Als „Nachgeborener“ im Rahmen eines Symposiums zum „Realistischen Musiktheater“ über Ruth Berghaus zu sprechen, ist eine spannende, aber gefährliche Aufgabe. Die Frage, inwieweit man ihr Theater als „realistisch“ beschreiben kann, führt unmittelbar auf unwegsames Gelände: Mehr als einmal wurde Berghaus im Laufe ihrer Karriere provozierend gefragt, wie sie es denn mit dem Realismus halte. Wie Gerd Rienäcker berichtet,[1] beantwortete sie diese Gretchenfrage der sozialistischen Kunst selbst mit dem Satz, ihr Theater sei realistischer als den Fragenden lieb sei, und verquickte damit genau wie diese polemisch moralische und ästhetische Wertung. Das ist symptomatisch: Manfred Jäger spricht in seiner Studie zu Kultur und Politik in der DDR vom „Sozialistischen Realismus“ als einem „kulturpolitischen Losungswort“; man habe in der stalinistischen Sowjetunion und der jungen DDR einer kulturpolitischen Aufgabenstellung universelle Gültigkeit verschaffen wollen, indem man sie zu einer ästhetischen Kategorie erhoben habe.[2] Die Debatte, geführt als Auseinandersetzung um den „Brecht-Stil im Musiktheater“, berührt den Kern des kulturellen und politischen Selbstverständnisses von Partei wie Intellektuellen und ist zugleich die zentrale Waffe, mit der um die Macht im Musiktheater der DDR gekämpft wurde. Noch im Streit nach 1990 um die Bewertung von deren kulturellen Leistungen spielt die Diskussion um „Realismus“ eine Rolle, denn dieser...