Moral macht der Kunst zu schaffen, nicht weil die Kunst unmoralisch wäre, sondern weil sie moralische Fragen lieber umspielt als beantwortet, lieber in tausend Teile zerlegt als in eindeutige (und damit einfältige) Botschaften kleidet. Letztes Jahr war in München im Haus der Kunst eine große Jörg-Immendorff-Ausstellung zu sehen, „Für alle Lieben in der Welt“, darunter Gemälde aus dem Zyklus „Café Deutschland“. Weil sich der Künstler nicht mehr wehren konnte, ließen die Kuratoren ihrem moralisch korrekten Einfältigkeitsverstand freien Lauf und klebten unters „Café Deutschland“, auf dem sich ein Hakenkreuz befand, ein pädagogisches Erklärzettelchen: „Das Hakenkreuz wird hier in kritischer Absicht verwendet.“ Ach so. Hätte ich jetzt nicht gedacht. Für wie dumm hält der Kunstbetrieb eigentlich sein Publikum? Für sehr dumm, muss man annehmen, denn Einfältigkeitsverstand und Erklärzettelchen lauern seit Neuestem überall, auch im Blick auf Theater und Literatur. Ganz so, als ginge es darum, die anarchische Kraft der Künste einzuhegen und zu domestizieren. Was Immendorff betrifft, so müsste man seine Kuratoren bloßstellen mit der Ironie von Martin Kippenberger: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken.“
In der Berliner Volksbühne hat Stefan Pucher Wedekinds „Lulu“ inszeniert, offenbar auf der Moralhöhe der Zeit und so mit dem ganzen feministischen Diskurs gewappnet. Im...