Theater der Zeit

Auftritt

Maxim Gorki Theater Berlin: Alles Schmus

„Die Legende von Paul und Paula“ nach der Filmerzählung von Ulrich Plenzdorf – Regie Murat Dikenci, Bühne und Kostüme Marilena Büld, Komposition Nazanin Noori

von Lina Wölfel

Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Dossier: Bühne & Film Murat Dikenci Maxim Gorki Theater

Feministische Erzählung oder toxische Liebesgeschichte? „Die Legende von Paul und Paula“ nach der Filmerzählung von Ulrich Plenzdorf in der Regie von Murat Dikenci am Maxim Gorki Theater Berlin.
Feministische Erzählung oder toxische Liebesgeschichte? „Die Legende von Paul und Paula“ nach der Filmerzählung von Ulrich Plenzdorf in der Regie von Murat Dikenci am Maxim Gorki Theater Berlin.Foto: Etritanë Emini

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Auf dem Ankündigungsplakat stehen sie Arm in Arm, die Blicke starr und entschlossen in die Kamera gerichtet, auf einem Kahn. Wider allen Umständen und den Gezeiten zum Trotz brechen sie auf. Seine rechte Hand umklammert ihre Schulter, hält sie vielleicht ein bisschen zu fest, die linke hält eine Chrysantheme, am Übergang zwischen Stil und Blüte. Irgendwie auch nicht wirklich liebevoll. Sie stützt sich auf eine Axt. Beide tragen Rot, Blutrot.

Was auf den ersten Blick aussieht, wie der bildgewaltige Teaser einer Liebesgeschichte par excellence, einer du-&-ich-um-jeden-Preis-Story, entpuppt sich schnell als zutiefst toxische Dynamik. „Die Legende von Paul und Paula“ war der DDR-Kulturfilm schlechthin. Paula, alleinerziehende Mutter, beginnt eine Affäre mit Paul, in einer unglücklichen Ehe und karriereorientiert, die beide als „einzig wahre Liebe“ erleben. Paul hält jedoch aus Karrierismus an seiner Ehe fest, während Paula sich völlig in die Beziehung hineinbegibt und ihre Bedürfnisse dem Ideal der Liebe unterordnet.

Nach dem Unfalltod von Paulas Sohn bricht sie mit Paul, der sie daraufhin massiv bedrängt, zunächst ihre Wohnung belagert und diese schließlich mit einer Axt gewaltsam aufbricht, woraufhin sie zu ihm zurückkehrt. Paula wird schwanger, entscheidet sich trotz ärztlicher Warnung für das Kind und stirbt bei der Geburt.

Soweit die Handlung des 1973 erschienenen Films von Regisseur Heiner Carow nach dem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf, der mit dem schicksalshaften Tod Paulas beginnt. An gleicher Stelle setzt die Inszenierung von Studio Я-Leiter Murat Dikenci am Maxim Gorki Theater ein. Dikenci verfrachtet die Handlung in einen dreieckigen, holzvertäfelten Raum mit eingeschlagenen Fenstern und schummrigem Licht, der Assoziationen an ein tristes Bürogebäude ebenso zulässt wie an ein Schaufenster. In und vor diesem Aufbau spielt sich der auf 60 Minuten stark eingekürzte Abend ab.

Die Handlung schrumpft dabei auf wenige Fragmente zusammen. Das mit der Liebe „ist doch alles Schmus“, denkt Paula, die überlegt, einen älteren Mann zu heiraten, um ihrem Sohn finanzielle Sicherheit bieten zu können. Jener sitzt in Dikencis Fassung als Live-Schlagzeuger neben dem Geschehen und kommentiert das Ganze musikalisch. Vorher will sie aber nochmal leben und stürzt sich in die Nächte. Sie trifft Paul, der bei Samuel Schneider von vornherein nicht vertrauenswürdig scheint. Irgendwas ist da off, zu doll, zu schnell. Aber Paula in ihrer Sehnsucht nach den großen Gefühlen, der Aufregung, der Ekstase stürzt sich in die Beziehung. Bei Ruby Commey darf sie mehr sein als die liebevolle Mutter und leidenschaftliche Liebhaberin. Da ist die Überforderung, in ihrem Herzschmerz mit dem Sohn umzugehen, die in einer Patzigkeit resultiert, so herzzerreißend wie ehrlich: „Immer ich, ich, ich, jetzt geht’s hier auch mal um mich, verstehst du das?“

Ansonsten verliert man bei den ganzen Handlungssprüngen und -drehern schnell den Überblick. Die in die Textfassung eingestreuten Modernisierungen und Gegenwartsbezüge wirken leider eher schnell dahingerotzt als wirklich in die Handlung integriert.  So etwa, wenn Paula, die als Tourist:innenführerin auf einem Spreedampfer arbeitet, auf einer Tour das Clubsterben anspricht und damit meint, wie Kultur und Subkultur – Aushängeschilder der Stadt Berlin – massiv die Gelder entzogen werden. Oder wenn ihr Sohn halt Fatma Aydemirs „Dschinns“ liest. Konsequent ist da nur der Black zwischen den einzelnen Szenen- und Handlungsfragmenten, damit die Darsteller:innen in Ruhe auf- oder abgehen können. Auf szenische Einfälle wartet man sonst eher vergeblich. Da liegt Paulas Kind mal in der Ecke und liest, da flimmern mal Sujets verliebter Paare aus anderen Filmen auf einem Röhrenfernseher auf, da wird mal ein böser Kommentar zum Schlagzeuger gemacht, der als Überbleibsel des Reifenhändlers „Reifen-Saft“ herhalten muss. Der Schlüsselmoment, Pauls gewaltsames Eindringen mit der Axt in Paulas Wohnung: lediglich der Austausch der vormals ganzen Tür gegen eine kaputte. Man könnte meinen, es wäre eine Qualität, sich eben nicht auf die großen Eskalationen zu stürzen, sondern die Gewalt in dieser Beziehung anhand der kleinen Momente von patriarchaler Machtausübung zu erzählen. Das funktioniert nur leider nicht, wenn man diese Momente fast alle rausschmeißt und Paul und Paula zu Archetypen verkommen lässt: er, der schleimige, toxische Arsch, der nicht ehrlich zu ihr ist und dem dann auf einmal auffällt, dass er sie liebt, sie, die hingebungsvolle Mutter, die aber auch Frau sein möchte und sich so im Hedonismus verliert, dass der größte Beweis ihrer Liebe der Tod durch eine ungewollte und doch gewollte Schwangerschaft bleibt. Ja, das ist Selbstbestimmtheit. Aber warum sie daran festhält, bleibt an diesem Abend im Gorki reine Spekulation.

Die eigentliche Frage danach, wie mit Paula, einer so ambivalenten Frauenfigur umzugehen, der Frage danach, was dieser Stoff uns heute noch zu sagen hat, vor allem, wenn er sich an eine junge Zielgruppe richtet und durch die Kostüme von Marilena Büld y2k schreit, wird nicht beantwortet. Diese Antworten müssen die Zuschauer:innen selber finden. Dabei ins Programmheft zu schauen, hilft jedoch nicht: mit bell hooks „alles über liebe“ zu argumentieren, wirkt in diesem Fall wie Spott. Denn was sich an diesem Abend definitiv nicht vermittelt, ist, dass Liebe und Gewalt nicht koexistieren können. Eher im Gegenteil.

Erschienen am 17.12.2025

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