Inversionen
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Inversionen kehren die übliche Stellung der Satzglieder um. Einschübe und Satzabbrüche, Enjambements und Zäsuren strukturieren die Gedanken und kreieren die Sprechsituation. Dazu gehört auch das Versetzen des Punktes in das Innere einer Verszeile. Inversion als Stilmittel finden wir schon in der Bibel: Vater unser, der du bist im Himmel versus Unser Vater, der du im Himmel bist. Durch die Inversion bleibt das Metrum erhalten. So auch im Anfangsmonolog der Iphigenie in Goethes Drama „Iphigenie auf Tauris“:
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum erstenmal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.183
Uns begegnet ein ungewöhnlicher Sprachgebrauch, der unsere Aufmerksamkeit einfordert. Der Sprache wird eine Bewegung verliehen, der wir folgen möchten. Der Blankvers beherrscht den Satz, dessen Sinn sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Der gleichbleibende Rhythmus des Verses steht der scheinbaren Unlogik des Satzes gegenüber.
In den freien Rhythmen muss die Syntax nicht mehr das Metrum bedienen und gewinnt als Stilmittel eine noch größere Bedeutung. Beispielgebend dafür sind die Pindar- und Sophokles-Übersetzungen Friedrich Hölderlins, die Wort für Wort übertragen, den Vers aus sich selbst...