Theater der Zeit

Auftritt

Bremen: Selbstverliebte Weltuntergangsparty

Theater Bremen: „Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig“ (UA) von Mehdi Moradpour. Regie Pınar Karabulut, Bühne Bettina Pommer, Kostüme Bettina Werner

von Jens Fischer

Erschienen in: Theater der Zeit: Test the East – 30 Jahre Mauerfall (11/2019)

Assoziationen: Theater Bremen

Anzeige

Mit eindrücklichem Theaterdonner als programmatischem Versprechen die Aufmerksamkeit des Publikums nach der Sommerpause zurückzugewinnen ist Aufgabe der Saisoneröffnungsproduktion. Klug vorbereitet schien das Theater Bremen. Es engagierte die als super feministisch, super lustvoll durchgeknallt geltende Jungregisseurin Pınar Karabulut, die mit ihrer Vorliebe für trashiges Poptheater eine „humanoide Komödie“ des im Iran geborenen und seit 2001 in Deutschland lebenden Autors Mehdi Moradpour unter dem Titel „Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig“ zur Uraufführung bringen sollte. Bettina Werner entwarf ihr in einem Fantasierausch extravagante Kostüme einer ausgeflippt dystopischen Zukunft. Bettina Pommer stellte unter ein Kettenkarussell und Planeten-Ballons eine Anrichte für Schaumweinkelche auf die Bühne – als prunkvollen Altar der Sektschlürfer. Vor diesem verneigt sich nun ein mönchisch vermummtes Darstellerquartett zur Anbetung. Die Szene glitzert und wird aus dem Boden benebelt. Optisch ist also alles reizvoll vorbereitet. Schon beginnt die Rede vom weltverdunkelnden Vulkanausbruch auf Indonesien des Jahres 1815; ­Hunger, Seuchen, Auswanderung, Revolutionen sollen die Folge gewesen sein. „Wir sind archaische ­Wesen, steinzeitliche Visiten­karten“, so stellen sich Zeitzeugen der umweltverschmutzenden Naturkatastrophe vor: ein Chor der Staub­flocken. Der will zum Zeitpunkt der Handlung, 2067, durch einen „summer of love“ wirbeln, wie Moradpour schreibt, während eine Friedensparty unter Palmen im dank ­Klimawandel als Hafenstadt reüssierenden Hannover stattfindet. Die ­Renaissance der Nationalstaaterei hat das Konstrukt Europa längst in Diktaturen und Monarchien zerbröseln lassen, der Aufstieg „völkisch-nationaler Gespenster“ wird verkündet, auch der Mord an August von Kotzebue durch den im Stücktitel erwähnten Burschenschaftler vermerkt. Weiter fallende Stichworte sind Sklaverei, Turnvater Jahn, die NSU-Uwes, Zwickau, Chemnitz, Industrie 6.0 usw. usf. Dass plötzlich Lord Byron dunkelromantische Verse rezitiert, irritiert dann kaum noch. Seine Tochter Ada Lovelace stellt sich als „Pionierin der Programmierung“ vor. Mary Shelley fabuliert über Frankenstein als die Zukunft des Menschen in Zeiten seiner technischen ­Reproduzierbarkeit. Karabulut garniert dieses verbale Sammelsurium mit Songs des ­Musicals „The Rocky Horror Picture Show“. Und weil immer noch mehr geht, erleben ­zwischendurch nerv­tötende Plapperarien der Gute-­Laune-Diktatur heutiger Radio-Morgen-Shows ihre Parodie.

Sprachspielerisch mit einschüchternd belesenem Anspielungsreichtum tippt Moradpours assoziativer Schreibstil überreichlich angesagte Zeitgeist-Sujets an, verzichtet dabei aufs Flechten roter Fäden, sodass der Textfluss an der Oberfläche des Namen- und Themendroppings dahinmäandert und sich nicht um Verständigung mit dem Theaterpublikum bemüht. Dabei haben die Darsteller während der Proben recherchiert, beispielsweise die Bezüge der von Moradpour komponierten Zitatschleifen zur Genese rechtsnationalen Denkens. Jedoch halten sie diese Fußnoten den Besuchern ebenso vor wie all die anderen analysierten historischen Kontexte der ge nutzten Textbausteine. Die Regie weigert sich dementsprechend konsequent, einen Weg durch den Wortdschungel zu schlagen, und doppelt stattdessen die Dramaturgie des ­Autors in einem folgenlosen Nebeneinander von Szenen. Karabulut bebildert selbstverliebt kunterbunt den selbstverliebt schlaubergernden Text. Verschluckt ihn auch mal und macht Witzchen dazu. Lebt dabei das aus, was der Autor „postdramatische Belastungsstörung“ nennt. Dabei mutiert der Abend zunehmend zu einer Art Insiderveranstaltung für Theatermacher.

Befreit von der Sprachcollage, wäre das gefeierte Weltuntergangspartygefühl, für das Daniel Murenas Soundscapes zunehmend bedrohlicher grooven, prima zu vertanzen gewesen. Dargeboten als Sprechtheater bleibt nur die große Spiellust der Darsteller zu loben. Damit hätten aber auch dringliche Inhalte als künstlerisch überzeugender Theaterdonner realisiert werden können … //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"

Anzeige