Magazin
Vielstimmigkeit in Zeiten von Krieg und Krise
Das Widerstandsfestival „Remmi Demmi“ in Heidelberg – Zehn Uraufführungen zwischen Happening und politischer Tiefenschärfe
von Elisabeth Maier
Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)
Assoziationen: Baden-Württemberg Theater und Orchester Heidelberg

In einem Glaskasten denken US-amerikanische Militärs über die gezielte Tötung von Menschen im Vietnamkrieg nach. Mit moderner Computertechnik soll das in den siebziger Jahren möglich sein. Gleichgültig und kalt klingen die Stimmen der Uniformierten. Parallel dazu bewegen sich die linken Intellektuellen, die zu Terroristen werden. Sie spiegeln die Kälte und Gleichgültigkeit der Militärs in ihren dogmatischen Phrasen. Im Saal des Mark-Twain-Centers in Heidelberg-Rohrbach auf dem einstigen Militärgelände scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Mit seiner dokumentarischen Farce „Heidelberg 72ff.“ erinnert der Dramatiker Philipp Löhle nicht nur an den Bombenanschlag der RAF auf das europäische Hauptquartier der US-Streitkräfte am 24. Mai 1972. Nahe dem Schauplatz des damaligen Attentats untersucht der Autor klug, wie politisch motivierter Terror entsteht.
Die Uraufführung ist eins von zehn neuen Stücken, die beim Widerstandsfestival „Remmi Demmi“ des Theaters Heidelberg entstanden sind. Drei Tage lang erleben die Gäste auf sechs verschiedenen Routen neueste Dramatik. Das Themenspektrum ist breit gefasst: Klimakrise, Corona, Krieg. „Mit dem neuen Format stärken wir die Autorinnen und Autoren, die unter der Pandemie und den Lockdowns besonders gelitten haben“, bringt Intendant Holger Schultze es auf den Punkt. Er spricht von Autor:innen, die von ihrer Arbeit längst nicht mehr leben können. Die Hilferufe vieler Dramatiker:innen, denen da die Existenzgrundlage wegbricht, nimmt er ernst. So hat das Theater zehn Stückaufträge vergeben. Bekannte Namen wie Rebekka Kricheldorf und Roland Schimmelpfennig stehen ebenso auf der Liste wie spannende Neuentdeckungen. Dass solchen Uraufführungsfestivals immer eine gewisse Flüchtigkeit anhaftet, ist auch in Heidelberg zu spüren.
Das federn Intendant Holger Schultze und seine Dramaturgie ab, indem sie namhafte Regieteams inszenieren lassen. Auch das Heidelberger Schauspielensemble läuft in dem Marathon zu großer Form auf. Philipp Löhle, der selbst viel Erfahrung in diesem Bereich hat, setzt seinen Text selbst in Szene. Die Tiefenschärfe, die er damit erreicht, besticht. Skizzenhafter wirkt dagegen der Text von Özlem Özgül Dündar. „Abschuss“ verortet die Menschen in einem Raketenabwehrsystem, das den Einzelnen von der Außenwelt abschottet. Dramaturgisch mag dem Text manches fehlen. Die Sprachgewalt der Autorin schlägt dennoch ein. Marie Bues und Niko Eleftheriadis katapultieren das Publikum auf dem Theatervorplatz in eine Welt voller Hass, Gewalt und Einsamkeit.
Ein Protestcamp ist der Schauplatz von „Das Licht der Welt“. Das griffige Drama um sechs junge Menschen, die für hehre Ideale kämpfen und denen doch selber die Menschlichkeit fehlt, entwickelt die Autorin Raphaela Bardutzky mit starken Figuren. Zwar sind die Klimaaktivist:innen gnadenlos überzeichnet. Mit ihrer sensiblen Lesart des Textes schafft es Regisseurin Daniela Löffner jedoch, die Verzweiflung der jungen Menschen zu zeigen, die Angst vor ihrer Zukunft haben. Gedanken und Existenzkämpfe dieser „letzten Generation“ zeichnet sie respektvoll nach. Auf der großen Bühne hat Matthias Werner einen Raum geschaffen, der die Verlorenheit der jungen Menschen zeigt. Sie schaukeln, taumeln oder ketten sich an Bahnschienen fest. Einen Halt in der Welt findet diese Generation nicht mehr.
Mit Happenings wie Tortenschlachten oder einer spontanen Demo in Heidelbergs Altstadtgassen umrahmte das Theater Heidelberg die thematisch gegliederten Routen: „Boykotteur:innen“, „Tortenwerfer:innen“, „Dissident:innen“, „Aktivist:innen“, „Guerillas“ und „Whistleblower:innen“. Als wilde Bande durch die Straßen zu ziehen oder singend im Bus zu sitzen machte allen Generationen zwar Spaß. Inhaltlich ließen diese Aktionen aber noch sehr viel Luft nach oben.
Nachhaltig zeigte das dreitägige Festival nicht nur die Vielstimmigkeit der neuen Dramatik. Die politische Schlagkraft vieler Dramen weckte beim Publikum Lust, sich den aktuellen Diskursen zu stellen. Am Rande der Aufführungen wurde viel diskutiert. Da ist es umso bedauerlicher, dass die vom Theater angekündigte Begegnung mit den Autor:innen zur internen Veranstaltung geriet. Dass einige der bemerkenswerten Uraufführungen ins Abendrepertoire gewandert sind, unterstreicht die Qualität der Produktionen. //