Künstlerinsert
Wo Wüste war
Über das utopische Etwas in der Architektur des Operndorf-Erbauers Francis Kéré
Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)
Assoziationen: Akteure
Francis Kérés Architektur entdeckt man am besten aus der Vogelperspektive. Von dort, wo in Burkina Faso die Kormorane fliegen und in Berlin-Tempelhof die Krähen. Erst so sieht man das Nichts, das seine Bauten umgibt, die Wüste oder ein Rollfeld, als Kontrast zu einer Architektur, die, aus Lehm gebaut oder auf Räder montiert, wie gerade gelandet wirkt. „Burkina Faso ist ein Traumland“, hatte Christoph Schlingensief gesagt, als er auf der Suche nach einem Ort für sein Operndorf nach etlichen Hubschrauberflügen und Jeeptouren durch afrikanische Länder in Laongo rund vierzig Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Ouagadougou gelandet war und kurz darauf einem der größten Visionäre des Landes die Hand schüttelte. Eine Geste, die sich im Verlauf von Francis Kérés Karriere wiederholen sollte, bis hin zu jenem Mann, den er bescheiden „den Barack“ nennt.
Diébédo Francis Kéré ist in den vergangenen Jahren zu einem der weltweit gefragtesten Architekten geworden. Er baut in Mosambik, Kenia, Mali, in China, Deutschland und Spanien und beweist mit seinen Schulen, Krankenhäusern und Universitäten, wie sich ein an den klimatischen und sozialen Extremen Afrikas geschultes Denken mit dem in Deutschland erworbenen Wissen um europäische Architektur zu einem faszinierenden Hybrid kombinieren lässt. Er entwirft Gebäude, die sich selbst klimatisieren. Bei vielen Bauprojekten in Afrika wirkten, ganz im Sinne einer Sozialen Skulptur, die Bewohner mit, brachten Ideen ein, brannten Steine und verdienten sich so ihren Lebensunterhalt. Kéré könnte täglich mehrere Dinner-Einladungen wahrnehmen bei Leuten, die mit ihm Projekte planen wollen. Und doch wirkt es, als säße man zu Besuch bei ihm zu Hause, wenn er einen öffentlichen Raum betritt. Oder unter einem Baobab-Baum, dem traditionellen Versammlungsort in afrikanischen Dörfern. Bei der Buchvorstellung seiner neuesten Publikation im Bücherbogen Berlin begrüßt er jeden, auch wenn man sich nicht kennt, und sei es bloß mit den Augen.
Zwischen Traum und Vision liegt die Willenskraft. Jene Energie, die eine ungerichtete Träumerei Realität werden lässt. Christoph Schlingensief war kein Träumer. Aber sein Projekt, irgendwo in Afrika ein zweites Bayreuth zu errichten, klang vielen zunächst schwer nach Träumerei. Es muss ein Treffen der Extreme gewesen sein: Schlingensief, der Künstler, für den Kunst auch immer (Selbst-)Verschwendung bedeutete, und Kéré, der Architekt, der jedem Gebäude einen gesellschaftlichen Nutzen geben will. Der Spiegel schrieb in einer Reportage von einem Treffen zweier Primadonnen. Doch Kéré macht aus alldem kein großes Ding. Er nimmt das Wort Vision nur in Bezug auf Schlingensief in den Mund, diesem „großen Künstler“, wie er sagt, der ihn zum Bau des Operndorfes angestiftet habe. Nie aber spricht er davon in Bezug auf sich selbst. Einfach machen, lautet seine Devise, mit besonderer Emphase auf dem letzten Wort, doch dieses Einfache verfolgt er radikal.
In dem Band „Radically Simple“, der begleitend zu Kérés Ausstellung im Architekturmuseum der TU München im Verlag Hatje Cantz erschienen ist und den er Anfang März im Bücherbogen vorstellte, berichtet sein ehemaliger Architektur-Professor Peter Herrle von ihrer Zusammenarbeit. „Die Sache mit Diébédo Francis Kéré begann im Grund ganz harmlos. Wenn ein Student zu seinem Professor kommt, um ein Projekt zu verwirklichen, das ihm am Herzen liegt, ist da nichts Ungewöhnliches dran“, schreibt er. „Zunächst.“ Der Sohn des Häuptlings von Gando, der seit 1995 an der TU Berlin Architektur studierte, war 1998 in seinem Seminar aufgetaucht. Er wolle eine Schule für sein Heimatdorf bauen, habe er gesagt. Also sprachen sie über die hohen Temperaturen in der Region, über Regen und Trockenzeit, über Materialien. Am Ende des Semesters war der Entwurf vollendet: ein Sockel, drei abschließbare Klassenräume und ein großes Dach, das vor Sonne und Regen schützt. „Es gab nichts Einfacheres“, schreibt Herrle. „Und genau diese archaische Simplizität ist es, die dieser Architektur ihren verborgenen Charme gibt: die Verbindung zur Erde, zu den Menschen und zur Umgebung: zu dem Land, dem Leben und der Atmosphäre.“ Während das politische Berlin zur selben Zeit darüber nachdachte, wie man mit architektonischen Großprojekten die einstmals geteilte Stadt zu einem Ganzen zusammenfügen könnte, entwarf Kéré Gebäude, die sich selbst genügten.
