Theater der Zeit

Auftritt

Opernhaus Zürich: Im Männlichkeitswahn

„Eliogabalo“ von Francesco Cavalli – Musikalische Leitung Dmitry Sinkovsky, Inszenierung Calixto Bieito, Bühnenbild Anna-Sofia Kirsch und Calixto Bieito, Kostüme Ingo Krügler

von Elisabeth Feller

Assoziationen: Theaterkritiken Musiktheater Schweiz Francesco Cavalli Calixto Bieito Opernhaus Zürich

Sophie Junker und Beth Taylor in Calixto Bieitos Inszenierung von Eliogabalo am Opernhaus Zürich. Foto: Monika Rittershaus
Sophie Junker und Beth Taylor in Calixto Bieitos Inszenierung von Eliogabalo am Opernhaus Zürich. Foto: Monika RittershausFoto: Monika Rittershaus

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Ein Würfel verhüllt mit Plastikplanen. Was sich darin abspielt, ist nur vage wahrzunehmen, doch wir wissen schon während der Ouvertüre: Das ist keine schöne Geschichte. Schemenhaft erkennen wir eine Frau, die Gift (?) in eine Schüssel gibt und ein Paar beim Liebesspiel. Falsch. Hier handelt es sich um eine Vergewaltigung. Als das Opfer sich befreien kann, reißt es alle Planen nieder und erneut wissen wir: Was von nun folgen wird, ist eine Kette wüster Ereignisse, in denen Frauen erniedrigt und Männer hintergangen werden, weil sie der Willkür eines sexuell unersättlichen Kaisers unterworfen sind. 

„Eliogabalo“ hat Francesco Cavalli (1602-1676) seine von Regisseur Calixto Bieito am Opernhaus Zürich inszenierte und von Dmitry Sinkovsky sowie dem Orchestra La Scintilla interpretierte Oper betitelt, die einen Herrscher ins Zentrum rückt, der keine Skrupel kennt und von sich behauptet: „Eliogabalo ist Jupiter.“ Primär aber ist dieser in Bieitos Lesart eine ebenso abstoßende wie faszinierende Kombination von freischweifendem Geist, extremer Grausamkeit und verführerischer Anziehungskraft; ein Macho, der einen Stier wie ein Liebender umgarnt und sich allem Gehabe zum Trotz aber über seine Identität nicht im Klaren ist. Eliogabalo liebt Frauen und Männer und er liebt Auftritte in Männer- und Frauenkleidern – schon landen wir bei den aktuellen Themen Männer- und fluide Genderidentität. 

In dieser Hinsicht erscheint Cavallis lange Zeit als verschollen geltende, erst 1999 wiederentdeckte Oper wie geschaffen. Die stimmliche Zuordnung der Figuren erfolgt nicht nach dem bekannten Muster Mann gleich Tenor oder gleich Bass. Eliogabalo und dessen Freund Alessandro werden vielmehr von zwei Countertenören gesungen; Giuliano, Geliebter der vergewaltigten Eritea ist ein Mezzosopran; Lenia, Eliogabalos Vertraute, wiederum ist ein Tenor. Wer mit wem was und mit welch fatalen Konsequenzen in dieser Oper tut, spielt letztlich keine Rolle. Weil der Komponist nur dies will: eine todtraurige Geschichte um Betrug, Intrigen, Verrat, politische und sexuelle Macht auffächern. Calixto Bieito schreckt diesbezüglich nicht vor expliziten Szenen mit suggerierten Vergewaltigungen, obszönen Gesten sowie viel Nacktheit zurück. Das kann verstörend wirken, weshalb das Opernhaus Zürich vorsorglich in der Programmankündigung anmerkt „Nicht jugendfrei“.   

