Theater der Zeit

Editorial

Editorial

von Mascha Erbelding und Christina Röfer

Erschienen in: double 41: Puppe* – Figurentheater und Geschlecht (04/2020)

Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater

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„Ich wage deshalb die These, dass Männer die besseren Puppenspieler sind als Frauen.“ Jürgen Klünder begründet diese provokative Aussage, die 1989 in der Zeitschrift „Das Figurentheater“ erschien, aus dem Unvermögen der Männer, Kinder zu gebären. Deshalb seien sie in der künstlerischen Schöpfung kreativer. Prompt folgte eine Entgegnung der Künstlerin Renate Schweizer: „Dadurch, dass Frauen nun ins Figurentheater drängen, fordern sie von Männern nicht automatisch, sich in den Hintergrund zu begeben.“ Sie verlangte, die „einseitige Schwarz-Weiß-Sicht“ endlich aufzugeben und „die vielen Farben zwischen den Extremen wahrzunehmen“. Vor diesem Hintergrund sollte man die ungeheure Entwicklung schätzen, die das Figurentheater durchlaufen hatte, als Katja Spiess 2002 eine Ausgabe von „Das Andere Theater“ der Frage widmete, ob es eine besondere weibliche Ästhetik gebe. Schon damals verwiesen die befragten Frauen auf ihre künstlerische Autonomie, unabhängig von ihrem Geschlecht.

Und heute? In den Museen werden die lange unbeachteten Werke von Frauen* wiederentdeckt, das Theater hinterfragt Machtmissbrauch infolge von #MeToo. Seit 2018 wird in Deutschland offiziell ein drittes Geschlecht anerkannt und eine gerechtere Verteilung der Familien- und Hausarbeit in Partnerschaften scheint sich, trotz allen konservativen Gegenwinds, zu entwickeln. Viel ist erreicht, viel im Werden – aber ein weiter Weg liegt noch vor uns, wenn es um eine Welt frei von Geschlechter-Diskriminierung geht.

Grund genug für double, einmal bei Künstler*innen nachzufragen, wie sie in ihren Arbeiten mit dem Thema Geschlecht umgehen. Yoko Yamaguchi berichtet von japanischen Künstlerinnen, die bestehende Gender Gaps überwinden. Annette Scheibler und Sigrun Kilger preisen die subversive Kraft des Figurentheaters. Li Kemme und Britta Tränkler sehen das grundlegende Infragestellen ihrer Arbeit als Motor ihrer künstlerischen Schöpfungen. Auch zwei weitere Kollektive hinterfragen neben gängigen Kategorisierungen die eigenen Arbeitsstrukturen, ein weiteres arbeitet sich mit Barbies Hilfe an überkommenen Körpernormen ab. Laura Purcell-Gates und Ute Kahmann untersuchen vor ganz unterschiedlichen Hintergründen die Rezeption des Geschlechts bei Puppen und Meike Wagner kommentiert ein Panel zu „Politik, Identität, Feminismus“.

Im zweiten Teil des Heftes führt die Stippvisite nach Slowenien und in der Rubrik Nachwuchs blicken wir nach Braunschweig und Bochum, während Tagungen zu Identitätsentwürfen im Figurentheater und dem Puppentheatermuseum der Zukunft nach Bern und Dresden führen. Auch das Heftthema schlägt sich weiterhin nieder: in einer Münchner Ausstellung, Sööt/Zeyringers Performance „Angy hour“, der ASSITEJ-Werkstatt und der Publikation „Women and Puppetry“.

Figurentheater zeigt sich in diesem Heft also wieder in vielfältigsten Formen, deren Potenziale im Verhandeln binärer Kategorien und gesellschaftlicher Strukturen noch lange nicht erschöpfend erkundet sind.

„Yes, we Ken!“, finden deshalb auch

Mascha Erbelding und Christina Röfer

– und wünschen eine anregende Lektüre!

 

Puppet *

Puppet theatre and gender

Jürgen Klünder justified his provocative statement: "I therefore venture the thesis that men are better puppeteers than women", which appeared in the magazine "Das Figurentheater" in 1989, by the inability of men to bear children. That is why they are more creative in their artistic work. This was promptly followed by a response from the artist Renate Schweizer, who called for this "onesided black-and-white view" to be finally abandoned. When Katja Spiess dedicated an issue of "Das Andere Theater" in 2002 to the question of whether there was a particular female aesthetic, the women questioned were already referring to their artistic autonomy, regardless of their gender.

Much has been achieved, much is in the making – but there is still a long way to go when it comes to a world free of gender discrimination.

Reason enough for double to ask artists how they deal with the topic of gender in their work today. Japanese artists overcome gender gaps; collectives question bodily norms, social power structures and their own working methods; and the question of the reception of gender in puppets is examined.

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