3.1 Einleitung
War Bennewitz’ 1975er Faust ein rückwärts gewandtes Spektakel, das Unsicherheiten in der Aufrechterhaltung überkommener, ästhetischer und politischer Faust-Ideale durchscheinen ließ, so macht Christoph Schroth vier Jahre später deutlich, dass ein Arbeitsstand in Sachen theatralischer Faust-Analyse in der DDR längst ohne derartige Beschränkungen untersucht und formuliert werden kann und dass eine sozialistische Faust-Aufführung durchaus den Zuschauer als ihren Partner statt als einen zu erziehenden Adressaten entdecken kann. Die Schweriner Inszenierung erscheint trotzdem weniger als Wendepunkt der DDR-Faust-Rezeption, demonstriert vielmehr in ihrer eindrucksvollen, szenischen Inkarnation letztlich die Konsequenz einer bereits stattgefundenen Verschiebung des Faust-Bildes, die nun in ihrer vollen Tragweite sichtbar und erlebbar wird. Schroth, der um die Realisierung seines Projekts bei der Partei „kämpfen musste“,952 hat diesen Faust exakt argumentativ vorbereitet und vor allem taktisch klug positioniert, wobei er gleichzeitig zur Anwendung bringt, was sich seit Jahren schon in Wissenschaft, Literatur und Theatern ankündigt.953,954 Das Aufstoßen einer Tür zu einem neuen Experimentierfeld mit Faust, die „Entdeckung“ faustischer ostdeutscher Identität als Herausforderung und Diskussion der eigenen Krisen und eine theatralische Dialektik im Sinne Brechts spielen die Hauptrollen in diesem zugleich kühnen wie kalkulierten Effekt.
3.2 Konzeption
Die Inszenierung bekennt sich im Programmheft zum...