im Stück dazu kommt, verkündet sie dem Publikum, dass sie einfach nicht stirbt. Und wenn diese Handlung bedeutet, sich gegen Gott aufzulehnen, dann ist das eben so. Ophelia klettert von der Bühne und verlässt den Saal durch die Parketttür. Aber Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Handlung hat das nicht. Ihr Tod wird auf der Bühne verkündet, Hamlet und Laertes duellieren sich. Das ist kein Fechtduell, sie schlammcatchen im Wasser direkt an der Bühnenrampe. Die ersten beiden Reihen haben Plastikponchos bekommen, damit die Publikumsklamotten nichts abkriegen. Das Ende wird dann nur erzählt und wirkt etwas kraftlos. Hat Ophelias Abgang doch noch etwas bewirkt? Der Rest ist Schweigen.

Durch das größere Gewicht auf Ophelia wird Hamlet keinesfalls schwächer, im Gegenteil. Christopher Heisler ist ein charismatischer junger Schauspieler, der virtuos mit den Stimmungen und Untertönen jongliert. Er lässt sich von Ophelia nur manipulieren, weil er einen ähnlichen Verdacht hat und lässt sich ebenfalls nicht in die Karten schauen. Niemand an diesem Hof zeigt sein wahres Gesicht. Es gibt nur bessere und schlechtere Spieler. Zu letzteren gehört Claudius (Mansur Ajang), der sich zwar an die Krone gemordet hat, aber in seinen Posen schnell durchschaubar ist. Während Bettina Engelhardt als Königin Gertrud tiefen Frust mit sich herumträgt und diesen in bitter-ironischen Pointen andeutet.

Gelegentlich erinnert jemand daran, dass Gefahr von außen naht. Fortinbras zieht mit einem norwegischen Heer durch das Land und ist auf Eroberungen aus. Doch die Herrscherfamilie samt Hofstaat ist ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Einander zu piesacken und zu quälen ist ihnen wichtiger als sich um den Fortbestand ihres Landes zu kümmern. Das ist ein treffsicherer Kommentar zur aktuellen politischen Lage und braucht keine weitere Aktualisierung.

Die Kostüme von Anna Maria Schories verbinden mittelalterliche Zitate mit heutigen Kleidungsstücken zu einem schrägen, schwarzen Chic. Puffärmel trifft Lederrock, ein Netzkleid auf eine Drahtkonstruktion auf dem Kopf der Königin. Trotz vieler neuer Ideen und zum Teil genderfluider Besetzung der Nebenrollen – Horatio und Laertes werden von Frauen gespielt – wirkt die Inszenierung niemals verkopft und überkompliziert. Im Gegenteil, Selen Kara ist als Ko-Intendantin in Essen angetreten, um das Theater möglichst für alle zu öffnen. „Hamlet/Ophelia“ hat eine klare Erzählstruktur und ist niemals langweilig.

Wie schon in ihrer Eröffnungsinszenierung von Fatma Aydemirs „Doktormutter Faust“ inszeniert sie einen Klassiker aus feministischer Perspektive. Doch ohne in den Platitüden des Empowerments zu versinken. Ophelia ist zwar selbstbestimmt und stark, aber keinesfalls eine sympathische Figur. Durch ihren Machtdrang führt sie die anderen ins Verderben, und als ihr eigener Tod naht, macht sie nicht mehr mit. Es würde nicht verwundern, wenn sie bald an der Seite des Siegers Fortinbras auftaucht. Das wäre Stoff für ein Sequel von „Hamlet/Ophelia“. Nur ohne Hamlet.

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