Kommentar
Kölner Politik-Blamage
Ein Kommentar zur Intendanzfindung am Kölner Schauspiel
von Elisabeth Luft
Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Schauspiel Köln
Seit elf Jahren bespielt das Kölner Schauspielensemble eine Interimsspielstätte im rechtsrheinischen Mülheim. Nun soll die Sanierung der Opern- und Schauspielbühnen am Offenbachplatz in der Kölner Innenstadt nach einigen Verzögerungen endlich im Frühjahr 2024 abgeschlossen sein. Gleichzeitig löst Schauspielintendant Stefan Bachmann seinen Vertrag frühzeitig auf und wird Chef des Wiener Burgtheaters. In diesem Wirrwarr vergibt die Stadt Köln eine große Chance.
Aber der Reihe nach. Was sich wie die sorgfältig geplante Rückkehr in ein bekanntes Umfeld anhört, ist für das Team des Schauspiels wohl eher ein krasser Neustart mit einer Menge Hürden. Wieder einmal, denn als die Bauarbeiten begannen und das Depot in Köln-Mülheim 2013 als Ausweichspielstätte in Betrieb genommen wurde, fand sich das Team in einem Stadtteil ohne Theater wieder, mit anderen Gegebenheiten, Bedürfnissen und Gesetzen. Stefan Bachmann trat damals an, den Zeitraum der Sanierung und der anschließenden Inbetriebnahme zu leiten und zu gestalten.
Seitdem wurde das Theaterpublikum mitgenommen auf die rechte Rheinseite, wo ein neuer öffentlicher Ort gestaltet wurde und Partnerschaften und Kooperationen mit Menschen und Initiativen aus der Nachbarschaft und der ganzen Stadt entstanden. Spätestens seitdem 2016 das neue Kleine Haus am Offenbachplatz in Betrieb genommen wurde – zwar noch nicht fertig, aber als Provisorium geeignet –, entwickelte das Ensemble im Spagat zwischen Mülheim und Innenstadt eine bemerkenswerte Stadtexpertise. Ein Gefühl für die unterschiedlichen Veedel, aber genauso für die Gesamtheit und den „Puls dä Stadt“, wie es in einem Lied der Kölner Band Miljö heißt.
Es wurde im Moment gearbeitet und gleichzeitig der bevorstehende Start im neuen Schauspielhaus vorbereitet. Bachmanns Vertrag wurde bis 2026 verlängert, das Ziel der gemeinsamen Eröffnung fest im Visier. Doch als immer wieder „prognostizierte Termine für die Fertigstellung korrigiert“ wurden, wie es Chef-Sanierer Bernd Streitberger kürzlich in einem Interview formulierte, und Ende 2022 bekannt wurde, dass Bachmann seinen Vertrag vorzeitig auflöst, um ab Sommer 2024 neuer Intendant des Wiener Burgtheaters zu werden, geriet die Kölner Idee eines gemeinsamen Neustarts ordentlich ins Wanken.
Noch-Intendant Bachmann schlug ein Interim des langjährigen Hausregisseurs Rafael Sanchez vor, die Politik lehnte trotz Zeitdruck und mangelnder Alternativen mit Nachdruck ab, lieber wolle man die neue Spielstätte mit einem „großen Namen an der Spitze“ eröffnen. Bestärkt durch bundesweite Diskussionen um neue Methoden für die Besetzung kultureller Leitungspositionen, reagierte das Ensemble sofort, formulierte ein Thesenpapier mit Visionen für einen Beginn unter neuer Führung und nahm Kontakt zu Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf. Der Wunsch: Am Findungsprozess beteiligt werden und eine Perspektive für das künstlerische Personal bis 2026, um das neue Haus wie geplant eröffnen und einige Zeit bespielen zu können.
