Kommentar
Feuilletonistisches Eigentor
Ausgerechnet in der Phase des Aufrappelns ruft die Sächsische Zeitung den Kulturbetrieb zu mehr Demut auf
von Michael Bartsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Man sollte meinen, das Feuilleton, die Kultur und die sie transzendierenden Künste seien insgeheim Verbündete. Die kritisch- dialektische Wechselwirkung zwischen Schaffenden und professionell Rezipierenden befördert Bewegung. Das ewige Unverstandensein der Künste gehört zu diesem Spiel ebenso wie die ewige Besserwisserei derer, die es nie gekonnt haben, sich aber nicht weinend aus diesem Bund stehlen wollten. Goethes „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“ illustriert nur, wie sehr beide Seiten einander brauchen. Weil sie im Grunde dasselbe meinen. Sollte man meinen.
Zumindest sollten aber Attacken von Muffeln, Banausen und Barbaren auf den vermeintlichen Ballast verzichtbarer Kulturförderung zusammenschweißen. Nun empfiehlt aber ausgerechnet der Feuilletonchef der Sächsischen Zeitung der seuchengestressten Kultur etwas mehr Demut, „Abschied von alten Selbstgewissheiten“ und weniger Dünkel. „Sachsens Kultur kann aus der Krise lernen“, war eine lange Kolumne von Marcus Thielking auf der ersten Seite der Wochenendausgabe Mitte Januar überschrieben. Lernen solle sie wie Kirchen, Volksparteien, Gewerkschaften und auch Zeitungen (sic!) vor allem, „dass die Zeiten ihrer Massenwirksamkeit vorbei sind“. Die existenzbedrohende Lage von Künstlerinnen und Künstlern, die Lage des Kulturbetriebs insgesamt unterscheide sich nicht von der der Sportvereine, Hotels oder Kosmetikstudios. Die Coronakrise habe gezeigt, „dass all die großen Worte vom besonderen gesellschaftlichen Stellenwert der Künste nur Sonntagsreden waren“.
Nun könnte man lächelnd daran erinnern, dass der Begriff Feuilleton vom französischen „feuillet“ kommt und ursprünglich das unterhaltsame Beiblatt einer Zeitung meinte. Die Sächsische Zeitung aber ist kein Blättchen. Bei rund 190 000 verkauften Printexemplaren und ordentlicher Online-Präsenz hat ein solcher Kommentar Reichweite. Er sorgte denn auch für einigen Aufruhr, nicht aber für einen Aufschrei unter sichtlich müden sächsischen Kulturleuten. Bautzens Theaterintendant Lutz Hillmann fuhr aus der Haut: „Ist das nicht der Skandal des Jahres?“ Spontan wollte er eine Diskussion mit Feuilletonchef Thielking anberaumen.
Ebenso spontan haben viele bei der Lektüre einen Dolch im Rücken verspürt. Da macht einer gemeinsame Sache mit denen, die uns schon lange für entbehrlich halten, statt uns eben diesen Rücken zu stärken. Genährt wird dies durch die nicht haltbare Suggestion des Autors, die Kultur und die Künste befänden sich in einer tradiert privilegierten Situation und hätten in den zwei Jahren Coronakrise auch eine Sonderstellung beansprucht. Der Kulturbetrieb „schwebe über den Dingen“, wird unterstellt. In sich schon ein Widerspruch zu der späteren Feststellung, die Kultur befinde sich in einer Schicksalsgemeinschaft mit Hotels oder Fitnessstudios.
Richtig ist, dass sich nicht nur in Sachsen die Kulturbetriebe im wörtlichen Sinn gegenüber anderen kontaktintensiven Bereichen benachteiligt fühlten, obschon sie peinlichst auf Hygiene achteten und nachweislich nicht als Spreader gelten können. Die Briefe und Erklärungen sächsischer Kulturpolitiker, Veranstalter und Künstler zielten auf die Disproportionen im harten Kulturlockdown seit November. Dem hat die Staatsregierung einsichtsvoll nachgegeben. Die Forderung, auch bei Überschreitung der quantitativ festgelegten Belastungsgrenze der Krankenhäuser Kultureinrichtungen nicht rigoros wieder zu schließen, hat mit der Spezifik dieses „Kulturbetriebs“ zu tun. Man kann ein Theater nicht einfach an- und ausknipsen, wie man einen Laden wieder öffnet. Auch das hat die sächsische Staatsregierung besser begriffen als das Feuilleton der Sächsischen.
Wer die Ab-Urteile über eine angeblich überdimensionierte Kulturlandschaft der DDR oder die sächsischen Kultur-Verzichtbarkeitsdebatten der 2000er Jahre noch in Erinnerung hat, fühlt sich noch auf andere Weise alarmiert. Ist das Kunst, oder kann das weg? Geht das schon wieder los, jetzt gar von Kulturjournalisten selber losgetreten? Müssen wir wieder anfangen zu erklären, was das lateinische Verb colere, also hegen, bebauen, pflegen, in seiner Adaption als Kulturbegriff bedeutet? Die Anlage zur kulturellen Höherentwicklung und zu künstlerischer Verfeinerung ist nicht nur das Privileg einer Kulturoligarchie.
Die Erklärung der Kulturminister vom 5. Januar hat die helfende, orientierende, stabilisierende Rolle der Kultur besonders in Krisenzeiten dankenswerterweise betont. Etwa zur selben Zeit sprach der neue Intendant Moritz Gogg im erzgebirgischen Annaberg vom „notwendigen Luxus“. Marcus Thielking rechtfertigte sich in einer persönlichen Korrespondenz, er habe lediglich vor anstehenden „brutalen Verteilungskämpfen“ warnen wollen, bei denen die Trumpfkarte der Kunstfreiheit nicht mehr stechen würde. Da kann man nur mit dem Sprichwort antworten: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Diese Kämpfe, zumal im Osten Deutschlands, sind wir seit drei Jahrzehnten gewohnt!
Solche Kolumnen verstärken eher die Resignation insbesondere freier Künstler, die schon nicht mehr wissen, wozu sie ihre Ambitionen noch pflegen und ob sie sich nicht eher bei Lieferando durchschlagen sollen. Und man fühlt sich an Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ erinnert, in dem er vor 80 Jahren das längst omnipräsente „Feuilletonistische Zeitalter“ treffend beschrieben hat. //