Aus der Schule in Gando aber sollte nicht bloß ein Traum oder eine gute Note an der Uni werden. Sie sollte gebaut werden. Das war Kérés Vision. Also gründete er den Verein Schulbausteine für Gando e. V., entwarf selbst die Sammelbüchsen und ging Klinken putzen, um Geld aufzutreiben. Vielleicht war es dieser unbedingte Glaube an ein fast utopisches Vorhaben, das ihn nicht stutzen ließ, als ihm Christoph Schlingensief von seinem Opernhaus in Burkina Faso erzählte, einem Land, in dem die Analphabetenrate bei rund siebzig Prozent liegt. Heute stehen auf dem Gelände in Laongo eine Schule, Wohngebäude, Werkstätten sowie eine Krankenstation (siehe auch Seite 40). Neben dem Platz, wo irgendwann einmal das schneckenförmige Opernhaus stehen soll, werden Filme gezeigt. In einem Tonstudio lernen Jugendliche den Umgang mit Kamera und Filmschnitt. Schlingensiefs Idee von der Demokratisierung der Oper, von einem Gesamtkunstwerk, das Leben und Kunst verbindet, wird hier konkret. „Wo Wüste war, pulsiert Leben, Kreativität“, sagt Kéré. „Das ist es, was ich von Christoph gelernt habe. Gute Räume können junge Menschen inspirieren, sie können träumen.“ So gesehen sind Kérés Gebäude (und öffentlichen Auftritte) auch immer ein politisches Statement. „Lasst Helden aus diesen Ländern entstehen“, betont er. „Es sei denn, Sie sehen den Kontinent als ein Reservoir von Leuten, die keine Alternative haben.“ Sein Entwurf für das neue Parlamentsgebäude in Ouagadogou (das alte wurde 2014 bei der Revolution gegen Staatschef Blaise Compaoré zerstört) ist ein Sinnbild dieser Forderung. Auf den ersten Blick einer (Macht-) Pyramide gleichend, entpuppt sich dieser Bau als Piazza: Das Gebäude ist bis oben hin über eine große Treppe begehbar. Ein Versammlungsort, der Bürger und Regierung zusammenbringen soll und den man erklimmen kann wie einst Christoph Schlingensief seinen Hügel in Laongo, um in die Ferne und also in eine Zukunft zu schauen, die es zu gestalten gilt.
Auch Chris Dercon würde, ginge es nach ihm, am liebsten abheben, um mal eben nach Afrika zu fliegen. Der designierte Intendant der Berliner Volksbühne ist Kérés Gesprächspartner an diesem Abend im Bücherbogen. Gemeinsam planen sie, vorbehaltlich der Finanzierung durch die Lotto-Stiftung, ein kleines Berliner Großprojekt: das mobile Theater am Flughafen Tempelhof. Ein Ufo-Theater, wie Dercon es nennt: rund, auf Rollen gebaut, für bis zu tausend Zuschauer gedacht, dabei mit ausbaubaren Sitzen flexibel. Ob man damit auch nach Afrika fliegen könne, fragt Dercon. „Wenn du willst, baue ich dir da Flügel dran“, witzelt Kéré – dabei könnte der Clash hier nicht größer sein. Nach wie vor wohnen in den Hangars des Flughafens rund sechshundert Flüchtlinge. Menschen, die anders als die Jetsetter Dercon und Kéré nicht mal eben schnell nach Afrika fliegen können. Oder besser gesagt: es gar nicht wollen. Auch wenn die Unterkunft aufgrund von zu geringer Auslastung bis zum Sommer geschlossen werden soll, wird das Ankunftszentrum in Hangar 5 bleiben. Ist das Nebeneinander von Hochkultur und Flüchtlingskrise nicht zynisch? Kéré erklärte gegenüber Spiegel online, er wolle auch bei diesem Bauprojekt versuchen, Arbeitsmöglichkeiten für die an diesem Ort lebenden Neuankömmlinge zu schaffen. Ob und wie das geschehen soll, ist bei aller finanziellen Unwägbarkeit des Projekts und der Situation vor Ort indes noch unklar. Vielleicht bedarf es auch hier einer weiteren Fähigkeit Kérés: die Realität mit einer guten Geschichte zu überlisten.
In dem Entwurf des Parlamentsgebäudes in Ouagadougou sehen wir Burkina Fasos Staatspräsident Roch Marc Kaboré, wie er Barack Obama die Hand schüttelt. Diese Begegnung hat nie stattgefunden. Zumindest nicht in dieser Konstellation. Es war Kéré, der den ehemaligen US-Präsidenten, für dessen Großmutter er in Kenia gerade den Obama Legacy Campus plant, auf diese Art begrüßte. Die Fotomontage sollte dem burkinischen Präsidenten während der Planungsphase zeigen, was alles möglich ist. Dieses utopische Etwas ist es, das Francis Kérés Architektur verkörpert. //