Magazin
Klimawandel am Theater
Das Schauspielhaus Graz arbeitet an der Idee eines „Grünen Theaters“
von Hermann Götz
Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)
Assoziationen: Österreich Dossier: Klimawandel Schauspielhaus Graz
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Am 6. November 2021 hatte am Schauspielhaus Graz Svenja Viola Bungartens Stück „Garland“ Premiere: eine Zauberer-von-Oz-Überschreibung, die sich ganz dezidiert dem Thema Klimawandel widmet. In Ermangelung kanonischer Texte, die auf die Brisanz dieses Themas bauen, überrascht die Fokussierung nicht. Langfristig gedacht muss der Klimawandel als notwendigerweise bestimmendes Thema auch auf die Bühne finden. Dieser Diagnose folgt die Grazer Intendantin Iris Laufenberg, die kurz vor ihrem Wechsel ans Deutsche Theater Berlin steht.
Nun ist die Theater-Welt berüchtigt dafür, Probleme, die auf der Bühne ambitioniert verhandelt werden, dahinter erst recht zu reproduzieren. Ähnlich berüchtigt ist ihre Tendenz, dass der schonende Umgang mit Ressourcen künstlerischen Notwendigkeiten geopfert wird – oder auch chronischem Zeitdruck. In Graz wächst ein Projekt, das sich mit solchen Erkenntnissen nicht abfinden und einen nachhaltigen Klimawandel am Theater einleiten will.
Für das Recherchegespräch sitzen wir im sogenannten Rauchsalon, wo seit vielen Jahren schon nicht mehr geraucht wird. Jetzt wurde er gewählt, weil seine Kubatur ausreichend Raum für Austausch mit Abstand bietet. Beides, Rauchverbot wie Corona, macht deutlich: Dinge, selbst jene, die in Stein gemeißelt schienen, können sich ändern. Manches Mal sogar schnell.
Sehr schnell ist auch hier im Salon klar: Für ein „Grünes Theater“ müsste sich viel ändern. Wirklich viel. Und genau das ist vielleicht das Besondere am Grazer Zugang: Man sieht dieser Notwendigkeit ins Auge. „Ich mag an diesem Projekt, dass es so ambitioniert ist, dass es nicht darum geht, am Betriebsausflug drei Bäume zu pflanzen, und dann klopfen sich alle auf die Schulter und machen weiter wie zuvor.“ Daria von Loewenich ist Schauspielerin im Ensemble und engagiert sich in einer der Arbeitsgruppen für das Grüne Theater. Es ginge, so von Loewenich, darum, sich der Komplexität des Themas zu stellen, dann aber zu sagen: „Wir gehen es in aller Ruhe an, setzen einen Schritt vor den anderen“.
Am Anfang standen eine Leitungsklausur, die Theatre Green Books von Paddy Dillon, der Austausch mit der Heinrich-Böll- Stiftung, dann auch mit anderen Theatern, Think-Tanks, mit dem Bundesamt für Nachhaltigkeit. Es wurde eine Unternehmensberatung für Nachhaltigkeit eingebunden und schließlich, als der notwendige Umfang des Unterfangens immer mehr bewusst wurde, eine Projektstruktur etabliert: Für jedes identifizierte Themenfeld gibt es nun eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern unterschiedlichster Bereiche, um die interne Kommunikation kümmert sich ein Stoßtrupp namens „Grüne Mission“. Das Projekt solle integraler Bestandteil des Hauses werden – nachvollziehbar für Mitarbeiter wie Zuschauer. Parallel zu den Arbeitsgruppen, die das Thema möglichst breit definieren und dabei von der „größtmöglichen Vision“ ausgehen, wurden von der Lenkungsgruppe quantitativ und qualitativ messbare Infrastruktur-Maßnahmen ausgearbeitet – von der Heizung und der Belüftung, der Beleuchtung (im Haus und auf der Bühne) über die Reinigung bis zum Fenstertausch und einer Fassadenbegrünung.
Für ein nachhaltiges Neu-Denken von Theater wurden neben den zentralen Faktoren Zeit und Geld auch die stark verfestigten hierarchischen Strukturen als Problemzone erkannt. „Wir sind nun einmal ein klassisch hierarchisch aufgebautes System, so lange wir das noch unterstützen und damit die Möglichkeit, dass eine Person komplette Prozesse der Nachhaltigkeit aus künstlerischen Gründen außer Kraft setzen kann, können wir Nachhaltigkeit im Theater nicht vollständig umsetzen.“ Frank Holldack ist Bühnengestalter, Designer und Projektleiter für das Grüne Theater in Graz. Die Theorie dazu baut auf dem Konzept der Soziokratie 3.0. Timo Staaks aus der Abteilung Theaterpädagogik spricht für die AG Diversität: „Es sollen eben nicht im Projekt die autoritären Theater-Strukturen reproduziert werden. Das Grüne Theater war von Anfang an eine Einladung: zur Selbstverwaltung, zum Mitgestalten.“ Insgesamt gehe es darum, Kunst und Betrieb, Hierarchie und Gebäude, Menschen und Ressourcen, Kunstschaffende und Publikum zusammenzudenken. Staaks: „Für wen machen wir Kunst? Und auf dem Rücken von wem machen wir Kunst? Dort sollten wir einmal runtersteigen.“
Ungewöhnlich an diesem Unterfangen ist tatsächlich die Einladung zum Aufstand des Theaters gegen sich selbst, seine Strukturen und sein Zeitgefühl: Ein Ort, der dafür geschaffen wurde, dem flüchtigen Augenblick maximale Präsenz zu verschaffen, ihn leuchten zu lassen, investiert seine kostbaren Ressourcen in das ebenso vage wie ferne Versprechen einer besseren Zukunft. Holldack: „Es zeigt sich, dass wir anfangen, unsere Arbeit und eben Theater nicht mehr für selbstverständlich zu nehmen.“ Doch wenn das Theater die Welt bedeutet, geht es nicht zuletzt darum, hier im Kleinen zu zeigen, was im Großen zu verändern ist: It’s the system, stupid. //