Theater der Zeit

Auftritt

Salzburg: Franz, der Schläfer

Salzburger Landestheater: „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Regie Sarah Henker, Ausstattung Eva Musil

von Margarete Affenzeller

Erschienen in: Theater der Zeit: Elektro-Theater – Der virtuelle Raum (04/2021)

Assoziationen: Salzburger Landestheater

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„Dieser männliche Mut!“, „dieser feurige Geist!“ – wenn Papa Moor über den älteren der beiden Söhne spricht, dann erhellt sich sein Gesicht, und neuer Lebensmut fährt in seinen Körper. Was kann der Nachwuchs einen doch stolz machen! Zumindest einer der Sprösslinge. Über dem anderen, weniger hübsch und weniger aufregend, liegt indes zeitlebens der Schatten. Franz war immer das Mauerblümchen, dem niemand Beachtung noch Zuneigung schenkte. In Friedrich Schillers „Die Räuber“ nimmt er ausgiebig Rache. Mit Gregor Schulz steht am Salzburger Landestheater dafür ein Schauspieler ein, dem die Entschlossenheit zur (Selbst-)Zerstörung nur so aus den Augen funkelt. Innerlich gestählt wie der heimkehrende Soldat Nicholas Brody in der US-Serie „Homeland“: einschlagende Blicke, geharnischte Bewegungen, keine verschwendete Geste, perfekte Verstellung bis in die roten Haarspitzen. Im ersten Akt sind diese noch adrett zu Stirnfransen gebügelt, am Ende dann dynamisch hochgeföhnt.

Sturmfrisur trägt hingegen Karl (Skye MacDonald). Und um Sturm geht es auch, genauer: um die literarische Epoche des Sturm und Drang (Uraufführung war 1782) beziehungsweise die Zeit der Aufklärung, die zur Mündigkeit aufrief und den freien Einsatz des Verstandes propagierte. Beide Brüder handeln danach, auf völlig unterschiedliche Weise, um sich von Zwängen und Vorschriften zu befreien: Karl, der studierte Libertin, bildet außerhalb der bürgerlichen Ordnung mit Freunden eine Räuberbande in den Wäldern. Franz entwirft einen Intrigen-Masterplan, um an das ihm als Zweitgeborenem verwehrte Erbe heranzukommen.

Mit coronakonformer Weitsicht ent­wickelt Regisseurin Sarah Henker eine Inszenierung, die mit fahrbaren und wahlweise verglasten Bühnenmodulen operiert und sich filmisch gut einfangen lässt. Die Szenen in diesen Schaukästen kommen aus verschiedenen Tiefen und in unterschiedlichen Kombinationen an die Rampe herangerollt und werden im Stream fallweise auch ganz nah herangezoomt. Dazwischen lässt die Kamera immer wieder locker und geht in die Totale, sodass auch mehrere Kastenelemente auf einmal sichtbar werden, aus denen heraus miteinander agiert wird.

Gregor Schulz als Intrigant Franz zieht allen ­davon. Sein bezwingendes Spiel ist der Ankerpunkt der Inszenierung, um den sich alles ­Weitere rankt. Es gelingt ihm, die manchmal schwindelerregend pathetische, feierliche, formvollendete Sprache dieses ursprünglich als Lesedrama konzipierten Stücks für unsere ­Ohren eingängig zu machen. Unnachgiebig stößt er in seiner blauen, maoistischen Stepp­jacke denunziatorische Pfeile tief ins Herz des Vaters und gönnt sich dazwischen ein paar scheinfürsorgliche Phrasen. Wie eiskalt der Mensch ist!

Dagegen wirkt Karls Räuberbande wie eine kommode Studentengang, die zwar in Lederjacken und dynamischen Gesten auftritt, in Wahrheit aber keiner Fliege was zu­leide tut und schon allein deshalb keine Vergewaltigungen durchführt, weil die Gruppe divers ist. Selbst Spiegelberg (Tina Eberhardt), Chefideologin der Gruppe, hat ihre Scharfmacherreden heruntergedimmt auf die intellektuelle Prosa eines studentischen Klausurwochenendes. Sie liest brav Die Zeit. Regisseurin Henker, Absolventin des Studiengangs der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen und seit vier Jahren regelmäßig am Landestheater tätig (zuletzt: „We Should All Be Feminists“), gibt dem Drama somit eine direkte Anbindung ans Heute: ausbruchswillige Jugend mit schwarz lackierten Fingernägeln versus Stubenhockersöhnchen mit dem Psychogramm eines Schläfers.

Nach 37 Minuten sind alle Weichen unverkennbar gestellt. Der alte Moor stirbt dahin, Franz glüht vor Aufregung um seine Freiheit, und Karl bangt darum, tatsächlich von der Familie verstoßen zu werden. In die Länge gezogen wird das alles durch Lieder, die Sarah Henker dem jugendlichen Abend wie unnötige Zugaben aufsetzt. Emotionale Durchbrüche werden musicalhaft abgesegnet. Gut gesungen zwar, aber kein Gewinn. Die live von Peter Baxrainer begleiteten Popsongs haben romantisch-verklärende Wirkung und entwerten jeweils rückwirkend das Spiel. //

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