Natürlich, künstlerische Theaterberufe sind reisende Tätigkeiten und das an deutschen Stadttheatern geltende Nichtverlängerungsrecht nach NV-Bühne erlaubt es, Arbeitsverträge mit Künstler:innen bei Intendanzwechsel frühzeitig zu beenden. Ein Mindestmaß an Planbarkeit darf dennoch verlangt werden. Als das Versprechen gemacht wurde, bis 2026 gemeinsam zu arbeiten, wurden Angebote anderer Häuser abgelehnt und private Pläne entsprechend angepasst. Dass das umsonst gewesen sein soll, kaum, dass die Stadt den Intendanten frühzeitig aus seinem Vertrag entlässt, wäre nicht nur unfair, sondern würde – mal eigennützig betrachtet – das Kölner Schauspiel als Arbeitsort nicht attraktiver machen.
Obwohl also bis Juni 2023 eine Lösung hermusste, um alle notwendigen betrieblichen Prozesse noch rechtzeitig bis 2024 anstoßen zu können, war bis April keinerlei Weiterentwicklung öffentlich bekannt. Mauschelei hinter verschlossener Politik-Tür konnte angenommen werden. Als das Schauspiel dann Mitte April gemeinsam mit dem neu gegründeten Verein für Darstellende Künste Köln zur öffentlichen Podiumsdiskussion lud, waren die Erwartungen entsprechend hoch. Mitarbeiter:innen des Hauses wollten mit Vertreter:innen aus Kultur, Gesellschaft und Politik über den Prozess diskutieren und mehr Transparenz und Teilhabe herstellen.
Köln also als zukunftsorientierter und innovativer Kulturstandort? Weit gefehlt, denn die Rechnung wurde ohne die Politik gemacht. Kulturdezernent Stefan Charles, Schweizer Kulturmanager, der die Stadt Köln kurz vor seinem Amtsantritt 2021 als „Kulturstadt ersten Ranges“ bezeichnete, machte auf dem Podium deutlich, dass er den demokratischen Möglichkeiten der Führungsfindung nicht traut und sich ihm die Zusammenhänge zwischen einer Intendanzfindung hinter verschlossener Tür und der Reproduktion von Machtstrukturen nicht erschließen. Auch sei es schwierig, Frauen oder People of Colour mit entsprechender Qualifikation zu finden – empörtes Lachen im Publikum rückte derlei vielfach widerlegte Absurditäten jedoch im Handumdrehen ins richtige Licht, empörte Beratungsangebote inklusive.
Anstatt das künstlerische Personal des Theaters in den Prozess einzubeziehen, seien die Kölner Personalberatung ifp hinzugezogen und eigene Kontakte in die Szene genutzt worden, um Einzelne zur Bewerbung zu animieren oder vorzuschlagen. Ob eine Headhuntingagentur die Gegebenheiten und Bedürfnisse des deutschen Theaterbetriebs gut genug kennt? Darauf gab es keine Antwort. Ganz zu schweigen vom Sinn eines sich stetig weiterdrehenden Besetzungskarussells.
Intendanz soll erneuernd sein, Beteiligung möglich machen und aktiv versuchen, Machtmissbrauch zu verhindern – all das kann sich die Kölner Kulturpolitik in diesem Fall selbst nicht auf die Fahnen schreiben. Heißt es am Ende also wieder: Schön, dass wir drüber geredet haben, aber wir entscheiden alleine? Fast. Fakt ist, das Ensemble wurde von der Politik gehört, eine Zusammenarbeit aber abgelehnt. Auf den öffentlichen Druck hin wurde jedoch inzwischen die Besetzung der Findungskommission bekannt gegeben, die bis dahin inkognito gewirkt hatte. Und auch Rafael Sanchez wurde als Interimsintendant ab 2024/25 berufen. Was danach passiert, ist weiterhin unbekannt.
Bei Haus und Publikum jedenfalls gibt es einen großen Wunsch nach Experimentierfreude, Intendanz, künstlerische Produktion und den ganzen Theaterbetrieb neu zu denken. Eigentlich eine riesige Chance für eine ach so moderne Großstadt und vermeintliche „Kulturstadt ersten Ranges“, wie Köln. Kaum zu fassen, dass diese Chance bis jetzt derart verschenkt wurde.
Erschienen am 26.6.2023