Bieitos Inszenierung jedoch nur auf ihre reisserischen Momente zu reduzieren, griffe zu kurz. Dafür nimmt sie das Libretto zu sehr beim Wort. Es handelt sich nun einmal um eine schmutzige Geschichte, die keinen Silberstreifen am Horizont aufweist. Oder doch? Da Eliogabalo schlicht alle Frauen besitzen will, greift er zu einem fantasievollen Mittel. Er gründet einen Frauensenat. Was auf den ersten Blick fortschrittlich anmutet, dient jedoch nur dem eigenen Lustgewinn. Das Ganze gerät allerdings gründlich schief; die Frauen wehren sich – doch viel zu kurz. Danach wird sich nichts ändern – die Geschichte nimmt ihren Lauf. Ihrem hässlichen Charakter entsprechend, verlegen die Bühnenbildnerin Anna-Sofia Kirsch und Calixto Bieito die in der Gegenwart spielende Handlung (Kostüme: Ingo Krügler) in einen weitgehend schwarz ausgeschlagenen Raum, der auch schon mal eine Unterwelt mit Stahlpfeilern evoziert oder – ein einziges Mal – einen hellen, mit Palmen lächerlich erscheinenden Senat. Immer wieder werden den Szenen Videos, etwa vom Stierkampf oder von athletischen Männern, die eine Sprossenwand hochklettern, unterlegt. Lauter Zeichen, die aus Bieitos Sicht Zeugnisse eines überholten Männlichkeitswahns sind.  Das ist oft des Guten zu viel, weil sich diese Videos im Verbund mit den Gewaltdarstellungen mit der Zeit abnutzen.  

Gleichwohl ändert dies nichts daran, dass die Übereinstimmung von Inszenierung und musikalischer Interpretation frappierende Wirkungen erzielt. Mit Sicherheit hat dabei eine Rolle gespielt, dass „Eliogabalo“ in Zürich gewissermaßen neu entstanden ist. Weil von Cavalli keine komplette Partitur überliefert ist, sondern nur ein sogenannter Generalbass, wurden die Instrumentation und die Bearbeitung des Librettos in Zürich neu kreiert. Diese Kreativitätslust schlägt sich nieder in einer wunderbar farbigen, immer wieder üppig erscheinenden Instrumentierung. In Dmitry Sinkovsky und dem mit etwas über 30 Musikerinnen und Musikern besetzten Orchestra La Scintilla findet Cavallis Oper eloquent akzentuierende, die lodernden Emotionen der Protagonisten fein austarierende Interpreten. Die Drastik des Stoffes wird von Dirigent und Orchester ebenso beispielhaft herausgeschält wie die filigrane Detailarbeit beim Unterstützen der Gesangs- und Sinnenlust, die auf der Bühne stattfindet.  

Gleichsam nebenbei gibt Sinkovsky nach der Pause ein kurzes Gastspiel als Countertenor. Er ist – wenngleich nur kurz – der Dritte im Bunde zweier Countertenöre, die ihre Partien mit packendem Farbenreichtum versehen. Yuriy Mynenko (Eliogabalo) und David Hansen (Alessandro) knien sich mit betörender Intensität in ihre Rollen hinein. Mynenko mit – je nach Szene – stählerner Entschlossenheit oder purem Wohllaut; Hansen mit einer nervliche Daueranspannung verratenden, exzessiven Zuspitzung, die bewusst das sogenannte Übersteuern in Kauf nimmt. Welche Strahlkraft Cavallis kraftvoll-dramatischen Rezitativen, aber auch den langen, ariosen Gesängen innewohnt, zeigt sich auch in den glühend durchpulsten Rollengestaltungen von Siobhan Stagg (Eritea), Beth Taylor (Giuliano), Anna El-Khashem (Gemmira), Sophie Junker (Atilia), Joel Williams (Zotico), Mark Milhofer (Lenia) Daniel Giulianini (Nerbulone), Benjamin Molonfalean (Tiferne), Aksel Daveyan (Un console) und Saveliy Andreev (Altro console). Kurzum: Mit „Eliogabalo“ holt das Opernhaus Zürich den Opernkomponisten Francesco Cavalli zurück auf die Bühne. Dessen Oper ist eine Neuentdeckung, die insbesondere dank ihrer musikalischen Durchdringung lohnenswert ist. 

Erschienen am 16.12.2022

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