Dieser Abend ist noch keine zwei Minuten alt, und schon glaubt man sich in die Irre gelaufen. Da kündigen zunächst Übertitel mit hollywoodesker Geste einen Film an, dazu anschwellende Streicher. Doch anstatt das Versprechen des pompösen Vorlaufs einzuhalten, überlässt Philippe Quesne die Zuschauer danach sich selbst. Auf den Vorspann folgt die beredte Leere des Bühnenraums. Links steht da ein Schlagzeug, rechts ein Tisch mit einem Laptop und zwei Aquarien, leer bis auf ein verloren vor sich hin schaukelndes Meerestier, aus Plastik. Auf dem Schlagzeug wird niemand spielen.
„Anamorphosis“ heißt diese jüngste Arbeit von Vivarium Studio um Philippe Quesne. Er hat sie von einem Arbeitsaufenthalt in Tokio an das Théâtre de Gennevilliers nördlich von Paris mitgebracht, wo er derzeit Artist in Residence ist, Koproduzent ist das Berliner HAU. Anamorphosen sind jene verzerrten Darstellungen in der bildenden Kunst, mittels derer man seit dem Mittelalter verschlüsselte Botschaften in Gemälden platzieren konnte. Nur wer einen bestimmten Betrachtungswinkel findet, erkennt das verborgene Bild im Bild. Das berühmteste Beispiel ist eines von Hans Holbein d. J.: das Doppelporträt von zwei Reisenden, stolz und weltgewandt. Wer genau hinschaut, erkennt einen Totenkopf, der sich den beiden zwischen die Füße schiebt. Sie stehen mitten im Leben und doch nur...